Sagen, Märchen und Gebräuche aus Sachsen und Thüringen 1845. Harald Rockstuhl

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Sagen, Märchen und Gebräuche aus Sachsen und Thüringen 1845 - Harald Rockstuhl

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diesem Wahrzeichen erkenne ich daß du die Wahrheit sagst: führe mich an den Ort, von dem du die Schnur mitgebracht hast.“ Und sie gingen in den Keller, doch die Thür zu den andern Kellern suchten sie umsonst, und sie gruben auch auf dem Kirchhofe nach, doch sie fanden die unterirdischen Gänge nicht.

       Mündlich aus Wettin und Dederstedt

      Vor vier Jahren begegnete einem Hirten zu Fienstedt drei Morgen hinter einander eine Kröte, die ihn freundlich grüßte und bat, er möchte sie doch küssen, dann würde sie erlöst und zum Danke dafür wolle sie ihn heiraten. Den Hirten aber graute es die Kröte zu küssen. Da erschien sie ihm am vierten Morgen als eine wunderschöne Jungfrau und sagte ihm, so habe sie ehemals ausgesehen, und sie sei eine Prinzessin gewesen und würde es wieder geworden sein, wenn er sie geküßt hätte; nun aber könne sie es nie mehr werden. Und als sie der Hirt noch ansah, verschwand sie vor seinen Augen.

      Ebenso begegnet bei Nacht den Wanderern zwischen Hedersleben und Dederstedt oft eine Katze, welche sagt, sie sei eine verwünschte Prinzessin und könne durch einen Kuß erlöst werden.

       Anmerkung:

       Über die Erlösung verwünschter Jungfrauen durch Küsse und die zauberische Gewalt überhaupt, welche in Sagen dem Kusse zugeschrieben wird, vergl. Myth. 921. 1055 und meine Abhandlung De Theophili cum diabolo foedere S. 7.

       Mündlich

      An der Nordseite des Dorfes Mötzlich, eine Stunde von Halle, liegt ein großer Stein, von welchem ein Rain zu dem benachbarten Dorfe Tornau führt. An diesem Rain sieht man oft in der Abenddämmerung und Nachts zwischen elf und zwölf eine ganz weiß gekleidete Frau auf und ab gehen, welche im ganzen Dorfe als „die weiße Frau“ und „die verwünschte Prinzessin“ bekannt ist und oft die Vorübergehenden mit kläglicher Stimme angerufen hat, sie möchten sie doch erlösen. Läßt man sie ruhig gehen, so thut sie Niemand Etwas zu Leide; doch wer sie verspottet oder sonst wie erzürnt, neben dem steht sie plötzlich und haucht ihn an, und dann wird er von schwerer Krankeit befallen.

      Eine weiße Frau geht auch in der dölauer Heide um: nach Andern aber ist eine Prinzessin in die Heide verwünscht und zeigt sich bisweilen in schwarzem Kleide mit weißer Schürze, hoher, weiß- und schwarzgewürfelter Mütze und mit einem Schlüsselbunde am Gürtel. – In einem Gehölz bei Löbejün sieht man bei Nacht oft zwei weiße Frauen, von denen eine ein Schlüsselbund trägt, mit einander gehen, und vor ihnen her schwebt ein Licht. – Auf dem Winkel in Wettin, dem Stammschlosse der Könige von Sachsen, geht die weiße Frau noch manchmal in einem Gange auf und ab: früher erschien sie stets kurz zuvor, eh Jemand aus dem sächsischen Königshause starb; auch kam sie am Morgen und Abend zu den Mägden in den Stall und half ihnen melken.

       Mündlich aus Halle

      Als einst ein Mann bei Nacht an der Kirche, die auf dem Neumarkt zu Halle steht, vorüber ging, saß eine Frau in weißen Kleidern auf der Kirchhofsmauer und nieste. „Gott helf!“ rief der Mann; doch sie dankte nicht, sondern nieste gleich noch einmal. Und er rief wieder „Gott helf!“ Sie aber nieste zum dritten Male. Da wurde der Mann ärgerlich und sagte „Wenn dir Gott nicht helfen will, so helf dir der Teufel.“ Und nun fing die Frau laut zu klagen an und sprach „Hättest du zum dritten Male „Gott helf“ gesagt, so wäre ich erlöst worden; doch nun muß ich wieder hundert Jahr warten, eh mich Jemand erlösen kann.“

       Anmerkung:

       Vergl. Deutsche Sagen 1, 226. Wolfs deutsche Märchen und Sagen 257.

       Halle. Postkarte um 1910. Sammlung Harald Rockstuhl.

       Thüringen und der Harz mit ihren Merkwürdigkeiten, Volkssagen und Legenden. 8. Band (Sangerhausen 1845), S. 88.

      In dem felsigen Geklüfte der jostädter Weinberge hauste ein Wichtelvölklein, das zuweilen im nahen Dorfe Jostädt sich blicken ließ, vornehmlich in der adeligen Burg daselbst, wo die kleinen Wichtel oft in der sogenannten Wichtelstube aus den Ritzen der Dielen emporstiegen. Auch zogen sie weiter in der Gegend umher: und als sie einst in das honer Feld wollten, mußte der jostädter Fährmann sie in seinem Nachen über die Werra setzen und erhielt als Fahrlohn einen Knäuel Garn ohne Ende. Als er aber den Knäuel verwünschte, weil er beim Abweifen müde wurde, war er plötzlich mit allem schon abgeweiften Garn verschwunden. In der Nähe zeigt man noch den Wichtelanger und in einer Felshöhle die Wichtelkirche.

       Mündlich aus Halle

      An der Nordostseite von Halle, zwischen dem Geist- und Steinthore, liegt ein kleiner Teich, welcher der Gütchenteich oder die Gütchengrube heißt. Aus diesem stammen die Kinder, die in Halle geboren werden. Auch kam zu ihm einst bei Nacht eine Gräfin in schwarzer Kutsche gefahren und verschwand darin. Nach Einigen ist er ohne Grund; doch nach Andern stand an dem Platze früher ein Schloß, welches in die Erde versunken und an dessen Stelle der Teich getreten ist, und bei hellem Wetter soll man noch jetzt die Thurmspitze des Schlosses in der Tiefe schimmern sehen.

      Die Kinder, welche zu Glaucha geboren werden, kommen aus dem Teich am rothen Thor (hinter dem Waisenhausgarten); und auch hier soll einst eine Gräfin in schwarzer Kutsche bei Nacht versunken sein.

       Anmerkung:

      Das Volk spricht nicht Gütchen-, sondern Jütchenteich und fügt in der gewöhnlichen Weise, in der es ihm nicht mehr verständliche Namen erklärt, hinzu, es sei einst ein Jude dort ertrunken und danach sei der Teich benannt. Gütchen heißen die Elbe, wie sonst Holdchen, die guten Holden, the good people, die guten Nachbarn, liuflîngar (die Lieblinge). Das Jüdel der chemnitzer Rockenphilosophie (s. Myth., 1. Ausg., Aberglauben Nr. 62. 389. 454. 473) deutet schon Grimm (2. Ausg. der Myth. 449. Anm. †) als güetel: gutelos nannte man die Bergmännchen, wie Ludwig Lavater De spectris, lemuribus et magnis atque insolitis fragoribus (Genf 1570) S. 92 nach Georg Agricola angiebt, und nach Horsts Zauberbibliothek 5, 349 erwähnt auch Schott Physica curiosa 1. Buch 38. Kap. in dem Abschnitt De virunculis et foemellis die gutelos oder Gütelen. Ferner führt Pfitzer in seiner Bearbeitung des widmannschen Volksbuches von Faust S. 110 Gütchen unter andern Namen elbischer Wesen auf: im zweiten Theil von Göthes Faust (Ausg. von 1840, S. 51) heißen die Gnomen „den frommen Gütchen nah verwandt“: auch wird (Myth. 441) von dem Pilwiz gesagt er solde sîn ein guoter. Der Gütchenteich ist also ein Teich der Elbe. Ihm entstammen die Kinder der Menschen wie in Hessen dem Hollenteiche (Deutsche Sagen 1, 4). Aus diesem trägt sie Holda selbst herauf: man darf darum in der Gräfin unserer Sage eine Göttin vermuthen, die mit den Elben im Wasser haust. Holda selbst ist Göttin der Seen; die verwünschten Prinzessinnen pflegen sich in Teichen und Brunnen zu baden, und schon die Terra mater verschwand nach Tacitus im See. – Die Vorstellung daß die Menschen bei der Geburt aus der Gemeinschaft der Elbe heraustreten und beim Tode in sie zurückkehren wurzelt tief in unserm Heidenthum, und sie scheint, da die Elbe aus einer Personification der elementarischen Kräfte entsprungen sind, nach pantheistischer Ausschauungsweise auszudrücken daß die menschliche Seele nur ein Theil der allgemeinen Naturkraft ist, der bei der Geburt im Menschen zum Selbstbewußtsein

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