Drei Dekaden. Hermann Ritter

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Drei Dekaden - Hermann Ritter

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war er Mitglied in „verschiedenen Orden und Bruderschaften“, u.a. bei den Freimaurern, den Rosenkreuzern, den Sat Bahai und den Illuminaten.27

      Neben seiner Tätigkeit als Herausgeber von esoterischen Büchern war er aber auch in Briefen als magischer Lehrer tätig. Da viele Briefe vernichtet sind, kann man nur aus einzelnen Zeugnissen auf diese Tätigkeit schließen. So berichtet Fritsche von einem Briefwechsel mit Meyrink und Fragen zur Magie.28 Auch zählte Meyrink einige Esoteriker zu seinen Freunden.29

      Meyrink stirbt – fast 65jährig – 1932 in der Nähe von München. Man sagt, dass, als ihn die Mitteilung des Todes seines Sohnes erreicht hatte, ihn sein Lebensmut verließ; er wollte sterben.

      „Es ist Meyrinks letzte Nacht. Er hat solche Schmerzen, dass der Arzt Frau Meyrink rät, ein von ihm mitgebrachtes narkotisches Mittel in den Tee zu tun, den Meyrink als einzige Labung noch zu sich nahm. Meyrink fühlte diese Absicht sofort und sagte: »Ich habe nur noch eine Bitte an euch, mich in meinem Sterben nicht zu stören. Gebt mir keine Narkotika.« Er wollte den Tod ‚erleben’, ihn nüchtern bis zum letzten Atemzug erfahren.“30

      Auf seinem Grabstein steht nur Vivo – ich lebe!31

       2. Zur Geschichte der Prager Kreise

      Wenn man Meyrink verstehen will, muss man einige der ihn prägenden Elemente kennen. Das wichtigste war sicherlich Prag und dort die Prager Kreise; Literatentreffen, an denen Meyrink z.T. beteiligt war. Ich habe mich in meiner Einteilung fast nur auf Brod gestützt, weil er die ausführlichsten Schilderungen gibt.

      Trotz ihrer sehr unterschiedlichen Vertreter hatten die Prager Kreise drei unterschiedliche Prägungen gemeinsam.

      Die erste Prägung war das in Prag existierende Spannungsfeld zwischen Judentum, Tschechentum (Panslawismus) und Deutschtum (Österreich-Ungarn, und damit auch Deutschland). Alle drei Faktoren hatten einen starken Einfluss auf die Mitglieder der Prager Kreise, und alle drei Einflüsse konnten nur in Prag gleich wirken, machten diese Stadt so zu einem einmaligen Zentrum dreier Kulturen. Besonders beeindruckend ist der Einfluss der jüdischen Kultur auf das Prag dieser Zeit: „The position of the Jews inside the cultured German stratum of Prague was strange enough in itself; but the concentration of Jews among the exponents of German culture was from any point of view striking.“32

      Die zweite Prägung ist das gleichzeitige Auftreten von so vielen Literaten von Weltrang in einem engen zeitlichen und räumlichen Abstand. Die Prager deutsche Literatur ist in ihrer Konzentration nur verständlich, wenn man sich Prag wirklich als „literarische Insel“33 denkt – Prag zog die Literaten an, das Umfeld formte sie. „Das Phänomen der Prager deutschen Literatur oder besser gesagt der Prager deutschsprachigen Literatur fesselt die Aufmerksamkeit der Literaturforscher und der Leseröffentlichkeit bereits eine Reihe von Jahrzehnten. Diese Literatur repräsentiert nämlich den allerwichtigsten Komplex von Werken der Literatur, der je außerhalb der Grenzen des geschlossenen deutschen Sprachgebietes entstanden ist.“34

      Die dritte Prägung ist der Einfluss der alten Kaiserstadt Prag selbst: „(…) der Aspekt Prags in der deutschsprachigen Literatur ist ausgesprochen phantasmagorisch; die Stadt ist eine Brutstätte nicht greifbarer Geheimnisse und bedrückender Mysterien, ein Vampir, der die deutsche Seele mit gorgonischem Grauen lockt wie einst Karthago die römischen Söldner; … ein kompliziertes Gefühl, das die deutsche Terminologie Hassliebe nennt und das ein typisch erotisches Erlebnis ist: Prag selbst ist ein mit Hass geliebtes weibliches Wesen.“35 Wagenbach spricht von der „Prager Treibhausluft“, in der „Arbeiten von monströser Erotik und schwüler Sexualität“ entstanden.36

       a.) Concordia und Jung Prag

      Dieser Kreis entstand aus den Reihen der Concordia – einer Gruppe von Literaten, die sich in den 1880ern trafen. Zu ihr gehörten u.a. der Dichter Hugo Salus (geb. 1866) und Fritz Mauthner.37 Aus diesem ersten Literatenzirkel entstand Jung Prag. Dieser Kreis existierte seit 1894, festgemacht am Erscheinen von Rilkes erstem Versband Leben und Lieder.38 Dieser Kreis scharte sich um Paul Leppin. Mitglieder waren u.a. Victor Hadwiger, Oskar Wiener, Richard Teschner, Karl Wilfert, Rainer Maria Rilke, Friedrich Adler, Hugo Salus, Emil Faktor, Heda Sauer und Hugo Steiner-Prag.39

      In diesem Kreis tauchte auch zum ersten Mal Gustav Meyrink auf. Über sein Auftauchen und den Kreis im allgemeinen schrieb Steiner-Prag: „Es waren merkwürdige Jahre, die wir damals erlebten, wir, ein kleiner Kreis engbefreundeter junger Schriftsteller und Künstler, in deren festgefügte Gemeinschaft Sie eines Tages unerwartet eintraten. Wir staunten Sie an, Sie, den viel älteren, der schon äußerlich so wenig zu unserem etwas formlosen und überschäumenden Bohemetum passte, und wussten zunächsten noch nicht, was Sie (…) in unseren Kreis führte.“40 Auch Marzin erwähnt, dass Meyrink an diesen Treffen teilgenommen hat41 – neben Brod eine notwendige zweite Quelle. Im Zusammenhang mit der Kafka-Beschreibung stellt sich bei Brod eine Tendenz heraus, besonders Kafka zu überhöhen. Dies führt auch dazu, dass er Randfiguren – so sieht er offensichtlich Meyrink – nur wenig behandelt.

       b.) Der Prager Kreis

      Dieser Kreis, auch Engerer Prager Kreis oder Triumvirat (wegen Brod, Weltsch und Kafka) genannt, ist eigentlich Der Prager Kreis schlechthin. Er existierte von ca.1904 bis 1939. Ab 1908 waren die Treffen im Cafe Central, bald kam ein Wechsel ins Cafe Arco. Über das Arco sagte man „[u]nd es kafkat und werfelt und brodelt und kischt.“42 Die zentrale Figur dieses Kreises war Max Brod. Außer ihm zählten noch Felix Weltsch, Oskar Baum, Franz Kafka, Ludwig Winder, auch Egon Erwin Kisch, Paul Leppin, Rainer Maria Rilke und Hugo Bergmann zu diesem Kreis.

      Zur Idee des Prager Kreises schrieb Brod: „Auch dass wir keinen Lehrer und kein Programm hatten (…). Es sei denn, dass man Prag selber, die Stadt, ihre Menschen, ihre Geschichte, ihre schöne nahe und ferne Umgebung, die Wälder und Dörfer, die wir eifrig in Fußmärschen durchwanderten, als unseren Lehrer und unser Programm ansehen will. Die Stadt mit ihren Kämpfen, ihren drei Völkern, ihren messianischen Hoffnungen in vielen Herzen. – Dazu trat die Bibel in ihrer Ursprache, Homer, Platon, Goethe, Flaubert. Ein Kult der Wahrheit und der unverfälschten Natürlichkeit, die wir (im Gegensatz zu den Zieraten der Neoromantiker) verehrten und suchten.“43

       c.) Nachwehen

      Auch wenn die Literatentreffen in Prag erst 1939 endeten, so bildete der 1. Weltkrieg doch eine Zäsur, der 2. Weltkrieg und der Holocaust dann das Ende. Nach dem 1. Weltkrieg gab es noch eine Art „letzten Prager Kreis“, jedoch nicht in Prag, sondern in Wien. Hier fanden seit 1922 wieder Literatentreffen statt, im Cafe Herrenhof. Teilnehmer waren u.a. Ernst Pollak, Franz Werfel, Otto Pick, Egon Erwin Kisch, Otto Groß und Franz Kafka.44

       3. Meyrinks Werke

       a.) Artikel

      Meyrinks Werk lässt sich in zwei Teile unterteilen – seine Sach-Artikel und seine phantastischen Geschichten. Bis auf wenige Ausnahmen prägten zwei Themen Meyrinks Gesamtwerk, Artikel wie Geschichten. Auf der einen Seite war dies die Stadt Prag. Darunter zählt bei den Artikeln z.B. Die geheimnisvolle Stadt oder – der wegen seinem Titel als Charakterisierung Prags bekannte – Artikel Die Stadt mit dem heimlichen Herzschlag45. Diesen Artikeln ist zu eigen, dass sie Prag mit einer fast zärtlichen Sprache beschreiben

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