Die Ratte kommt. Lydia Drosberg

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Die Ratte kommt - Lydia Drosberg

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dass sie selber Schuld ist, wenn sie so viele Sachen mitnimmt.

      Am Ende kann die Straßenbahn gar nicht zur rechten Zeit kommen, weil sie hinter der Schranke feststeckt.

      Aber nicht nur Mutti mag Vatis Allüren nicht, auch meine Schwestern sind manchmal sehr peinlich berührt, wenn sie mit Vati unterwegs sind. Da fällt mir die Geschichte mit dem Sack Heu wieder ein. Mein Vater fährt mit Eleonora und Marlene zu Onkel Gert aufs Land, um einen riesigen Sack Heu von ihm zu holen. Angela, unsere Cousine, will an diesem Tag auch zurück in die Stadt und so fährt sie gleich mit meiner Familie mit. Bei Onkel Gert gibt es zuvor noch wie üblich einen guten Schnaps für Vati und dann geht es los.

      Der Sack ist ja eigentlich nicht schwer, aber sehr unhandlich. Vati macht es sich einfach. ‚Wozu habe ich drei Mädels dabei’, denkt er und rennt ohne Sack voraus. Die Mädels rennen mit dem Monster hinterher. Vati treibt die drei an, weil es ihm schon wieder nicht schnell genug geht. Im Dorf ist ihnen der Sack zwar lästig, aber noch nicht peinlich, denn Heusäcke sind hier alltäglich. Im Zug sieht die Sache schon ganz anders aus und in der Stadt steigt ihnen endgültig die Schamesröte ins Gesicht.

      „Mann, Vati, kannst du das Drecksding nicht alleine tragen?“, fragt Marlene.

      Doch Vati denkt gar nicht daran. Er hetzt die drei Mädels mit dem Sack über den Bahnhofsvorplatz, weil er schon wieder Angst hat, die Straßenbahn zu verpassen.

      „Ohne dieses blöde Ding könnte ich auch so schnell rennen“, meint Angela und sie wünscht sich, nie mit ihren Verwandten mitgefahren zu sein.

      Vati ist schon fast an der Straßenbahnhaltestelle, da brüllt er ganz laut „Mädels, macht doch mal ein bisschen schneller, die Straßenbahn fährt gleich los!“

      Ela verdreht die Augen und ist stinksauer. Vati setzt schon mal seinen Fuß aufs Trittbrett, damit die Straßenbahn nicht losfahren kann. Die drei erreichen ihr Ziel und steigen mit dem Heusack ein. Sie verkrümeln sich gleich nach hinten. Vati bleibt vorne sitzen. Das blöde Ding, das wesentlich größer ist als sie selber, wird mit einem wütenden Fußtritt in die hinterste Ecke geschoben. Da steht er nun und droht zu kippen. Die Straßenbahn ist noch nicht voll. Die Mädels verschwinden und suchen sich einen Sitzplatz. Danach tun sie so, als würde der Sack nicht zu ihnen gehören.

      Vati hat Angst um seinen Heusack. „Eleonora, Marlene, kümmert ihr euch auch um den Sack?“, brüllt Vati ganz laut durch die Straßenbahn.

      Die beiden laufen vor Scham ganz rot an und fangen an zu prusten. Angela ist das Ganze peinlich und sie würde am liebsten im Erdboden versinken. Doch sie muss immerzu lachen, sodass es niemanden verborgen bleibt, zu wem der Sack gehört.

      Mein Vater gibt keine Ruhe und schreit abermals durch die Straßenbahn: „Eleonora, Marlene, passt ja auf den Sack auf!“

      Den Mädels wird es heiß und kalt, alle Blicke sind auf sie gerichtet. Die hübschen Jungs dort drüben, die an der letzten Station eingestiegen sind, grinsen sie auch schon ganz blöde an. ‚Mann, dass Vati uns auch immer wieder in solch eine beschissene Situation bringen muss’, denken meine Schwestern.

      Vati interessieren die Empfindungen seiner Töchter nicht, er nervt ungeniert weiter: „Kinder, wir steigen die nächste Station aus. Vergesst mir ja den Heusack nicht!“

      Jetzt müssen sie auch noch Farbe bekennen und das blöde Monster aus der Straßenbahn bugsieren.

      Marlene sagt: „Ich fasse das Scheißding nicht an.“

      Wieder kommt es von vorn: „Eleonora, nimm ja den Sack mit!“

      Ein junger Mann mischt sich in das Gespräch ein und sagt belustigt: „Eleonora, nu’ nimm schon den blöden Sack mit!“

      Alle in der Straßenbahn fangen an zu lachen. Marlene und Angela springen einfach ohne Heusack aus der Straßenbahn. Ela überlegt einen kurzen Moment, was sie machen soll. Sitzen bleiben geht nicht, irgendwann muss sie ja aufstehen. Das Monster stehen lassen? Da würde ihr Vati schon was erzählen! So wartet sie bis zum letzten Augenblick, schnappt sich den Sack und zerrt ihn blitzschnell aus der Straßenbahn. Die Bahn fährt los und mit ihr verschwinden auch die grinsenden Gesichter, die sie so hämisch aus dem Fenstern anglotzen.

      Vati ist schon, bevor die Straßenbahn losfuhr, über den Schienen verschwunden. Er rennt voraus und die Mädels mit dem Sack gackernd hinterher.

      Wenn ich mit Vati zu Tante Ella reise, dann ist das ganz lustig. Ich muss keinen großen Koffer schleppen; meine paar Sachen passen bei Vati in die Tasche, und ich renne sogar noch einige Schritte ihm voraus. Wir nehmen den Zug nach Rostock. In Neustadt/​Dosse müssen wir umsteigen. Dann geht es weiter mit einem Bummelzug nach Altburghof. Dort steht dann eine andere Bahn bereit, solche Waggons habe ich vorher in meinem Leben noch nie gesehen, vorne und hinten offen. Da kann man während der Fahrt draußen stehen. Im Abteil befinden sich Holzbänke.

      „Ramona, flitz schon mal voraus und reserviere uns zwei Plätze“, sagt mein Vater.

      Schnell klettere ich auf die Plattform vom Waggon, öffne die Tür zum Abteil und setze mich auf eine Bank neben dem Fenster. Meine Trainingsjacke schmeiße ich auf den mir gegenüberliegenden Platz, um ihn zu reservieren. Ehe ich mich versehe, ist das Abteil voll. Vati kommt ganz zum Schluss und setzt sich zufrieden auf meine Trainingsjacke.

      Und schon fährt der Zug los. Felder und Häuser rauschen an uns vorbei. Noch ein paar Stationen, dann sind wir in Altburghof. Vati hat super gute Laune. Er ist hier sowieso ganz anders als zu Hause. So aufgekratzt und freudig ist er daheim nicht.

      Als wir in Altburghof ankommen, ist der Bus natürlich gerade wieder vor unserer Nase weggefahren. Auf den nächsten warten, würde zu lange dauern. Eigentlich haben wir diesen Bus noch nie bekommen. Irgendetwas ist immer. Entweder ist er gerade weg oder er kommt mit Stunden Verspätung oder er fährt gar nicht. Manchmal zweifle ich an der Existenz dieses Busses.

      Doch wir lassen uns dadurch den Vormittag nicht verhageln. Vati nimmt seine Tasche und wir wandern los. Immer die Landstraße entlang. Zuhause gibt es ein Bild, auf dem sieht es genauso aus wie hier. Die Landstraße, rechts und links Bäume und viele Felder soweit das Auge reicht. Vati erzählt mir, was auf diesen Feldern wächst, wie man sie bestellt und wann sie abgeerntet werden. Soviel hat er sich noch nie mit mir unterhalten. Jetzt fängt er sogar an zu singen. Zwar nicht so gut wie Mutti, aber na ja. Umsonst ist er nicht aus dem Kirchenchor geflogen, denke ich. Er kann zwar laut singen, aber auch ziemlich schief. Ich finde das lustig und singe kräftig mit.

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