Cantata Bolivia. Manfred Eisner
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Gerade als die Kinderschar die Käserei betritt, gießt Urs die gemolkene Milch in den großen Trichter einer gewaltigen „Alfa Laval“-Maschine, an deren mächtiger, hölzerner Kurbel Hans Adler eifrig dreht.
„Was ist das?“, fragt Lissy verwundert.
Bärbel erklärt: „Das ist eine Zentrifuge. Die hat viele sehr dünne Metallhüte, die aufeinander liegen und die sich sehr schnell drehen müssen, damit der Rahm sich von der Magermilch trennt.“
„Und wozu macht ihr das?“, will Oliver wissen.
Jetzt ergreift Urs das Wort und bemüht sich redlich, nicht Schwyzer-, sondern Hochdeutsch zu sprechen: „Also, die Kuhmilch ist eine Mischung aus Fett und Wasser. Wenn diese beiden Bestandteile so vermischt sind, wie es die Kühe im Euter haben, dann sieht eben die Milch so weiß aus, wie wir sie kennen. Aber neben Fett hat die Milch noch viele andere, sehr wertvolle Inhaltsstoffe, die für die Ernährung von Mensch und Säugetieren so wichtig sind. Deswegen müssen vor allem Kinder sehr viel gesunde Milch trinken.“ Er macht eine Pause, weil der ständige Klingelton der Zentrifuge meldet, dass die erforderliche Drehzahl des Trichterpakets erreicht wurde. Er löst nun Hans an der Kurbel ab und dieser öffnet den kleinen Hahn am Trichter, damit die Milch in die Maschine fließen kann.
Bald darauf sagt Bärbel: „Seht her, aus dem größeren Auslaufrohr rinnt jetzt die Magermilch, aus dem anderen ein viel dünnerer Sahnestrahl.“
Die Flüssigkeiten werden in getrennten Gefäßen aufgefangen. Erst nachdem die gesamte, heute gemolkene Milchmenge durchgelaufen ist, hört Urs mit dem Kurbeln auf. Das Lamellenpaket schwirrt noch mit lautem Summen eine ganze Weile umher, bis es schließlich langsamer wird und am Ende ganz anhält.
Hans und Urs haben inzwischen die Magermilch in einen sehr großen Kessel gegossen. Darunter wird ein kleines Propangasstövchen angezündet, um die Milch zu erwärmen. „Jetzt geben wir etwas Lab dazu. Das ist ein Stoff aus dem Kälbermagen“, erklärt Urs, während er die Milch mit einer großen Holzkelle umrührt. „Das Lab haben die kleinen Tiere im Bauch, um die Milch besser zu verdauen. Wir brauchen es aber, um den Käsebruch in der Magermilch aus der Molke, also dem Milchwasser, herauszutrennen. Den Käsebruch kennt ihr ja, den habt ihr heute Abend gegessen, den Quark mit Schnittlauch. Und wenn wir diesen Quark zusammenpressen und ihn reifen lassen, dann bekommen wir den Schnittkäse, den ihr auch auf dem Brot hattet.“ Er hört auf zu rühren und löscht die Gasflamme. „So, jetzt lassen wir das Ganze ein paar Stunden ruhen, und dann fischen wir den Quark aus der Molke heraus.“
„Was passiert mit dem Rahm?“, fragt Oliver.
„Einen Teil schicken wir in den Milchkannen nach La Paz. Daraus können die Leute dann Schlagsahne machen. Den anderen Teil rühren wir hier so lange, bis daraus Butter geworden ist“, antwortet Hans.
„Und die Flüssigkeit, die dabei übrig bleibt, das ist Buttermilch, so wie wir sie wir heute Abend getrunken haben“, ergänzt Bärbel.
Mittlerweise haben Moses, Bärbel und ihre Mutter die Zentrifuge zerlegt. Die vielen, sehr empfindlichen Lamellentrichter aus dünnem Edelstahlblech sowie die Auslauftüllen werden sorgfältig in heißem Wasser gereinigt und danach zum Trocknen auf Leintücher gelegt.
„So, und nun alle schleunigst zurück in die Casa Vieja!“, kommandiert Rosa Adler. „Höchste Zeit, um ins Bett zu gehen. Vamos, vamos!“
Rasch vergehen die nächsten Tage. Den Kindern werden täglich neue Erfahrungen und wertvolle Erkenntnisse vom Leben auf dem Lande geboten. Da Bärbel ständig auf Guayrapata lebt und sich keine öffentliche Schule in Reichweite befindet, erhält sie täglich Unterricht von ihrer Mutter Rosa. Der Aufenthalt von Ferienkindern im Winter und im Sommer ist daher der Mutter äußerst willkommen, weil dann bei den gemeinsam gehaltenen, täglichen Unterrichtsstunden ein fruchtbarer Wissensaustausch unter den Schulbesuchern verschiedenster Klassen stattfinden kann. Auch für die Ferienkinder ist eine Auffrischung ihrer Kenntnisse während der immerhin fast drei Monate andauernden Sommerferien von Vorteil. Von Moses erhält Bärbel vor allem Spanisch- und Englischunterricht, denn Spanisch beherrschen die beiden Adlers nur, soweit es für den täglichen Gebrauch notwendig ist, Englisch dagegen überhaupt nicht.
So wechseln sich die Kinder mit den zu verrichtenden Aufgaben täglich im Hühnerstall, bei Vater Schloß im Gemüsegarten oder im Rindercorral ab. Lissy hat beim Einpacken der Hühnereier in aus alten Zeitungen geschnittene Papierstreifen ein besonderes Geschick entwickelt. Sorgfältig umhüllt sie die Eier und entweder Alfred, Thea oder Oliver legen diese in die mit Sägemehl gefüllten Transportkisten. Ist eine Lage vollständig, kommt eine weitere Schicht Sägemehl darüber. Dieser Vorgang wiederholt sich so lange, bis die innen mit Zinkblech ausgeschlagene Holzkiste voll und mit einem Vorhängeschloss gesichert ist.
Dreimal in der Woche – montags, mittwochs und freitags – ist „Puente Villa“-Tag. Dann werden die Mulas auf den Hof getrieben, verarztet und gesattelt. Meistens sind es sechs bis acht Lasttiere, die auf die Reise gehen, sowie ein Reitmuli für Hans Adler, der in der Regel den Treck begleitet. Die Maulesel werden mit den Erzeugnissen der Hacienda – Käselaibe, frischer Quark und Butterpakete, Eierkisten und Sahnekannen sowie geflochtene Körbe mit Vater Schloß’ frischem Gemüse und Obst – beladen, die zum Verkauf nach La Paz kommen. Sind Gäste angemeldet oder im Begriff abzureisen, werden weitere Mulas zum Reiten gesattelt und mit den Alforjas – Satteltaschen – für das Gepäck der Besucher ausgerüstet.
An diesem Mittwoch ist es aber Urs Brunner, der mit der Karawane durch die Pforte hinausreitet. Bärbel kündigt den anderen Kindern an, dass sie sich heute das besondere Schauspiel im Kuhstall nicht entgehen lassen sollten. Das angekündigte Ereignis findet erst nach dem Melken und dem Auftrieb der Rinder statt. Hans Adler wagt sich mit einem großen Eimer mit angemachtem Afrecho auf die Koppel, wo sich sein Namensvetter, der Bulle Hans, befindet. Dieser trabt friedlich heran und macht sich sofort über den mitgebrachten Leckerbissen her. Währenddessen lässt er sich widerstandslos mit einem Strick, den ihm Hans um die Hörner legt, an einem der Holme festbinden. Während der Bulle gierig mit seinem Afrechoeimer beschäftigt ist, striegelt und bürstet ihm Hans das Fell. Dann bindet er den Bullen los und schiebt die Holme der Tranquera beiseite.
Weiter unten, zwischen dem kleinen Lagerhaus und dem Stallgebäude, gibt es eine mittelhohe Mauer, an der drei Rinder, zwei Milchkühe und eine Färse angebunden sind. Wild schnaubend trabt nun Bulle Hans den Weg hinab. Dann schnüffelt er abwechselnd an den Hinterteilen der ihm so dargebotenen Rinderdamen und macht dabei eine eigenartige Bewegung mit der Schnauze in der Luft. Dann plötzlich besteigt er zunächst die Färse, die laut muhend vergeblich versucht, sich gegen das immense Gewicht, das nun auf ihr lastet, zur Wehr zu setzen. Schon bald lässt Bulle Hans von ihr ab und wendet sich der nächsten Kuh zu, bei der er ebenfalls brav seine Pflicht erfüllt. Der dritten Kandidatin wendet er mit Verachtung den Rücken zu und trabt selbstzufrieden zu seiner Koppel zurück.
„Ja, Kinder, jetzt habt ihr gesehen, wie die kleinen Kälbchen gemacht werden“, ulkt Hans Adler grinsend.
„Wann kommen denn die heraus?“, fragt Lissy, noch benommen von dem soeben Erlebten.
„Das ist genauso wie bei uns Menschen“, antwortet Bärbel. „Die Tragezeit dauert etwa neun Monate und noch ein paar Tage dazu, dann kommen die Kälber zur Welt.“
Als die Kinder auf dem Rückweg in die Casa Vieja sind, kommt Lissy ganz nahe an Oliver heran und flüstert ihm ins Ohr: „Glaubst du wirklich, dass der Papi und die Mami so etwas auch machen?“
Oliver, ratlos, stottert: „Ich weiß es nicht genau, aber es muss ja so ähnlich sein,