In der Falle. Jan Eik

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In der Falle - Jan Eik

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      Nur zwanzig Mark hat der ältere Herr aus sichtbar besseren Kreisen bei sich. «Brieftasche!», fordert der Räuber gebieterisch.

      Die wird ihm gereicht, enthält jedoch nur Papiere. Der Kleine beleuchtet sie mit der Taschenlampe und stutzt. «Nischt für unjut, Herr Oberstleutnant!», sagt er und deutet vor dem Kommandeur des 4. Reiterregiments ein Hackenzusammenschlagen an.

      Als er sich umdreht, muss er unwillkürlich lächeln. Sieben Autos stehen da kreuz und quer mit eingeschalteten Schweinwerfern um den gefällten Baum herum. Sein Kumpan ist schon in den Wald abgetaucht. Er jedoch steht im Scheinwerferlicht und brüllt: «Wer durchkommt, darf weiterfahren!» Dann ist auch er im Gehölz verschwunden.

      Niemand versucht, ihn zu verfolgen. Alle sind damit beschäftigt, sich aus der Falle zu befreien. Blech knirscht, Glas splittert, lautes Gezänk hebt an. Als das Brauereifahrzeug durch die Sperre bricht, schiebt es einen Pkw in den Straßengraben.

      Zehn Minuten später trifft endlich die Polizei ein. Es vergeht mindestens eine weitere Stunde, bis die Beamten die Streithähne beruhigt und sich einen groben Überblick über das Geschehen verschafft haben. Dass sich unter den Überfallenen ein SS-Oberführer, ein NSDAP-Kreisleiter, ein Gauamtsleiter, ein Regimentskommandeur und der Oberstleutnant befinden, macht die Sache nicht leichter für sie.

      HERMANN KAPPE, seit Kaisers Zeiten Kriminalkommissar im Berliner Polizeipräsidium, ja schon Oberkommissar gewesen und 1933 mit einer Maßregelung davongekommen, ist den ganzen Tag unterwegs gewesen. In einem vom Schwamm angefressenen Haus in der Joachimstraße am Rosenthaler Tor sind drei Personen ermordet worden, zwei Männer und eine junge Frau, und wenn man ihn fragt, ist der Fall eigentlich sonnenklar. Dennoch sind allerhand Auskünfte einzuholen, Nachbarn und Geschäftsleute zu befragen, eben der übliche Kleinkram, um den von Anfang an Verdächtigen zu überführen. Oder zu entlasten. Doch dafür hat Kappe keine Anhaltspunkte gefunden.

      Als er aus der Joachimstraße in die schmale Gipsstraße einbiegt, bläst ihm der eisige Januarwind ins Gesicht. Bis zum U-Bahnhof Weinmeisterstraße sind es nur zweihundert Meter. Eilig taucht Kappe dort ab in den warmen Mief, der ihm aus dem Untergrund entgegenweht. Manchmal ist die U-Bahn ganz nützlich. Wenn er am Alex in die Linie E umsteigt, statt im Präsidium zwei, drei weitere Überstunden - selbstverständlich unbezahlt, er ist Beamter - zu den ungezählten bisherigen hinzuzufügen, kann er in zehn Minuten zu Hause sein. Fast eine halbe Stunde vor Feierabend. Doch das widerstrebt ihm. Hat eine der Frauen in der Joachimstraße nicht davon gesprochen, der verdächtige Ehemann der Ermordeten treibe sich gerne in den Kneipen rund um den Moritzplatz herum?

      Kappe hat ein Bild des Verdächtigten in der Tasche. Da kann er auch zum Moritzplatz fahren, irgendwo einen heißen Grog trinken und ein bisschen herumhorchen. Es ist schließlich seine alte Gegend. Sein Freund und ehemaliger Nachbar wohnt noch immer in der Waldemarstraße, wo Kappe sein erstes möbliertes Zimmer hatte. Und dieser Theodor Trampe ist es eigentlich auch, den Hermann Kappe im Kopf hat, als er statt einer nun drei Stationen mit der U-Bahn fährt und am rautenförmigen Moritzplatz wieder in den schneidenden Ostwind tritt. Ein Grog kann wirklich nicht schaden.

      Eine gute Stunde später und um zwei Grog, einen Tee und ein paar nichtssagende Auskünfte schwerer spürt Kappe den scharfen Wind kaum noch. Am Oranienplatz biegt er zum Elisabethufer ab, das seit jüngstem in Hoffmann- und Schröderdamm unterteilt ist, benannt nach zwei SA-Helden. Vor 23 Jahren hat er hier am Luisenstädtischen Kanal den Mord an einem sechzehnjährigen Mädchen aufgeklärt. Der Täter war damals entkommen. Der Kanal ist längst zugeschüttet, nur die Waldemarstraße sieht aus wie eh und je, und die Kanalbrücke ist wie versehentlich erhalten geblieben.

      Kappe hofft, Theodor Trampe zu Hause anzutreffen. In letzter Zeit verspürt er häufiger den Wunsch, mal ein paar Worte mit dem alten Freund zu wechseln. Jeder Mensch braucht hin und wieder einen, mit dem sich offen und unverstellt reden lässt, und da kann Kappe sich weit und breit in seiner Verwandtschaft und Bekanntschaft umgucken - von den Kollegen ganz zu schweigen –, außer Trampe fällt ihm keiner ein, dem er vertrauen darf. Klara, seine Frau, mit ihrem Hitlerfimmel kann er mit seinen Sorgen nicht behelligen. Außerdem fürchtet er, dass sie irgendwo mal eine Bemerkung fallenlassen könnte, die in diesen Zeiten fatale Folgen hätte.

      Seinen ältesten Sohn Hartmut möchte Kappe erst recht nicht in irgendwelche Konflikte mit dem bringen, was ihm täglich in der Schule und bei der HJ eingetrichtert wird. Der Siebzehnjährige ist gewitzt und hat selber seine Zweifel. Im nächsten Jahr werden sie ihn zur Wehrmacht einziehen, doch daran will Kappe lieber nicht denken. Wer Hitler wählt, wählt den Krieg, haben die Kommunisten 1932 verkündet, und sowenig Kappe sonst von den Moskautreuen gehalten hat - diesmal sieht es aus, als würden sie recht behalten. Deutschland ist wieder eine Militärmacht, stärker und moderner als zu Kaisers Zeiten. Das besetzte Rheinland ist befreit, die Wehrpflicht eingeführt, in Spanien fallen deutsche Bomben, und um Österreich wird gestänkert. Heißt der Feind bald wieder Frankreich?

      Kaum ist der letzte Ton der Klingel verhallt, öffnet Theodor Trampe hastig die Wohnungstür. Für einen Augenblick scheint er erschrocken. Oder kommt es Kappe im schwachen Licht der Treppenbeleuchtung nur so vor?

      «Mensch, Hermann, wo kommst du denn her?», fragt Trampe sichtlich überrascht.

      «Von drauß’ vom Walde, da komm ich her», spottet Kappe und wischt sich ein paar Schneegriesel vom Mantel. «Ist mein Besuch ungelegen?»

      Trampe beeilt sich, ihn hereinzubitten. «Nicht doch, Hermann! Du kommst immer gelegen.» Er nimmt Kappe Hut und Mantel ab.

      «Solange du uns privat besuchst», setzt er leise hinzu.

      Kappe grient ein bisschen verklemmt. «Wieso? Hast du jemanden umgebracht?»

      «Noch nicht», entgegnet Trampe viel zu ernst. «Aber am liebsten würde ich …»

      Wen er gerne umbringen würde, braucht er nicht zu erläutern. Und Kappe weiß, wie gefährlich solche Äußerungen sind - nicht nur für Trampe selbst, sondern auch für Kappe, der sie hört und nicht widerspricht.

      «Sei bloß vorsichtig, Theo!», rät er dem Freund. «Solche harmlosen Sprüche können KZ bedeuten.»

      Trampe nickt. «Und wie gefährlich ist es für dich, einen ollen Sozialdemokraten einfach so zu besuchen?»

      Hermann Kappe, ins Wohnzimmer gebeten, entgegnet ruhig: «Das lass man meine Sorge sein.» Seine Sorge ist es wirklich. Denn wenn ihn einer hier sieht, wo ihn mancher noch von früher kennt, und meldet, er hätte den Trampe besucht …

      «’N Korn?», fragt Trampe und hat schon Flasche und Gläser in der Hand.

      Kappe denkt an die beiden Grog, die er intus hat, will andererseits aber den Freund nicht vergrätzen. «Wirklich nur ’n kleinen», sagt er. Der Freund macht so einen seltsam angespannten Eindruck. Nicht mal zum Trinken setzt er sich.

      Sie stoßen an. «Auf bessere Zeiten!», sagt Kappe. Trampe nickt ihm zu.

      «Du bist so unruhig … Ist deine Frau nicht zu Hause?»

      «Die ist bei ihrer Schwester in Heinersdorf. Da wird sie wohl auch übernachten. Sie traut sich abends kaum noch auf die Straße.»

      «Das lass besser nicht meine Vorgesetzten hören. Die Sicherheit in der Reichshauptstadt hat prozentual stark zugenommen.» Trampe nickt. «Zeitung lese ich selber. Morgen ist ja der Ehrentag der Polizei, wie ich höre. Und vorgestern haben sich gleich dreie abgemurkst.»

      Kappe

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