Cantata Bolivia. Manfred Eisner
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„Jahre später errichtete König Felipe II als Berufungsgerichtsbarkeit die Real Audiencia de Charcas mit Sitz in La Plata, dem heutigen Sucre, ein riesiges Gebiet von ‚500 leguas a la redonda‘, ein Umfang, der heute etwa 5,8 Millionen Quadratkilometern entspricht und ursprünglich auch jenes Gebiet war, das Bolivien bei der Republikgründung für sich beanspruchte. Es erstreckte sich vom peruanischen Cuzco im Norden über das argentinische Tucumán und das heutige Paraguay bis nach Buenos Aires im Süden. Im Westen wurde es auf Höhe der Atacamawüste in Chile – die einige von Ihnen bei Ihrer Herreise wohl oder übel erleben durften – durch den Pazifischen Ozean begrenzt, während es im Osten bis an die Grenze zu Brasilien reichte. Später wurden die Regionen von Tucumán und Paraguay durch Gründung der Königlichen Audienz von Buenos Aires wieder davon abgetrennt.
Nach und nach erforschten zahlreiche spanische Expeditionen das Territorium, hier und dort wurden Siedlungen errichtet und Städte wie Oruro und Santa Cruz gegründet. Vor allem waren es aber die riesigen, 1545 entdeckten Silbervorkommen im Cerro Rico, dem reichen Berg von Potosí, die die größte Bedeutung in der lateinamerikanischen Ökonomie spielten und zur Gründung der gleichnamigen Stadt führten. Sie zählte bereits 1611 ca. 160.000 Einwohner und war damit die fünftgrößte Großstadt der damaligen Welt. Die benachbarte kleinere politische Hauptstadt Charcas, klimatisch weit günstiger, weil fast 1.800 Meter tiefer gelegen, beherbergte zu jener Zeit vorzugsweise die reichen Silberbarone und firmierte deshalb sinngemäß bald in ‚La Plata‘ (‚Das Silber‘) um.
Die spanische Krone verdankte im 16. und 17. Jahrhundert dieser skrupellosen Ausplünderung Potosís den größten Teil ihres jährlichen Staatseinkommens. Das Silber, das die versklavten Indios mühevoll und mit blutigen Händen aus den Bergwänden kratzten, nährte Europas Geldwirtschaft. Hunderttausende Indios kamen wegen der ihnen aufgezwungenen inhumanen Fronarbeit in dem fast 5.000 Meter hoch gelegenen Bergwerk ums Leben, während die Kolonialelite in La Plata in Saus und Braus lebte. Auf den Rücken von Mulas, den Mauleseln, beförderte man Abertausende von ein Kilogramm schweren, grob gegossenen Silberbarren bis zum Hafen von Callao. Die vollgeladenen Schiffe transportieren diese entlang der pazifischen Küste bis nach Panamá. Muli- und Eselkaravanen durchquerten dann mit der kostbaren Ladung den Isthmus – hinüber bis zu den Häfen von Portobello oder Nombre de Diós, von denen aus dann die Seereise der Beute nach Spanien folgte. Hiermit konnten Felipe II und alle seine Nachfolger ihre europäischen Kriegskampagnen finanzieren.
Als der Conquistador und bis dahin amtierende Gouverneur des Vizekönigreiches, Franciso Pizarro, in Lima verstarb, entfachte zwischen dessen nächsten Verwandten und der konkurrierenden Familie Almagros eine blutige Nachfolgefehde. Pizarro hatte einige Jahre vorher seinen ehemaligen Mitstreiter, Diego de Almagro, wegen Ungehorsams und Befehlsverweigerung köpfen lassen. Um dem langen, sinnlosen Bandenkrieg ein Ende zu setzen, wurde der Hauptmann Alonso de Mendoza beauftragt, einen neuen Ort der Versöhnung als Verbindung zwischen den sich bekriegenden Städten Oruro und Lima zu schaffen. So gründete der Hauptmann am 20. Oktober 1548 Nuestra Señora de La Paz – Unsere Liebe Frau des Friedens – als Symbol der Befriedung zwischen Pizarristen und Almagristen. Da aber der ursprüngliche Gründungsort in Laja wegen der dort ständig wehenden, kalten Andenwinde zu ungemütlich war, verlagerte Alonso de Mendoza wenig später die neue Stadt in eine mildere, windgeschützte und zudem fruchtbare Talsenke am Ufer des – damals noch sauberen – Flusses Choqueyapu.
Das Wappen dieser Stadt trägt eine Sentenz in Versform, die sinngemäß lautet: ‚Die Zwieträchtigen vereinten sich in Eintracht und gründeten ein Dorf des Friedens (Paz) als ewige Erinnerung.‘ Während der Kolonialzeit wuchs die Stadt und entwickelte sich nach und nach zum größten und wichtigsten Handelszentrum der südlichen Region des ‚Alto-Perú‘, wie die ursprüngliche Audienz Charcas und etwa das heutige Bolivien im letzten Jahrhundert der spanischen Herrschaft genannt wurden, während sie sich auch von Lima politisch und wirtschaftlich immer mehr entfernte.
Seit den Anfängen des 17. Jahrhunderts begannen jedoch die unter dem gnadenlosen spanischen Kolonialjoch leidenden Indios und Cholos hier und dort zu rebellieren und sich gegen die unmenschliche Behandlung sowie die saftigen Steuern und Tribute, die ihnen auferlegt worden waren, aufzulehnen. Die Aufstände waren zunächst überwiegend örtlich begrenzt und konnten deshalb auch mühelos von den herrschenden Militärkräften brachial niedergeschlagen und geahndet werden. Meist wurden die Anstifter gefangen genommen und kurzerhand geköpft oder gehängt. Lediglich größere Rebellionen, wie die des Mestizen Juan Santos Atahualpa von 1742 bis 1756 sowie jene des Indios Condorcanqui, der sich Tupac Amaru II nannte (1780–1782), hielten die Spanier während ihrer Dauer in Atem. Aber es waren regional und auch zeitlich begrenzte Scharmützel, welche die Spanier meist schadlos überstanden.
Es ist verbrieft, dass der erste Ausruf zur Unabhängigkeit von Spanien am 25. Mai 1809 in La Plata, dem heutigen Sucre, erfolgte. Man hatte zwar geglaubt, dass dies wegen der damaligen Invasion Spaniens durch die napoleonischen Kräfte und die Absetzung des verhassten Königs Fernando VII gelingen könnte, aber dies erwies sich als naiv, denn die spanischen Kräfte im Lande reagierten sofort, erstickten diese Revolte im Keim und setzten das von den Aufständischen ernannte Regierungstriumvirat fest. Am 16. Juli 1810 wurde Pedro Domingo Murillo samt weiteren seiner Kameraden am Hauptplatz dieser Stadt, die heute seinen Namen trägt, am Galgen hingerichtet. Seine letzten Worte erwiesen sich als Prophezeiung: ‚Die Fackel, die ich entzündet hinterlasse, kann niemand erlöschen.‘
In der Tat, angeregt durch diese Beispiele, folgten ähnliche Manifestationen überall in Lateinamerika: am 10. August 1809 in Quito, Ecuador; am 25. Mai 1810 in Buenos Aires, gefolgt von Kolumbien, Mexico und Chile. Im Jahr 1811 in Uruguay sowie in El Salvador in Mittelamerika. Aber es sollten noch viele Jahre vergehen, ungezählte Schlachten geschlagen werden mit Tausenden von Opfern, bis die Spanier endlich ihren wertvollsten Schatz aufgaben.
Die eigentliche Befreiung Lateinamerikas von der spanischen Gewaltherrschaft konnte aber erst mit der Geburt des Sohnes eines wohlhabenden spanischen Obersts in Caracas, Venezuela, am 24. Juli 1783 seinen Lauf nehmen. Der jugendliche Simón Bolivar genoss eine außerordentlich gute Erziehung und beendete seinen Militärdienst mit dem Rang eines Fähnrichs. Während seiner ersten Spanienreise begegnete er in Madrid seiner zukünftigen Ehefrau María Teresa, mit der er nach Caracas zurückkehrte, wo sie aber bereits nach achtmonatiger Ehe verstarb. Wiederum reiste er nach Europa, erst Spanien, dann Paris, wo er durch einen seiner früheren Lehrer, Simón Rodriguez, auf die Losungsworte der Französischen Revolution – ‚Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit‘ – aufmerksam und zugleich Zeuge der Krönung Napoleons zum Kaiser der Franzosen wurde. Dort, auf dem Sacre-Coeur, leistete er seinen Schwur, sich und sein ganzes Leben für die Befreiung des Kontinents vom spanischen Joch zu widmen und nicht zu ruhen, bis dieses Ziel erfüllt sei.
So, das war’s dann für heute. Das nächste Mal erzähle ich mehr über den Verlauf der Freiheitsbestrebungen und des Unabhängigkeitskrieges.“
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Clarissa empfängt den strahlenden Oliver mit einem Kuss und er überreicht ihr stolz sein erstes Monatszeugnis, das ihm in der Schule ausgehändigt wurde. Schon seit zwei Monaten geht er eifrig zum Unterricht und arbeitet auch fleißig mit seinen Eltern zu Hause, um das fehlende Pensum nachzuholen. Gut, dass Mitschüler Alfred Kahn auch in der Casa Azul wohnt. Von ihm kann sich Oliver die Hefte ausleihen. Betroffen schaut die ehemalige Grundschullehrerin aus Oldenmoor auf das Zeugnis des Sohnes: lauter Dreier, Vierer und sogar Fünfer! Wie kann das angehen? Zu Hause ist sie doch mit seinen Leistungen durchaus zufrieden. Heiko, der heute ausnahmsweise zum Mittagessen in der Casa Azul erscheint, umarmt seinen Jungen begeistert und belächelt die Enttäuschung seiner Frau.
„Wie kannst du dich nur über dieses Zeugnis freuen? Ich hatte doch wirklich ein besseres Ergebnis erwartet!“, sagt sie entrüstet.
„Liebe