Cantata Bolivia. Manfred Eisner
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Oliver scherzt vergnügt: „Aber Mami, wie konntest du nur glauben, dass ich in der Schule so schlecht bin?“
Oliver hat sich sehr rasch im Schulunterricht eingefügt. Mit seinen Klassenkameraden hat er bald Freundschaften geschlossen, so auch mit Mitbewohner Alfred, aber vor allem mit Werner Weinheber. Bei Rektor Bamberger erhalten sie spanischen Unterricht: In Rechtschreibung, beim Lesen, in Grammatik und beim Diktatschreiben hat Oliver durchweg eine 4; ebenso gut benotet ihn Kantor Bremer in Musik und Chorsingen. Beim Rechnen gibt ihm Dr. Ascher eine sehr gute 4,5. Religion und Sport dagegen interessieren den Jungen nicht so sehr, deshalb hat er jeweils eine 3 bekommen. Die jeweilige 5 in Zeichnen, Basteln und Betragen haben wohl seinen Durchschnitt angehoben. Klassenlehrer Bremer hat am Zeugnisrand bemerkt: „Der Schüler ist etwas verspielt und lässt sich gelegentlich vom Unterricht ablenken.“
Auch die kleine Lissy geht gern in den Kindergarten, dort hat sie bereits mit der gleichaltrigen Marion Freundschaft geschlossen – zufälligerweise Werner Weinhebers Schwester. Rasch vergehen die restlichen Monate des Schuljahres 1940: Am 25. Oktober bringt ein strahlender Oliver sein Versetzungszeugnis mit einer glatten 4 als Durchschnittsnote nach Hause. In der Casa Azul gibt es zu diesem Anlass eine kleine Kakao- und Kuchenfeier. Auch Alfred ist mit einem guten Ergebnis versetzt worden. „Onkel“ Josef und „Tante“ Frauke sind ebenfalls zugegen und es herrscht große Begeisterung, als Josef den beiden Buben verkündet, dass sie als Prämie für ihre guten Leistungen die Sommerferien auf der Hacienda Guayrapata verbringen dürfen. Auch Thea Kahn und Moses Kovacs dürfen sich freuen, denn sie sind ebenfalls eingeladen, ihre Ferien auf der Hacienda zu verbringen.
* * *
„Liebe Mitbewohner, heute will ich euch den Rest von Boliviens Geschichte erzählen.“ Heiko macht sich bereit.
„Beim letzten Mal erwähnte ich Simón Bolivars Bedeutung für die Befreiung und Unabhängigkeit Lateinamerikas von Spanien. In der Tat war sein ganzes Lebenswerk dieser Aufgabe gewidmet. Zunächst gelang es ihm und seinen Mitstreitern, sein Geburtsland, Venezuela, im April 1810 für unabhängig zu erklären. Kurzerhand nahmen sie alle spanischen Funktionäre gefangen und schickten sie auf einem Schiff zurück nach Hause.
Spanien reagierte mit einer Seeblockade der venezolanischen Küste, wurde aber durch eine starke Flotte der Engländer, die sich ja im Krieg mit Napoleon befanden, in Schach gehalten. Dennoch gelang es den Aufständischen zunächst nicht, die royalistisch gesinnten Kräfte im eigenen Lande zu bezwingen. Es bedurfte noch zahlreicher blutiger Schlachten und schließlich eines allgemeinen Volksaufstandes, um das Land endgültig von den Spaniern zu befreien. Diese Rebellion kam immer mehr ins Rollen, gerade wegen der Grausamkeit, mit der die Spanier sie mit allen Kräften verhindern wollten. Als Anerkennung für seine Verdienste verlieh man dem inzwischen zum Oberst aufgestiegenen Bolivar im Jahre 1813 den Ehrentitel ‚El Libertador‘, der Befreier.
Leider erfuhren die weiteren Befreiungsbemühungen Bolivars immer wieder herbe Rückschläge durch endlose Querelen und Rivalitäten zwischen den Anhängern verschiedener Interessengruppen, so dass Venezuela erst nach der entscheidenden Schlacht von Carabobo im Jahr 1821 endgültig zur befreiten Nation wurde. Mit den inzwischen ebenfalls befreiten Colombia, Panamá, Ecuador und Venezuela gründete Bolivar seinen großen Traum: das vereinigte ‚Gran Colombia‘, eine Utopie, die leider schon wenig später an den unterschiedlichen und egoistischen Interessen der einzelnen Länder scheiterte.
Im Süden hatte inzwischen General José de San Martin die beiden Länder Argentinien und, mit Hilfe von General O’Higgins, auch Chile befreit. San Martín und Bolivar trafen sich 1822 in Guayaquil, Ecuador, und führten dort ein sehr langes Gespräch, über das man nie Näheres erfahren hat. San Martin jedenfalls zog sich mit seinem Heer zurück und überließ es Bolivar, den Rest des Kontinents zu befreien.
Mit Unterstützung des inzwischen zu ihm gestoßenen Generals Antonio José de Sucre, ebenfalls ein Venezolaner, gewannen die Befreiungskräfte die letzten entscheidenden Schlachten von Pichincha, Ayacucho und Junin. Die Spanier gaben sich endgültig geschlagen. Bolivien, das Land, in dem der erste Schrei nach Unabhängigkeit 1809 ertönt war, war das letzte, das am 6. August 1825 zur freien Republik ausgerufen wurde.
Sein erster Präsident, Simón Bolivar, war nur kurze sechs Monate im Amt und übergab es an Antonio José de Sucre, Mariscal de Ayacucho. Bolivar zog sich, enttäuscht vom Zerfall seines ‚Gran Colombia‘-Traumes und wegen des Vorwurfes der ihm angedichteten gesteigerten Ehrgeizsucht und Diktaturambitionen und letztlich sogar wegen eines Mordversuches nach Santa Marta in Kolumbien zurück. Dort starb er 1830 im Alter von nur 47 Jahren an den Folgen seiner Tuberkulose.
Von den ursprünglichen etwa 5,8 Millionen Quadratkilometern der Audiencia de Charcas waren dem Vizekönigreich des Alto Peru, aus dem Bolivien entsprang, anfängliche 3,5 Millionen Quadratkilometer verblieben. Diese territoriale Integrität Boliviens währte jedoch nicht lange: Sämtliche Nachbarländer bedienten sich großzügig von diesem Kuchen und knöpften für sich nacheinander riesige Areale ab. Zwei Drittel davon gingen verloren, entweder durch Drohung oder Kriege: Argentinien kassierte die Provinzen Salta und Jujuy ein, während sich Brasilien das riesige Acre-Territorium anmaßte. Perú gewann Antofagasta und Chile eroberte die gesamte Pazifikküste und damit Boliviens freien Meereszugang. Im Chacokrieg (1932–1935) verlor Bolivien – wahrscheinlich nicht zuletzt als Ergebnis der Militärberatung durch den ‚genialen‘ deutschen Strategen Ernst Röhm (ja, ja, in der Tat, jener heldenhafte SA-Führer, den Hitler selbst als homosexuellen Verräter schließlich ermorden ließ) – am Ende auch noch eine beachtliche Landfläche an das kleine Paraguay, das dadurch mehr als die Hälfte von dessen heutigem Territorium hinzugewinnen konnte. Unserem jetzigen Bolivien verblieben danach gerade noch 1,1 Millionen Quadratkilometer nebst den durch derartige Verluste tief verwurzelten Wiedergutmachungsgelüsten, vor allem gegen Chile.
Trotz deren Gewährung des Freihafens in Arica und dem im Friedensvertrag vereinbarten Bau der Verbindungsbahnlinie nach La Paz hat man hier niemals den Traum von der ‚salida al mar‘, dem eigenen, freien Zugang zum Pazifischen Ozean, aufgegeben.
In den 115 Jahren seit der Unabhängigkeit haben bis heute insgesamt 38 Präsidenten dieses Land regiert, oder sollte man besser sagen, sie haben versucht, es zu regieren, die meisten allerdings eher schlecht als recht. Aber vergesst bitte niemals: Wir alle haben es vor allem unserem jetzigen Präsidenten, General Enrique Peñaranda, zu verdanken, dass Bolivien uns in der höchsten Not unseres Lebens als einziges und letztes Land der Erde Asyl gewährt und damit unser Leben gerettet hat.“
4. Berches, Coca und Kaffee
Inzwischen hat Heiko sich in der Bäckerei des Señor Elias Espinoza Barrientos sehr gut eingebracht und sich rasch zum Capataz, zum Vorarbeiter, hochgearbeitet. Unter ihm wirken fünf Gesellen und zwei Gehilfen. Die Tagesproduktion besteht hauptsächlich aus den bereits erwähnten krossen Marraqueta-Weißbroten. Zudem beliefert die Bäckerei die beiden öffentlichen Schulen in der Nachbarschaft mit den runden, bräunlichen und weichen Sarnitas aus Mischmehl mit Kleie, die zusammen mit einem heißen Trunk aus violetten, fein gemahlenen Maiskörnern, genannt „Api“, den Kindern täglich als „desayuno escolar“, als Schulfrühstück, gereicht werden, damit – das betrifft die meisten von ihnen – sie wenigstens eine Mahlzeit am Tage erhalten.
Heiko beeindruckt seinen Chef zum einen wegen der fundierten Fachkenntnisse, zum anderen aber auch