Erstflug. Matthias Falke
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Im Grunde war er ja nie im Raum gewesen. Vor Jahren ein Kongress auf Luna II. Natürlich war das aufregend. Aber der Flug dauerte nur ein paar Stunden. Der Aufenthalt unterschied sich kaum von einem Dutzend anderer in irdischen Tagungshotels. Und dann war es schon wieder vorbei gewesen.
Mit Kathy hatten sie immer einmal zu den Vergnügungskuppeln von Luna III gewollt. Wenn sie einmal mehr Zeit hatten als ein Wochenende jeden zweiten Monat. Bis jetzt hatte es sich nie ergeben. Vielleicht während der Flitterwochen? Zum zweiten Mal kurz hintereinander spürte er, wie sich etwas in ihm zusammenkrampfte. Er musste den Knoten in der Magengrube langsam wegatmen. Noch war nichts entschieden. Es würde sich alles fügen!
In der warmen Septembersonne sitzend, aktivierte er sein Display und widmete sich den Terminen. Paris war erst Anfang übernächster Woche. Dann konnte er das nach Budapest machen. Und da die kommende Woche frei war, hatte er nach Kauai noch ein paar Tage, um in Pensacola vorzusprechen. Man hatte ihm zwar noch nicht mitgeteilt, wie das offizielle Prozedere aussehen würde, aber wenn er quasi auf der Durchreise war, konnte er ja einmal kurz Station machen.
Dabei fiel ihm ein, dass er zwar den Eingang des Briefes quittiert, aber noch nicht geantwortet hatte. Musste er sich dort irgendwie melden? Das Schreiben verkündete das factum brutum, als sei es eine ausgemacht Sache. Von einer Rückbestätigung war nicht die Rede. Sie hätte er auch erst nach dem Gespräch mit Kathy gegeben. Aber wenn sie nun gar nicht nötig war? Wenn sie einfach davon ausgingen, dass er eine solche Chance sowieso nicht ausschlagen konnte. Und würde er das wollen?
Ohne einen bewussten Entschluss war er aufgestanden. Als er aus seinen Grübeleien in die Realität zurückkehrte, fand er sich auf dem Feldweg wieder. Er musste schon mehrere Minuten gegangen sein. Die ersten Höfe und Appartementhäuser des Ortes lagen vor ihm. Er seufzte. Eines nach dem anderen. Dann kehrte er zum Gasthof zurück.
Er aß im Restaurant zu Abend. Die Küche war wirklich hervorragend. Eine der besten im Umkreis von mindestens hundert Kilometern. An den anderen Tischen saßen ältere Ehepaare, auch mal einen Vierergruppe. Sie musterten ihn abfällig. Er war allein, er war viel zu jung, er war äußerst leger gekleidet. Dann widmeten sie sich wieder ihren Gesprächen, die um Aktienkurse und Schönheitsoperationen kreisten. Er studierte die Nachrichten auf einem kleinen Schirm. Kämpfe im Nahen Osten und Kurdistan, am Khyberpass und in Oman, im Tschad und am Oberlauf des Orinoko. Die Union erhob den Anspruch, die Menschheit zu repräsentieren, aber es gab immer wieder Gebiete, die sich von ihr lossagten. Die sogenannte westliche Welt, die zivilisierten Völker, die raumfahrenden Nationen! Doch es mangelte nicht an Stämmen, Religionsgemeinschaften und halben Kontinenten, die Wert darauf legten, diesem Club, wie sie sagten, nicht angehören zu wollen. Die Segnungen der modernen Medizin, die Rechtssicherheit in einem säkularen und laizistischen Weltstaat, die wissenschaftliche Erforschung ferner Welten, die Ressourcen, die von mehreren Dutzend extraterrestrischer Basen und Minen, vom Mars bis zu den fernsten Außenposten iKuipergürtel, zur Erde flossen – all das erachteten sie für null und nichtig und hingen lieber ihren heiligen Büchern, Überlieferungen und sogenannten Offenbarungen nach, die im wesentlichen darin zu bestehen schienen, einander abzuschlachten.
Laertes schaltete die Sendung ab.
Er ging auf sein Zimmer, aber nur um festzustellen, dass er nicht müde war und dass er das Alleinsein heute nicht gut vertrug. Er rief die Rezeption und orderte eine Flasche Wein. Auf der Terrasse war es immer noch angenehm warm. Die Sonne war untergegangen. Alles war blau und still. Der Himmel war ungeheuer groß.
Als sie neben ihm stand, war ihm sein Erschrecken unangenehm. Er hatte sie nicht gehört. Sie hatte die Cloggs gegen weiche Sneaker vertauscht und das Dirndl gegen ein sportives Dress.
»Entschuldigung«, sagte sie betroffen, als sie bemerkte, wie er zusammenzuckte. »Ich hätte klingeln sollen.«
»Es ist schon gut.« Er lächelte ihr tapfer zu. »Stellen sie das einfach hierher.« Er wies auf den kleinen Tisch, der neben der ausnehmend bequemen Liege stand.
Sie folgte der Aufforderung. Der Wein war schon geöffnet. Sie schenkte ein. Er probierte und nickte dann zerstreut.
»Schöner Abend«, sagte sie versonnen.
»Ich habe gedacht, Sie hätten frei«, erwiderte er. »Heute Mittag ...«
»Nachmittags habe ich ein paar Stunden Freizeit«, plauderte sie unbefangen. »Dafür ist abends wieder Dienst.«
»Rezeption?« Er musterte sie. Ihr Aufzug hätte eher zu einer Aufseherin in einem Fitnessstudio gepasst.
»Eigentlich unten«, sagte sie. »Sie wissen, dass wir eine Kegelbahn haben! Auch eine Bar, ein Sonnenstudio, ein Kino!«
»Ich habe den Prospekt gelesen.«
»Wollen Sie nicht nach unten kommen? Es sind auch nicht viele Leute da.«
Er sah sie an. Sie stand da, kippelte nervös mit dem rechten Fuß, rieb die Hände aneinander. War sie eine wie Trixi, die sich auf diese Art etwas dazu verdiente? Sie war hübsch. Blaue Augen, eine kleine Nase. Die Zöpfe waren vermutlich Vorschrift.
Vermutlich mangelte es auch nicht an Gelegenheit. Zwar waren die meisten Gäste graumelierte Paare in den Sechzigern, aber hin und wieder stieg bestimmt auch ein pensionierter Zahnarzt oder ein geschiedener Rechtsanwalt hier ab.
»Danke«, sagte er. »Ich möchte gerne allein sein.«
»Sie sind anders als die anderen.«
»Müssen Sie nicht wieder runter«, fragte er. »Nicht, dass ich Sie vertreiben möchte!«
»Ich werde angepiepst.«
Sie biss sich auf die Lippe. Er sah, wie sie mit etwas kämpfte. Dann setzte sie sich in den zweiten Liegestuhl. Es war ja alles doppelt vorhanden. Jetzt bemerkte er, dass zwei Gläser auf dem Tablett standen. Nur eines war gefüllt. Er schenkte das zweite ein, nur einen Strich hoch, und reichte es ihr.
»Eigentlich bin ich ja im Dienst«, kicherte sie. Dann goß sie den Schluck mit einer raschen Bewegung aus dem Handgelenk hinunter, wie man es beim Digestif zu tun pflegt.
»Ich werde Sie nicht verraten«, sagte er.
Sie seufzte aufgesetzt. »So eine schöne Nacht.«
Inzwischen war es dunkel geworden. Der letzte blaue Widerschein im Westen war erloschen. Die ersten Sterne leuchteten auf. Einer davon zog die Aufmerksamkeit auf sich.
»Was ist das?«, fragte das Mädchen. »Der scheint es ja mächtig eilig zu haben.«
Laertes aktivierte kurz das Display und glich die Daten ab.
»Das ist kein Stern«, sagte er dann.
»Sondern?«
»Das ist die MARQUIS DE LAPLACE!«
Der silbrige Lichtpunkt strebte glitzernd und flimmernd nach Nordwesten und verschwand am Horizont.
»Davon habe ich gehört«, sagte das Mädchen. »Die bauen da ein Raumschiff.«
»Das kann man so sagen.«
»Wow!« Sie starrte noch eine Weile in den Himmel, aber der fliegende Bauplatz auf seiner niedrigen Umlaufbahn war längst wieder aus dem Blickfeld verschwunden.