Cantata Bolivia. Manfred Eisner

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Cantata Bolivia - Manfred Eisner

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die rostige Ofentür hängt kläglich nur an einer Angel herab. Zusammen mit dem inzwischen hinzugeeilten Iraya, einem groß gewachsenen, sympathischen Indio-Landarbeiter, der Pike und Schaufel mitgebracht hat, machen sie sich ans Werk. Josef hat inzwischen eine Schubkarre herbeigeholt, in die die Reste der nach und nach bis zur Grundmauer abgetragenen Lehmglocke auf einem daneben liegenden Haufen abgeladen werden. Zufrieden stellen sie fest, dass sowohl Fundament als auch Backfläche des Ofens, die aus gebrannten Ziegelsteinen bestehen, fast unversehrt und noch durchaus brauchbar sind. Jakob Kahn trägt die demontierte eiserne Ofentür samt Zarge und Aufhängung ins Magazin. In der kleinen Werkstatt wird er versuchen, alles zu reinigen und wieder instand zu setzen.

      Inzwischen steht Iraya ein Helfer namens Santiago zur Seite. Er ist von kleiner Statur, wirkt aber sehr robust. Er bringt neben seinem Werkzeug noch ein Bündel trockener Strohhalme sowie eine hölzerne Schablone für Adobes – jene irdenen, sonnengetrockneten Bausteine – mit. Beide machen sich nun daran, den abgetragenen Erdhaufen mit Piken und Schaufeln zu zerstoßen. Die zerkleinerten Erdbrocken werden durch ein Maschendrahtgestell gesiebt und abermals zerkleinert, bis sie die geeignete Korngröße aufweisen. In dem Haufen zerkleinerter Erde formen sie ein Loch, in das sie Wasser hineingießen. Zu Heikos Verwunderung stampfen die beiden Indios mit nackten Füßen die Erdmasse kräftig zu einem schlammigen Brei zusammen, in dem dann gebrochenes kurzes Stroh untergemischt wird. Der so angemachte Lehm wird ebenfalls mit den Füßen in die doppelte Schablone fest hineingestampft. Schließlich wird die Oberfläche mit wenig Wasser geglättet. Während der eine Indio vorsichtig die Schablone anhebt und beiseite legt, portioniert der andere die nächste Füllung mit der Schaufel. Am Ende liegen etwa achtzig Stück dieser Adobes reihenweise nebeneinander.

      „Jetzt müssen wir warten, bis der Lehm getrocknet ist, erst dann können sie gewendet werden“, erklärt Josef. „In etwa drei bis vier Tagen können wir mit dem Mauern des Ofens beginnen.“ Er wendet sich an Iraya und Santiago, sagt: „Buen trabajo“ – gute Arbeit – und reicht jedem ein paar Scheine, die sie mit einem breiten Lächeln und ihrem „Muchas gracias, patrón“ quittieren. Für ihre Verhältnisse haben sie sich gerade ein kleines Vermögen zuverdient.

      Während die Männer mit dem Wiederaufbau des Backofens beschäftigt sind, führen Frauke, Moses, Alfred und Thea die Neulinge Clarissa, Oliver und Lissy herum und erkunden gemeinsam das Anwesen. In der Casa Vieja – dem alten Haciendahauptgebäude – befindet sich neben dem großen Speiseraum auch die Küche. Hier wird auf dem mit Holz befeuerten und aus Ziegeln und Lehm gemauerten, mehrflammigen Herd gekocht. Neben größeren eisernen Töpfen benutzt man auch kleineres Kochgeschirr aus gebranntem Ton. Besonderen Spaß verursachen Clarissa der Anblick der vielen, offensichtlich selbst grob geschnitzten hölzernen Kochlöffel und vor allem der stark verrußten Töpfe, die – im Gegensatz zu ihrer Küche in der Casa Azul – hier wohl niemals gescheuert werden. „Muss ich mir unbedingt merken“, sagt sie sich leise lächelnd.

      Im Hause befinden sich neben dem geräumigen Magazin mit integrierter Werkstatt, in dem Vorräte, aber auch Saat, Werkzeug und Sattelwerk gelagert werden, mehrere Stuben im Obergeschoß. Hier haben sowohl ein Teil der Belegschaft als auch die Ferienkinder ihre Schlafräume. An der Rückseite des Gebäudes, diskret hinter einem dicken Vorhang verborgen, befindet sich das Plumpsklo – „unser geräumiger Mehrsitzer“, wie es spaßig genannt wird. Das ebenso geräumige Wasch- und Duschhaus für die Bewohner ist in einem getrennten Bau untergebracht. Im kleineren, daneben liegenden Raum hat man die Pulpería, einen kleinen Kaufladen, eingerichtet. Er öffnet nur mittwochs und samstags jeweils von 17:00 bis 19:00 Uhr. Hier erhalten sowohl die eigenen Landarbeiter als auch die der benachbarten Haciendas die benötigten Grundlebensmittel und Bedarfsgegenstände: Charque, das platte, steinharte, luftgetrocknete Rindfleisch, Milchpulver, Schweineschmalz, Mehl, Zucker, getrocknete Erbsen und Bohnen, Reis und Nudeln. Darüber hinaus gibt es hier Macheten, Zündhölzer, Zigaretten, Kerzen, Petroleum und Brennspiritus – alles zu sehr günstigen Preisen. Viele Indios nehmen regelmäßig einen Fußmarsch von bis zu drei Stunden in Kauf, um sich hier einzudecken, da sie sonst diese Artikel nur vom eigenen Patrón zu exorbitant überhöhten Preisen erstehen können. Freunde hat sich Josef unter den benachbarten Hacenderos mit seiner preiswerten Pulpería allerdings nicht gemacht, da diesen dadurch ein bisher einträgliches Einkommen abhandengekommen ist. Sein Glück ist es, dass diese fünf oder sechs stinkreichen Hofeigentümer sich kaum oder überhaupt nicht um ihre Ländereien kümmern. Jedenfalls hat Josef seit dem Kauf seines Anwesens bisher auch nicht einen von ihnen zu Gesicht bekommen.

      Die Rembowskis und ihre erwachsenen Besucher haben in der einen fünf Minuten entfernten Fußmarsch und etwas oberhalb gelegenen Casa Nueva – dem neuen, komfortableren Gästehaus – übernachtet. Josef hat es erst kürzlich erbauen lassen. Rund um einen größeren Gesellschaftsraum befinden sich die acht weiß getünchten Doppel- und zwei kleinere Einzelzimmer sowie zwei Duschbäder und eine Toilette – sogar mit Wasserspülung. Eine ergiebige Quelle, viel weiter oben auf dem Berg gelegen, versorgt die gesamte Hacienda mit reichlich frischem, kristallinem Wasser. Durch die landesüblichen Rohrleitungen aus dickeren durchstochenen Bambusstämmen rinnt das kostbare Nass und sammelt sich zunächst in einer sehr umfangreichen, aus Beton gemauerten Zisterne, von der aus die Versorgung für die beiden Häuser und den Kuhstall über getrennte Leitungen stattfindet. Eine Wohltat für alle, die hier wohnen: Sie können unbedenklich frisches Wasser direkt aus dem Wasserhahn trinken, ohne es vorher, wie in La Paz unbedingt geboten, abkochen zu müssen.

      Die Besichtigungskolonne wandert an den mit dem Backofenbau beschäftigten Männern vorbei. Einige Hundert Meter entfernt steht der groß angelegte Hühnerstall. Hier sind gerade einige Landarbeiter unter der Leitung von Samuel Kovacs mit der Errichtung eines tief in den Grund eingebetteten, engen Maschendrahtzaunes beschäftigt. „Kezét csókolom – küss die Hand, liebe Damen“, grüßt er freundlich, als er Frauke und Clarissa bemerkt. „Müssen Zaun ganz tief eingraben, sonst kommt Marder wieder und tötet unsere Hühner.“

      Als die Kinder das umzäunte Gelände betreten, krähen die beiden Hähne aufgeregt, zahlreiche Hühner laufen erschrocken davon, andere flattern zum Vergnügen der jungen Besucher wild gackernd umher. Lissy hält sich die Hände schützend vor das Gesicht, ist aber nicht bange. Durch die Geräusche hellhörig geworden, kommt ein blondes, etwa zwölfjähriges Mädchen, das mit einem viel zu großen Overall und Gummistiefeln bekleidet ist, aus Richtung des Stallungstors auf sie zu. Überrascht blicken Lissy und Oliver die Erscheinung an. „Hallo, ihr müsst Oliver und Lissy sein, nicht wahr? Ich heiße Bärbel und bin die Tochter von Hans und Rosa Adler – die habt ihr ja schon gestern kennengelernt.“

      „Hallo, guten Morgen, Bärbel“, antworten die Kinder einer nach dem anderen. Moses geht zu ihr und drückt ihr einen Kuss auf die Wange. Bärbel errötet und versucht abzulenken: „Wollt ihr mir beim Eiersammeln helfen? Dann kommt doch mit herein.“

      Gespannt folgen Alfred, Oliver und Lissy der Aufforderung, nachdem die beiden Letzteren ein zustimmendes Nicken von Clarissa vernommen haben. Im großzügig angelegten Stallraum befinden sich Wandregale, die fast bis an die Decke reichen. In diesen stehen unzählige mit Stroh ausgelegte Holzkisten, in denen die Hühner ihre Eier ablegen. Bärbel und Alfred steigen die Leitern hinauf, woraufhin die Hennen aufgeregt gackernd umherflattern und lautstark gegen die Eindringlinge protestieren. Bärbel und Alfred reichen Oliver die eingesammelten Eier herunter, der sie vorsichtig in die dafür bereitstehenden Strohkörbe legt. Lissy stöbert inzwischen in den unteren Legekisten und hält kurz darauf Oliver mit perplexem Gesichtsausdruck ein weißes, hölzernes Ei vor die Nase. Alfred hat es bemerkt und erklärt, dass diese Schummeleier die Hühner täuschen und sie dazu animieren sollen, dem Gelege weitere Eier hinzuzufügen.

      „Warum macht ihr das denn?“, fragt Lissy.

      Alfred wendet sich hilfesuchend an Bärbel.

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