Stimmen des Yukon. Birte-Nadine Neubauer
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»Der Verstand kann uns zwar sagen, was wir tun sollten, aber nur das Herz kann uns sagen, was wir tun müssen«, murmelte Julie vor sich hin. Ihre Stirn legte sich in Falten, ihre Augen weiteten sich und ein leichtes aber tiefes Seufzen war zu hören, als sie ausatmete.
Ihre geliebten Tiere! Sie hatte deren Versorgung in der Zeit, in der sie nicht da sein würde, sorgfältig geplant. Die ganze Familie wollte mithelfen, so dass sie sich wirklich nicht zu sorgen brauchte. Ein Kribbeln in der Magengegend verriet dennoch ihre Wehmut, wenn sie daran dachte, dass sie alle und alles, was sie liebte, so lange nicht mehr sehen würde.
Allmählich begannen sich ihre Gedanken jedoch wieder zu lockern und ein leichtes Lächeln umspielte ihre geschwungenen Lippen. Es dauerte nicht lange und euphorisierende Gedanken der Vorfreude überkamen sie. Ihr Herz schien sich beinahe überschlagen zu wollen. Ein Schauer durchlief ihren Körper und ihre Hände begannen zu zittern. Unwillkürlich formten sie eine Faust. Ihre Empfindungen überwältigten sie. Sie juchzte und ihre Beine begannen beinahe wie von selbst zu tanzen. Der Wind hatte sich währenddessen in einen Sturm verwandelt und der Regen wurde zunehmend heftiger. Es war, als ob die Naturgewalten in Einklang mit Julies Gefühlen standen und diese noch verstärkten.
Langsam ebbte der Ausstoß der Endorphine wieder ab. Erschöpft setzte Julie sich an Ort und Stelle zu Boden. Sie zog ihren Rucksack, den es zu packen galt, näher zu sich heran. »Nun, was hetzt mich?«, dachte sie und entschloss sich für einen Moment, ihren Gedanken weiter nachzuhängen. Sie realisierte überrascht, dass sich das Wetter beruhigt hatte, und schmunzelte.
Ja, so ist das mit den Gedanken, stellte sie fest. Sie keimen auf, geben ihren Inhalt preis und ändern sich manchmal in so hoher Geschwindigkeit, dass es gelegentlich schwerfällt mitzukommen. Wie der Wind, der sich von einer Sekunde zur nächsten ändern konnte, verglich sie. Sogar wie das Leben selbst. Was in einem Augenblick ist, kann im nächsten Moment schon nicht mehr sein und ihre Erfahrungen untermauerten diesen Gedanken nachhaltig. Sie seufzte und überlegte, warum man sich manchmal durch die Gedanken so sehr aus der Ruhe bringen ließ, obwohl sie doch von solcher Flüchtigkeit waren. Oftmals kam es nicht darauf an, sie beibehalten, sie verdrängen oder gar bekämpfen zu wollen, sondern sie einfach nur gewähren zu lassen.
Julie erinnerte sich, wie sie bereits als Kind bei Filmen wie ›Der Mann in den Bergen‹ eine heimliche Sehnsucht entwickelt hatte und wie sie gebannt die Tier- und Naturaufnahmen in sich aufsog. Diese Einheit von Mensch, Tier und Natur gab ihr jedes Mal eine tiefe innere Zufriedenheit. Ihr Vater erzählte ihr einmal, da sie sich selbst nicht mehr daran erinnern konnte, wie sie ihn im Alter von ungefähr fünf Jahren beim Betrachten eines Globus fragte, wo denn Kanada liege. Verdutzt zeigte er es ihr und fragte sie zugleich, warum sie dieses Land interessiere. Sie gab ihm zur Antwort, dass sie dort einmal leben wolle und er beschrieb, wie ihre grünen Augen dabei gefunkelt hatten. Seine Worte klangen in ihrem Gedächtnis, als habe sie diese erst am Tag zuvor aus seinem Mund gehört.
Sie liebte dieses Land! Den Nordwesten Amerikas. Wenn es an etwas keinen Zweifel gab, dann daran. Julie gestand sich selbst vor langer Zeit schon ein, dass sie sich mit diesem Land auf unerklärliche Weise verbunden fühlte und Sehnsucht empfand, wenn sie daran dachte. Fragte man sie, warum sie immer den Westen Nordamerikas als Reiseziel wählte, gab sie stets zur Antwort, dass ihr Herz dort leben würde und sie es eben von Zeit zu Zeit besuchen müsse. Manchmal bildete sie sich sogar ein, das Land würde regelrecht nach ihr rufen.
Eine unerfüllte Sehnsucht, die sie bis zum heutigen Tag beherrschte, war eine Reise weiter hoch in den Norden. Ja, der Yukon sollte es sein! Sie wollte die Mannigfaltigkeit des Landes, mitsamt der Schönheit, der Härte und den Gefahren, die von ihm selbst und den dort lebenden Tieren ausging, so hautnah wie möglich erleben. Julie war mit der Natur und den Tieren groß geworden. So vieles in ihrem Leben deutete auf ihre Naturverbundenheit und Tierliebe hin und sie vermutete, dass tief in ihrem Inneren etwas schlummerte, das sie auf ungewöhnliche, stille Weise mit ihnen in Verbindung treten ließ.
Julie schluckte kurz, während sie überlegte, ob ihre bisherigen Beobachtungen und Erfahrungen auch wirklich für dieses raue Land genügen würden. »Was soll’s!«, brummte sie. »Das werde ich ja dann schon sehen«, setzte sie beinahe trotzig nach.
Nun wollte sie aber endlich beginnen zu packen und schwang sich mit einem geschmeidigen Sprung auf die Beine. Der Wind war zum Erliegen gekommen und der Regen hatte einen monotonen Rhythmus gefunden. Es dauerte keine zehn Minuten und Julie hatte alles in ihrem Rucksack verstaut. Zufrieden stand sie nun da, mit den Händen in der Hüfte, als sie ein sanftes Tippeln hinter sich vernahm.
Ihre Hündin Tipsy lief ihr mit gesengtem Kopf und hängender Rute aus dem Nebenzimmer entgegen. Das Unwetter und die Unruhe Julies hatten sie schlafen lassen, aber der gepackte Rucksack beunruhigte sie dafür umso mehr. Sie wusste nur zu gut, was dieses Ding zu bedeuten hatte. Traurigkeit und Sorge lagen in ihrem treuen Hundeblick.
Julie kniete sich zu ihr nieder. »Na meine Kleine?«, begann sie, während sie ihre Hände nach dem Kopf der Hündin ausstreckte. »Du weißt, was schon bald kommen wird, nicht wahr? Es wird nur länger sein als gewöhnlich.« Den Kopf ihrer Hündin in ihren Händen haltend, verharrten beide von Angesicht zu Angesicht. Julie kraulte sanft die samtigen Ohren der Hündin und sah ihr dabei in die Augen. »Ich kann dich wirklich nicht mitnehmen und die Jüngste bist du auch nicht mehr. Du brauchst dich nicht zu sorgen. Ich werde gut auf mich aufpassen und jeden Tag an dich denken, und das weißt du.« Sie machte eine kurze Pause, in der sie hörte, dass der Regen aufgehört hatte. Dabei lag ein feines Lächeln auf ihren Lippen. »Wo hast du eigentlich Joky gelassen? Hast du sie auf so weite Exkursion geschickt, dass sie es vor dem ungemütlichen Wetter nicht mehr zurückgeschafft hat und sie woanders Unterschlupf suchen musste?«
Die Brauen der Hündin zogen sich nach oben und kaum dass Julie sich versah, hatte sie eine kalte und feuchte Hundenase in ihrem Gesicht. Die Hündin stand nun unruhig und schwanzwedelnd vor ihr, abwechselnd knurrend oder bellend.
»Du hast wohl etwas gehört. Bist eben meine Feine!«, sagte sie lachend, als die Hündin sich wieder niederlegte.
Nun vernahm auch Julie ein Klacken an der Eingangstüre. »Aha!« Sie stand auf und hörte es erneut. »Geht es dir mal wieder nicht schnell genug?« Zügig ging sie zur Türe und erneut klackte es. Sie sah wie die klaren Kulleraugen so gut es ging durch die Glasscheibe der Haustüre ins Innere zu spähen versuchten. Die kleine schildpattfarbige Katze musste sich dafür auf ihre Hinterbeine stellen, um über den unteren Rand der Türe hinwegsehen zu können. Ihr Kopf bewegte sich unruhig von rechts nach links und auf und ab.
»Ich komme ja schon!«, rief Julie laut.
Ein vorwurfsvolles Miauen ertönte, als die Katze bemerkte, dass sie erhört wurde.
Mit einem herzlichen Lachen öffnete Julie schließlich die Türe und ließ eine durchnässte, schlecht gelaunte und meckernde Katze in die Wohnung. »Hallo, da bist du ja, Joky. Wie schaust du denn aus?«
Immer noch etwas vorwurfsvoll, aber zunehmend freundlicher schmiegte sich die Katze nun um Julies Beine.
»Zu was der Türvorleger doch alles gut war!«, dachte sich Julie. Die Katze brauchte nur mit ihrer Pfote eine Ecke des Vorlegers anzuheben und nachdem sie es losließ, fiel es mit einem Klacken wieder zu Boden.
»Super Sache dieser Vorleger, was Joky? So kann ich dich nie überhören.«
Noch geduldig verharrend, machte sich jedoch allmählich ein Anflug von Eifersucht in dem kleinen schwarzen Körper der Hündin breit, während sie das Tun der beiden betrachtete. Als sie es schließlich nicht mehr aushielt,