Vampirnovelle. Frank Hebben
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Blut allein reicht nicht für dich. Du verwandelst dich gerade, du brauchst mehr, sonst laugt es dich aus.
Sie tut sich wirklich schwer: würgt, als sie ein Hautstück abbekommt, das sie gleich auf den Boden spuckt. Ihr Mund ist blutnass. Ich schaff’s nicht, Martin. Bitte, lass mich.
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Mit der Linken greife ich mir den Leib; mit der Rechten schäle ich einen Halsmuskel ab, den ich Ava vor die Füße werfe, als wäre sie ein Hund. Reiß dich zusammen. Schluck’s runter!
Sie kotzt in die Dusche, eine glitzernde, schwarze Pfütze.
Ruckartig ziehe ich sie hoch; halte ihr mein Klappmesser hin: Das ist ein Feeding Razor aus England. Damit geht’s leichter …
Ava nimmt es in die Hand, fühlt mit dem Daumen über den ziselierten Griff, bis sie es aufklappt.
Ich deute auf den Körper: Seine Haut wird blau, weil das Blut in den Adern stockt. Beeil dich, gleich ist es bitter.
Nein! Scheppernd lässt sie das Messer fallen.
So, du willst nicht? Aber du musst! Warum vergeude ich Zeit mit dieser Göre? Zwei Anrufe warten. Und ich will trinken. Ewiges Leben oder der Tod, entscheide dich.
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Als Voyeur betrachte ich sie durch den Türspalt: Wie sich Ava mit der Klinge selbst verletzt, sich am Handgelenk ritzt – und losheult, als sie begreift, dass sie nicht tiefer schneiden kann; weil sie leben will.
Dann wird der Hunger zu groß. Ich kenne das, habe es so oft gesehen, miterlebt, durchgemacht; und sie trennt doch ein Fleischstück ab. Ihre Finger zucken, aber sie schafft es, steckt es sich in den Mund, kaut; würgt und kaut und schluckt es runter. Es bleibt unten.
Glückwunsch. Applaudierend trete ich ein: Lass mich deine Wunden verbinden.
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Sie hockt auf dem Sofa, die blutigen Hände im Schoß, während das alte Leben von ihr abfällt. Verloren, ihr trauriger Blick, der mich gestern schon berührt hat: Wenn man nicht weiß, aber ahnt, dass deine drei Wünsche nicht in Erfüllung gehen werden: die große Liebe, das Leben im Rampenlicht – oder die Welt zu verändern, zum Guten. Wenn die Woge sich langsam, ganz langsam auftürmt; man die Kraft dahinter spürt, die über dich hinwegrollen wird, mit voller Wucht, ehe sie sich zurückzieht – nur den Schaum deiner Träume übriglässt, knisternd in der Sonne; wenn du am Strand liegst, zerschmettert, nicht als Meerjungfrau, sondern als Fisch, der bald stinkt, von Möwen gefressen, bei Ebbe, und voller Fliegen; bis die nächste Flut es fortwäscht.
Willst du was trinken?, frage ich.
Sie schüttelt den Kopf.
Na komm, sage ich; wobei ich zur Anrichte gehe, mir ein Glas auffülle, ein zweites für sie. Nimm.
Und sie gehorcht; klemmt es zwischen die Beine, ohne zu trinken, starrt nur in die bernsteinschwere Flüssigkeit, seltsam fasziniert von den Reflexionen der Kerzen.
Ich rücke den Ohrensessel heran, um ihr gegenüber zu sitzen; leere den Bourbon in einem Zug und stelle mein Glas weg, ehe ich mich gelassen zurücklehne. Gut; wer bist du?, frage ich sie. Und wer willst du sein?
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Das Gänseblümchen am Puls, neben den Schnitten; der obligatorische Totenkopf, und ein Mädchen auf der Schaukel, die nassen Haare im Gesicht. Woher die Tattoos? frage ich.
Was geht’s dich an?
Ich sauge am Reißzahn. Wie alt bist du wirklich?
Sie hebt eine Augenbraue. Siebzehn?
Gestern ein Jahr mehr …
Ja, und‽ Was soll’s? Ich hab nächsten Monat Geburtstag.
Dachte, man muss volljährig sein, um –
Nicht, wenn Papa unterschreibt.
Ach so. Okay. Die Situation entgleitet mir.
Ich muss nach Hause, sagt sie plötzlich, steht auf. Meine Mum wird sich sorgen.
Setz dich hin!
Ava fügt sich.
Ich nehme das Glas aus ihrem Schoß und koste: zu warm, zu dunkelsüß, und trinke aus, stelle es gegen meins. Hör zu …
Was?
Dein altes Leben ist weg. Paff! Vergiss deine Eltern; was du jahrelang im Klassenraum gelernt hast; deine falschen Freunde, deine öden Hobbys oder den Schulschwarm, den du sowieso nicht gekriegt hättest, nicht jetzt, aber in zehn Jahren hätte er vielleicht deinen Sportwagen repariert. Alles Schatten einer anderen Welt …
Ein Schluchzen schüttelt ihre Schultern. Was soll das bitte heißen?
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Ich will dir etwas zeigen, reiche ich ihr die Hand; und Ava lässt sich auf den Balkon hinausführen. Der Abend ist kalt und regnerisch. Noch Verkehr um die Uhrzeit, vielleicht ein Konzert im Stadion, zu dem sie hinfahren, angezogen wie Motten vom Licht. Eine Ampel schaltet auf Grün.
Sieh sie dir an, die vielen Menschen in der Großstadt … aber leben sie wirklich, oder imitieren sie ein Leben? Das Lächeln als Mimikry? Die Träume auf Raten?
Was?, fragt sie verwirrt.
Schau hin.
Auf dem Bürgersteig halten sie ihre Köpfe gesenkt, die Kapuzen hochgeschlagen; Regenschirme glänzen wie aus schwarzem Chitin. Eine gesichtslose Menge. Eine Masse von Leibern. Man konkurriert und setzt sich durch, die Ellenbogen raus! Jeder gegen jeden. Ach, sie lieben ihre Hierarchien in den kleinen Babeltürmen: Nach oben buckeln, nach unten treten, während man die Karriereleiter erklimmt, Stockwerk für Stockwerk, um oben, ganz weit oben, vom Dach zu springen, völlig ausgebrannt und verzweifelt: Es ist so einsam an der Spitze.
Nach der Uni eine Reise als Rucksacktourist, um sich selbst zu finden, und dann … erst Autos, dann Häuser … Die Kinder sind himmelblau oder pink im Casinospiel des Lebens. Oder Monopoly. Oder Fußballspiele um einen albernen Goldpokal. Die Castingshows im Fernsehen.
Ich verstehe nicht …
Der Mensch ist so viel wert, wie er verdient! Man trägt sein Gehalt wie ein Preisschild am Leib, obgleich jeder Körper spottbillig ist: nur heiße Luft und Wasser, die paar Metalle – jeder eine schlecht konstruierte Maschine. Parfümierte Affen und Schweine, diese Helden der Arbeitsfront: Wie Orden tragen sie ihre Überstunden an stolzgeschwellter Brust, doch ihre Augen sind blutunterlaufen, die Wangen grau, die Zähne gelb vom Rauchen und zu viel Kaffee. Sie sind schwach.
Was redest du da?
Was uns absolut berechtigt, sie als Beute zu reißen; wir, die Jäger – wir sind die Alphatiere, die diesem Naturgesetz folgen: fressen oder gefressen werden. Wir sind unter ihnen, außerhalb, beobachten sie mit Raubtieraugen. Wir sind die Stärksten, machen die Regeln, bestimmen, was geschieht. Verstehst du‽ Der Alkohol kratzt mich auf.
Sie starrt auf die Lichter, auf den Wechsel von Rot