Cantata Bolivia. Manfred Eisner
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Nach einer ersten Begegnung der Emissäre, bei der beiderseitig Geschenke ausgetauscht wurden, luden die Spanier den arglosen Inka Atahualpa zu einer Feier ein. Seine Präsente, darunter zwei wertvolle, große und massive Goldbecher, hatten die Gier der Eroberer nach noch mehr Reichtum geweckt. Man nahm den Inka gefangen und sperrte ihn kurzerhand in einem großen, dunklen Raum ein. Als ein Pfarrer ihm Bibel und Kruzifix hinhielt, nahm Atahualpa wortlos zunächst das eine, dann das andere in die Hand, schüttelte beides, hielt die Gegenstände an sein Ohr, und als er nichts wahrnahm, warf er sie despektierlich zu Boden. Seine ahnungslosen Gesten – in den Augen der Conquistadores ein unverzeihlicher Frevel – brachten ihre Wut zum Lodern und man wollte ihn auf der Stelle töten. Aber Pizarro gebot seinen Leuten Einhalt. Ein eilig einberufenes Inquisitionsgericht verurteilte den Monarchen wegen Brudermordes, Häresie, Beleidigung und Schändung von Heiligtümern der katholischen Kirche, wegen Irrglaubens und noch weiterer abstruser Beschuldigungen zum Tode auf dem Scheiterhaufen.
Über einen Dolmetscher, der sowohl etwas von der geläufigen Inka-Sprache – bis heute sind sich die Gelehrten nicht einig geworden, ob diese nun Aymara oder aber Quechua war – verstand als auch schlechtes Castilianisch sprach, bot Atahualpa den Eroberern als Lösegaben für sein Leben, seinen Gefängnisraum mit Gold bis zu jener Höhe zu füllen, die er auf Zehenspitzen erreichen konnte. Man schätzt den heutigen Gegenwert des angebotenen Lösegeldes auf etwa 600 Millionen US-Dollar.
Die Spanier gingen zunächst zum Schein auf das Angebot ein. Aus dem ganzen Tahuantinsuyo machten sich Abertausende von Trägern auf den Weg, die alle zusammengetragenen Goldgegenstände nach Cajamarca, dem Ort, an dem der Inka gefangen gehalten wurde, bringen sollten. Ein Feind Atahualpas verbreitete die Lüge, dass der Inka die ihm gewährte Frist für eine Rebellion gegen die Spanier nutzen wolle. Als ihm dies zu Ohren kam, ordnete Pizarro an, die Todesstrafe sofort zu vollstrecken. Da der Inka wegen der körperlichen Unversehrtheit seines Leichnams – gemäß seines Glaubens, die Bedingung für sein auf dem Tode folgendes, ewiges Leben – schließlich einwilligte, sich taufen zu lassen, wurde am 26. Juli 1533 die Todesstrafe anstatt auf dem Scheiterhaufen durch Strangulation mittels Knebel vollstreckt. Als den Trägern des Goldschatzes die Nachricht vom Tod ihres Inkas überbracht wurde, änderten sie schlagartig ihre Route. Wohin sie den sagenhaften Goldschatz verbrachten und wie und wo sie ihn versteckten, ist bis heute ein großes Geheimnis.
Unzählige Expeditionen aus allen Ländern der Erde suchen noch heute diesen immensen Goldschatz, der den geheimnisträchtigen Namen ‚El Dorado‘ trägt.
Ich glaube, fürs Erste dürften die geschilderten Grausamkeiten genügen, nicht wahr?“, versucht Heiko seine Zuhörerschaft aufzumuntern. „Hoffentlich könnt ihr dennoch in der heutigen Nacht ohne schlimme Träume gut schlafen. Das nächste Mal mehr von der Eroberung des Landes und der Plünderung der Indios durch die spanischen Conquistadores. Ich wünsche euch allen eine gute Nacht!“
Für seinen ersten Teil des geschichtlichen Vortrages erntet Heiko einen wohlverdienten Applaus.
* * *
Während die Familie Keller sowie die übrigen Immigranten mehr schlecht als recht versuchen, sich mit ihrer neuen Heimat allmählich vertrauter zu machen, wohnen in ihnen allen die stete Unruhe und das Entsetzen über das Kriegsgeschehen in ihren ehemaligen Ursprungsländern. Mangels eigener Radioempfänger versammeln sich die Menschen täglich kurz vor zwölf Uhr mittags an der Pracht-Avenida 16. de Julio, allgemein als Prado bekannt, um den über Lautsprecher verbreiteten Weltnachrichten des Staatssenders Radio Illimani zu lauschen.
So erfahren sie nach und nach von den letzten furchtbaren Geschehnissen: die Teilung Frankreichs, Hitlers Befehl zum verstärkten Angriff auf Großbritannien durch Marine und Luftwaffe, der darauf folgende mörderische Luftkrieg über England, die Battle of Britain, die in dem Abschuss von achtundfünfzig Luftwaffen-Bombern gipfelt, die gezielte Zerstörung der deutschen See-Transportflotte durch die RAF-Flieger, die dadurch Hitlers geplante „Operation Seelöwe“ zum Landangriff auf England erfolgreich zunichtemachen, der Dreimächtepakt zwischen Deutschland, Italien und dem kaiserlichen Japan, die barbarische Auslöschung der Stadt Coventry durch die Bomben der Nazi-Luftwaffe und nicht zuletzt die bestialischen Massendeportationen der inzwischen völlig entrechteten jüdischen Bevölkerung aus allen von Deutschland besetzten Gebieten und deren systematische Ermordung in den dafür besonders eingerichteten „Endlösungs“-Konzentrationslagern.
Gelegentlich kommt es anlässlich der Nachrichten zu unangenehmen Begleitszenen. Offensichtlich haben es einige nazistisch eingestellte Deutsche darauf angelegt, die meist jüdischen Zuhörer zu provozieren und zu verhöhnen. Bei der Verkündigung deutscher Siege brechen sie in Jubelgeschrei aus und brüllen: „Sieg Heil, Sieg Heil! Juda, verrecke! Fuera con los Judíos (Raus mit den Juden)!“ Als sich dieses einige Male wiederholt und die so verunglimpften Juden, mit Schlagstöcken bewaffnet, die Provokateure schlagartig in die Flucht treiben, enden diese Szenen so rasch, wie sie begonnen haben.
Viele Deutsche sind bereits nach dem Ersten Weltkrieg in Bolivien eingewandert und haben sich hier eingerichtet. Einige von ihnen konnten rasch Fuß fassen und etablierten sich als erfolgreiche Importeure oder Geschäftsinhaber, vorwiegend in La Paz, aber auch in Cochabamba und Oruro sowie im Osten der Republik in der an Argentinien angrenzenden Provinz Santa Cruz, wo große Landwirtschaftsgüter mit vorwiegend Viehwirtschaft entstanden.
Ebenso wie zahlreiche, aus dem Libanon eingereiste arabische Geschäftsleute integrieren sich diese ausländischen Personenkreise meist durch Heirat mit kreolischen Nachkommen aus den hiesigen Oberschichten rasch in die bolivianische „alta sociedad“, allein maßgeblich für Politik und Wirtschaft des Landes. Für die Indio- oder Mestizen-(Cholo-)Schichten, die ja eigentlich die Bevölkerungsmehrheit darstellen, ist darin kein Platz vorgesehen. Gemessen an der Einwohnerzahl von 3,5 Millionen Bolivianern zählt diese Oberschicht gerade mal 200.000 Menschen, sogenannte „blancos“ (Weiße). Die 2,5 Millionen Indios vegetieren am Rande und leben zumeist auf dem Lande in ihren armseligen, mit Stroh gedeckten einfachen Adobehäusern fast ausschließlich von ihrer Eigenversorgung, sofern sie nicht durch Fronarbeit in den Zinnminen oder Großlatifundien erbarmungslos von ihren Patrones ausgebeutet werden. Gemäß den amtlichen Verlautbarungen nehmen sie keinen Anteil an der Gesellschaft, sie tragen ja nicht einmal zum Bruttosozialprodukt des Landes bei – weder produzieren noch konsumieren sie. Und das war’s.
Aber zurück zu den Deutschen und deutschstämmigen Bolivianern. Naturgemäß sind die meisten von ihnen, schon durch die Verbundenheit mit der Heimat, besonders deutschnational eingestellt. Frenetisch bejubeln sie jeden militärischen Erfolg Nazi-Deutschlands, ihren Antisemitismus haben viele von ihnen bereits über die Meere mit hergebracht. Auch sind sie sehr aktiv für den Proselitismus des neuen nationalsozialistischen Gedankengutes, gründeten sogar schon 1934 eine bolivianische NSDAP und missbrauchten die von ihnen mit deutschen Lehrkräften betriebenen Schulen, wie das Colegio Alemán in La Paz und Cochabamba, zur Indoktrinierung der dort lernenden deutschen wie auch der bolivianischen Kinder und Jugendlichen mit ihrer betont nazistischen und antisemitischen Propaganda.
Der Wahrheit zuliebe muss erwähnt werden, dass dankenswerterweise nicht alle Deutschen im Lande diese menschenverachtende Einstellung haben. Zahlreiche ehrbare deutsche Demokraten, die ebenfalls vor der Naziverfolgung geflüchtet sind, naturgemäß vorwiegend links oder liberal eingestellte Personen, sind nicht gewillt, dieser unsäglichen Einstellung der Nazianhänger Folge zu leisten. Als Gegengewicht gründen sie, analog zum österreichischen D.A.Ö., den D.A.D.-Verein – „Das Andere Deutschland“ – in Anlehnung an eine ähnliche Bewegung und Wochenzeitung, die für „entschieden republikanische Politik“ eintrat, 1925 in Berlin gegründet, aber bereits nach der Machtergreifung von den Nazis verboten und damit im Deutschen Reich mundtot gemacht.
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