Cantata Bolivia. Manfred Eisner
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Cantata Bolivia - Manfred Eisner страница 13
In der Anfangszeit spricht Heiko den Inhaber noch mit „Señor Barrientos“ an, bis dieser ihm klarmacht, dass „Barrientos“ der Nachname seiner Mutter und nicht sein Familienname sei, der sich ja väterlicherseits ableitet und Espinoza lautet. Dann belehrt er Heiko, dass seine Mutter, Señora Berta Inés Barrientos Sanz, seit der Heirat mit seinem Vater den Namen „Señora Barrientos de Espinoza“ trägt – alles ziemlich kompliziert für einen nicht eingeweihten Mitteleuropäer. Schließlich aber ermuntert der Inhaber der Bäckerei seinen tüchtigsten Angestellten, ihn der Einfachheit halber mit „Don Elías“ anzusprechen.
Nach einigen Wochen fragt Heiko ihn, was er davon halte, gegebenenfalls das Backsortiment um einige europäische Brotsorten zu erweitern. Zudem, so bringt er vor, habe er bereits eine Anfrage der jüdischen Gemeinde, an jedem Freitag zunächst fünfzig Mohnzöpfe für den Sabbat zu liefern. Aaron Levy hat ihm inzwischen das versprochene Grundrezept für die sogenannte „Challah“ – oder „Berches“, wie das Backwerk üblicherweise auf Jiddisch genannt wird – zukommen lassen. Don Elías ist allerdings bezüglich einiger der für ihn unüblichen Zutaten für diese Brotsorte – Honig, Pflanzenöl, Eier und Mohnsamen, die neben Weizenmehl, Hefe und Salz erforderlich sind – überrascht. Dann meint er: „Also, Heiko, grundsätzlich finde ich die Idee gut, aber du müsstest dafür eine eigene, zusätzliche Arbeitskraft besorgen, die Übung im Zopfflechten mitbringt. Bei der Beschaffung von Honig und Maiskeimöl sehe ich kein größeres Problem, allerdings bin ich mir nicht sicher, woher du die vielen frischen Eier und die Mohnsamen nehmen willst. Die wenigsten Eier, die es von den Cholitas auf den Mercados zu kaufen gibt, sind frisch, manche sind sogar bereits verdorben.“
„Machen Sie sich bitte keine Sorgen wegen der Eier, Don Elías, die kann ich mit verbürgter Frische von der Hacienda meines Freundes José Rembowski beschaffen. Und zwecks der Mohnsamen werde ich meinen Mitbewohner, Señor Kahn, beauftragen, eine Quelle ausfindig zu machen. Er kennt sich hier schon bestens aus. Die Frage ist nur: Sind Sie prinzipiell einverstanden? Als Arbeitskraft werde ich schon ein oder zwei geübte Zopfflechterinnen unter den vielen jüdischen Hausfrauen auftreiben, die uns jeden Freitagmorgen unter die Arme greifen.“
„Welchen Verkaufspreis, denkst du, könnte man denn für eines dieser etwa ein Kilogramm schweren Brote, erzielen? Der Rohwareneinsatz und die Art und Weise der Herstellung sind ja um etliches aufwendiger als bei unseren einfachen Marraquetas und Sarnitas, nicht wahr? Du müsstest erst einmal alles zusammenrechnen, auch den Lohn für die Zopfflechterinnen, und dazu unsere allgemeinen Kosten. Wenn du mir die Summe vorlegen kannst, sprechen wir noch einmal darüber, in Ordnung, Heiko?“
Am nächsten Tag macht sich Heiko eifrig auf die Suche, um Lieferanten für die Zutaten seiner Sabbatzöpfe zu finden und deren Preise zu ermitteln. Mit Herrn Levy berät er sich über einen angemessenen Preis, zu dem man die Gemeindemitglieder beliefern könnte. In einem Gespräch mit Rabbiner Akiba Süßkind verabreden sie, hierfür eine Umfrage in einem repräsentativen Verbraucherkreis durchzuführen.
Aus Heikos ursprünglichem Einfall, geübte Zopfflechterinnen zu rekrutieren, wird allerdings nichts. Der Rabbi gibt zu bedenken, dass, obwohl diese Brotart eigentlich „parve“ sei – also weder Fleisch noch Milch enthält –, die Challah aber, die für den allgemeinen Verzehr der Gemeindemitglieder bestimmt sein würde, vorzugsweise von jüdischen Männerhänden hergestellt werden müsse, um den Speise-Reinheitsvorschriften voll zu entsprechen. Es gäbe da in seiner Gemeinde einen ehemaligen Bäcker aus Posen, den solle man fragen, ob er vielleicht hierzu bereit sei.
Heiko fahndet also nach jenem Fränkel Gottlieb, den er schließlich in einem Altenheim ausmacht. Dieser ist schon fast siebzig Jahre alt, hat aber lange Zeit bei einem jüdischen Bäcker in Kurmik gerade diese Schabbes-Mohnzöpfe gedreht und gebacken. Gern ist er bereit, einmal wöchentlich einzuspringen und sich dabei ein Taschengeld – viel mehr kann ihm Heiko ja nicht bieten – zu verdienen. „Was Sei mir werden geben können, wird seien git“, bemerkt er mit einem freundlichen Lächeln, und die beiden schlagen ein.
Zwei Wochen später erhält Heiko von Aaron Levy Bescheid, dass man sich im Abnehmerkreis auf einen Abgabepreis von bis zu 6,00 Bolivianos pro Mohnzopf von je einem Kilogramm geeinigt habe. Eine Umfrage hat zudem ergeben, dass anfänglich vierzig Gemeindemitglieder sich verpflichten würden, allwöchentlich je eines der Zopfbrote abzunehmen, weitere fünf mehrköpfige Familien sogar je zwei. Die Menge, die Aaron Levy anfänglich genannt hat, war also realistisch. Mit diesen Angaben rechnet Heiko noch einmal alle Herstellungskosten zusammen. Damit spricht er seinen Chef abermals an: „Also, Don Elías, hier ist meine Kostenaufstellung. Wir sollten den Preisvorschlag von 6,00 Bolivianos annehmen, wobei ich einen Gesamtpreis von 11,00 Bolivianos für die Abnehmer von zwei Broten vorschlage. Die 50 Stück kosten uns summa summarum nicht ganz 200,00 und wir könnten wöchentlich 295,00 Bolivianos durch den Verkauf erzielen. Davon bitte ich Sie, mir eine Vermittlerprovision von 30,00 Bolivianos zuzugestehen, dann verbleiben der Firma immer noch satte 65,00 Bolivianos Reingewinn. Das wäre prozentual doch reichlich mehr, als wir heute an den einfachen Marraquetas und Sarnitas verdienen, nicht wahr? Übrigens glaube ich, dass wir noch viel mehr Zöpfe bei weiteren Brotläden in der Stadt absetzen könnten, würden wir sie dort anbieten.“
Don Elías’ tiefe Stirnfalten ziehen sich bei Heikos Erwähnung der beanspruchten Provision bedrohlich zusammen, entspannen sich aber ebenso rasch, als er von dem guten Erlös erfährt, den der Verkauf der Sabbatzöpfe verspricht. Es folgt eine längere Denkpause, dann mustert er Heiko und sagt: „De acuerdo, einverstanden! Aber sagen wir zunächst einmal für zwei Monate zur Probe. Dann erfahren wir, ob deine Berechnungen auch stimmen.“ Im Gegensatz zu Heiko, der die Warenkalkulation noch aus seiner Marschländer Backwarenfabrik in Oldenmoor aus dem Effeff beherrscht, hat Don Elías kaum Erfahrung in dieser Materie, denn sowohl Rezeptur und Abgabegewicht als auch Verkaufspreise für die gängigen Brote sind amtlich vorgeschrieben. Wenn es wegen der Inflation mit dem Erlös der Bäcker enger wird, reagieren diese zunächst stets mit dem Knapsen am Gewicht der Backwaren. Werden schließlich die Marraquetas allmählich kleiner und ist die Regierung nicht bereit, den Verkaufspreis des Brotes dem Währungswertverfall anzupassen, nimmt üblicherweise die Bevölkerung diese Erscheinung als Omen dafür wahr, es könne wohl bald wieder zu einer Revolution mit Umsturz von Präsident und Regierung kommen.
Als es Jakob Kahn tatsächlich gelungen ist, einen Mohnsamenlieferanten unter den libanesischen Kaufleuten der Stadt aufzutreiben, der zudem Sesamkörner, Datteln und ähnliche Waren aus dem Nahen Osten im Angebot führt, machen sich Heiko und Fränkel Gottlieb mit einem der Gehilfen am nächsten Freitagmorgen gemeinsam an die Arbeit. Unter Fränkels Regie wird zunächst das Wasser auf etwa 40 Grad Celsius erwärmt und in den Kessel der museumsreifen AlexanderwerkHubknetmaschine gefüllt. Laut ächzend setzt dessen Motor Kessel und Rührwerk in Bewegung. Nach der zerbröselten Hefe werden Honig, Maisöl, verquirlte Eier und Salz nacheinander im Wasser untergeschlagen. Schließlich wird das Mehl portionsweise hinzugegeben und untergemischt. Dann wird der Teig so lange geknetet und der Rest des Mehls zugefügt, bis dieser elastisch und nicht mehr klebrig ist. Die Teigmasse wird schließlich in größere Holzmollen überführt und mit feuchten Tüchern abgedeckt. Während der folgenden 90-minütigen Ruhezeit verdoppelt sich das Teigvolumen.
Dann knetet Fränkel noch einmal tüchtig den Teig mit den Händen und portioniert anschließend mit geübtem Griff die Teigmengen. Er rollt anschließend die Portionen zu Strängen von eineinhalb Zentimetern Durchmesser. Aus je drei dieser Stränge dreht er geschickt die Zöpfe, die alle gleichmäßig groß sind. Sie werden auf geölte Bleche gelegt und ruhen erneut eine Stunde unter feuchten Tüchern, wobei sie abermals aufgehen. Dann bepinselt Heiko die Zöpfe mit verquirltem Ei und bestreut sie gleichmäßig mit Mohnsamen. Das Thermometer am inzwischen mit Holz vorgeheizten, typischen irdenen Backofen zeigt die vorgeschriebenen 190 Grad Celsius