Die Stunde der Kurden. Hans-Joachim Löwer

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Die Stunde der Kurden - Hans-Joachim Löwer

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250 davon mit chemischen Waffen angegriffen. 1700 Schulen sanken in Trümmer, 2450 Moscheen und 27 christliche Kirchen.

      1,5 Millionen Kurden wurden aus den Bergen vertrieben und in neue, tiefer gelegene Dörfer zwangsumgesiedelt. Ali Hassan al-Madschid, der zuständige Gouverneur, hatte den Befehl ausgegeben, alle Männer zwischen 15 und 70 Jahren hinzurichten. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch schätzt die Zahl der „Anfal“-Opfer auf 50.000 bis 100.000, die Kurden sprechen von 182.000.

      Omed hatte noch ein letztes Mal Glück, dass er mit dem Leben davonkam. Irakische Soldaten ergriffen ihn, brachten ihn aber nicht um. Stattdessen schleppten sie ihn zur Geheimpolizei. Dort fluchten und prügelten sie auf ihn ein, schließlich kam er in ein Internierungslager bei Erbil, in dem es von Schlangen und Skorpionen wimmelte. Der letzte große Aufstand der Kurden, der 1991 nach der Invasion der US-Truppen losbrach, brachte ihm die Freiheit – das Lager wurde von Kurden gestürmt.

      „Ich freue mich nie, wenn Menschen getötet werden“, sagt er. Aber eine Nachricht, das gibt er zu, hat doch so etwas wie Jubel in ihm ausgelöst. Al-Madschid wurde 2003, nach Saddams Sturz, von amerikanischen Soldaten festgenommen. „Die Kurden schossen an diesem Tag vor Begeisterung in die Luft. Für mich war es ausgerechnet mein Hochzeitstag – wir hatten wirklich eine doppelte Freude.“ „Chemical Ali“, wie sie ihn alle nannten, stand vier Mal vor dem Kadi, einmal wegen Völkermords, zweimal wegen der blutigen Niederschlagung von Schiiten-Rebellionen, schließlich wegen des Giftgasangriffs auf Halabdscha. Vier Mal lautete das Urteil auf Tod durch den Strang. „Der Mann hatte“, meint Omed, „nichts anderes verdient.“

      Seit 2009 tut Omed seine Arbeit im Museum, umgeben von Bombensplittern und grauenhaften Bildern. Die Szene auf dem Pick-up, die er miterlebte, ist an eine Wand gemalt. Mehr als 25 Jahre ist das nun her, und er weiß nach wie vor nicht, wo seine Familie begraben liegt. Die Nächte, lässt er uns wissen, seien das Problem. Da werde er noch immer von Albträumen geschüttelt.

      Und manchmal wacht er auf, weil er heftig husten muss. „Die Träume und der Husten“, sagt er, „das sind zwei Dinge, die wohl für immer bleiben werden.“

      SULAIMANIA

       Ein Intellektueller mit vier Leibwächtern? Das gibt es nicht so oft auf der Welt. Mamosta Dschafar hat 14 Exiljahre in Deutschland gelebt, an der Universität Göttingen Soziologie, Ethnologie und Politische Wissenschaften studiert, dann ein Dolmetscher- und Übersetzerbüro eröffnet. Unter dem Namen Fadil Ahmad hat er viel über die Kurden geschrieben, sein Wissen über die Kultur seines Landes ist eine unerschöpfliche Quelle. Die beiden großen Parteien des Landes schmücken sich gern mit solchen Leuten. Dschafar betreibt heute historische Forschungen für die PUK. Und dafür zeigt sich die Partei erkenntlich. „Insgesamt habe ich 16 Leibwächter“, teilt Mamosta mit. „Sie teilen sich in Vierergruppen auf, jede Gruppe arbeitet eine Woche für mich.“ In Kurdistan verdienen schätzungsweise 200.000 Männer als Sicherheitsleute ihr Geld.

      SULAIMANIA

       „Das hier war wirklich die Hölle“

      Wie ein Foltergefängnis zu einem Museum wurde

      Amna Suraka, die „Rote Sicherheit“, war für die Kurden so etwas wie ein rotes Tuch. Das Gefängnis aus Backstein lag mitten in der Stadt und war doch kein Teil von ihr. Es war ein Fremdkörper, Feindesland, Hassobjekt. Der irakische Geheimdienst Mukhabarat, Saddam Husseins wichtigstes Herrschaftsinstrument, wütete darin. Ein breiter Sicherheitsgürtel zog sich um die Mauern, kein Mensch durfte da entlangspazieren. Die Einwohner von Sulaimania mieden diesen Ort aber auch aus freien Stücken. Sie hatten keine Lust, dieses hässliche Symbol der Tyrannei auch nur von außen zu sehen – geschweige denn von innen.

      Ich trete in den Innenhof und spüre etwas von dem Triumph, den die Kurden empfunden haben müssen, als ihnen diese Stätte der amtlich verordneten Brutalität in die Hände fiel. 1991, als US-Truppen den Irak besetzten und das Regime Saddam Husseins zum ersten Mal wankte, brach sich hier die Volkswut ihre Bahn und das Gefängnis wurde gestürmt. Erbeutete Panzer und Mörser aus den Beständen der irakischen Armee stehen heute als stumme Zeugen hier herum: ein Schrottplatz als Sinnbild der Befreiung. Auf den Mauern liegen wie damals Stacheldrahtrollen. Amna Suraka wurde großteils so belassen, wie es war. Es ist heute ein Museum des Schreckens.

      Ein 55-jähriger Kurde ist an meiner Seite. Tahsin Kader ist sein Name, der Mann kennt sich hier besonders gut aus. Er war im Untergrund für die Peschmerga tätig, deshalb hatten Saddams Häscher ihn schon lange auf ihrer Liste, und an einem Januartag des Jahres 1990 schlugen sie zu. Sie stellten ihn auf einer Straße, er versuchte noch davonzurennen, aber schließlich hatten sie ihn. Er wehrte sich verzweifelt gegen seine Festnahme, sein linker Arm wurde dabei gebrochen, so hatte er letztlich keine Chance. Sie verbanden ihm die Augen, und als sie ihm das Tuch abnahmen, lag er in einer finsteren Zelle. Von diesem Tag an versuchten sie fünfzehn Monate lang, diesen Häftling in Amna Suraka zu brechen.

      Wir gehen durch schmale Flure mit grauen Wänden, grauen Zellentüren und grauen Gittern. Wir kommen an vier Gemeinschaftszellen für Männer vorbei, diese waren damals stets vollgestopft, und an einer Gemeinschaftszelle für Frauen, dort wurden auch mehrere Kinder geboren. Skulpturen aus Gips tauchen vor uns auf, Werke des Künstlers Kamaran Omer: zwei Kinder, die sich an den Händen halten, und ein Häftling, der an eine Wand gekettet ist. Dreizehn Einzelzellen hatte das Gefängnis, sie waren gerade einmal drei Quadratmeter groß. Wir sehen gekritzelte Graffiti und schmutzige Decken auf dem Boden, man hat sie als Blickfang für den heutigen Besucher liegen lassen.

      „Das hier ist Atta Ahmad Kader“, erklärt Ex-Häftling Tahsin und zeigt auf eine Statue. Atta war Lehrer und sang im Gefängnis immer wieder die Hymne des freien Kurdistan, mochten ihn die Wärter deswegen auch noch so fürchterlich prügeln. Er sang so laut, dass die anderen Gefangenen es hörten, es war wie eine Injektion, die alle Insassen stärken sollte. Er wurde ins Gefängnis Abu Ghraib verlegt und dort hingerichtet. „Atta ist“, so Tahsin, „zu unserem Widerstandshelden geworden.“

      Tahsin weiß noch genau, wohin er damals gebracht wurde. Er trug die Häftlingsnummer 8 und landete in einer der Einzelzellen. „Jeder von uns hatte drei kleine Schalen: eine für das Essen, eine für Wasser, eine für Urin und Kot. Sie standen immer nebeneinander und es stank fürchterlich.“ Morgens um sieben gab es ein Stück Brot mit Tee oder Suppe, mittags Reis mit Suppe, das war’s. Manchmal hob er vom Mittagessen ein wenig auf, um abends noch einen Bissen zu haben. Wasser gab es einmal am Morgen und einmal am Abend, insgesamt einen Liter pro Tag. „Zweieinhalb Monate saß ich in dieser Zelle“, berichtet Tahsin. „Manchmal, wenn kein Wärter in der Nähe war, wisperten wir Neuigkeiten in die Nachbarzelle hinüber. Wir machten uns gegenseitig Mut. Als Saddam Hussein Kuwait besetzte, klammerten wir uns daran, dass die Amerikaner kommen würden – es war wie ein Traum, den wir ständig träumten.“

      Wir kommen in die zwei schlimmsten Räume. In ihnen wurden die Häftlinge verhört. Die Gipsfiguren, ebenfalls von Kamaran gefertigt, zeigen auf realistische Weise, wie das vor sich ging. Wer nicht reden wollte, wurde rücklings auf den Boden gelegt. Zwei Männer banden seine Füße an eine Stange, die sie dann in Hüfthöhe hochzogen, sodass die Füße schräg nach oben zeigten. Ein Dritter schwang einen Stock und ließ ihn auf die Fußsohlen niedersausen. „Das war gar nicht mal so schlimm“, meint Tahsin, „das haben viele ausgehalten.“ Ich starre ihn ungläubig an, schon wieder so eine erstaunliche Person. Er lächelt sanft wie ein christlicher Pfarrer, der einem armen Sünder verzeiht.

      „Aber das hier war wirklich die Hölle“, sagt er, als wir in den nächsten Raum gehen, und nun schwindet das freundliche Lächeln

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