Alle meine Kleider. Hannelore Schlaffer

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Alle meine Kleider - Hannelore Schlaffer

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Bild ist noch lange kein Vorbild. Ein Bild veranschaulicht eine Ahnung, bestenfalls einen Begriff – und hier begriff ich, meine Erfahrung in der Familie mit der neuen Anschauung kombinierend, was eine Frau zu sein hat: wenn Mutter, dann tragische Mutter, wenn Ehefrau, dann wider Willen, wenn Kaiserin, dann auf der Flucht. Unbeugsam auf jeden Fall. Die Schönheit als Widerstand gegen die Konvention. Und doch – wurde das Bild nicht gerade deshalb zum Vorbild? Denn der Minirock, in dem ich während und nach der Zeit der Studentenbewegung durch Frankfurt schritt und den ich auch beim Unterrichten im Gymnasium trug, war provokativ wie der stoffreiche Rock der Kaiserin, er war unerwartet kurz, wie ihr Kleid unerwartet lang und voluminös, er war hauteng wie der ihre weit und schwungvoll. Der preußische Gesandte, Graf Münster, der den Comment beherrschte und wissen musste, wie man mit einer Dame umgeht, beklagte sich über die Unhandlichkeit dieser Garderobe. Elisabeth sei, so schrieb er in einem Brief, in ihrem extravaganten Aufzug »sehr schwer zur Tafel zu führen gewesen«. Die kaiserlichste der Kaiserinnen wollte Kaiserin eben nicht sein: So war also doch das Bild zum Vorbild geworden? Die Demonstration, Frau zu sein, ohne Frau sein zu wollen, Kaiserin zu sein und die höfischen Rituale zu missachten, diesen Aufstand mag ich ihr abgeschaut haben.

      Warum eigentlich brauchen Mädchen Bilder von Fürstinnen und Prinzessinnen, warum regen diese unwirklichen, ihrem Leben so fernstehenden Modelle, ihre Phantasie an, warum müssen sie diesen Umweg in die Höhe gehen, um zur Selbstgestaltung auf dem eigenen Niveau zu gelangen? Auch meine Freundin Helga, aus deren hochgebildetem Haus ich alle Anregungen für mein späteres kulturelles Leben bezog, suchte nach einem Königskind, das sie verehren konnte. Sie wählte sich die junge Queen und sammelte von ihr stapelweise Fotos. Die englische Königin galt ihr als eine »bildschöne Frau«, worin ich ihr allerdings nicht zustimmen konnte.

      Diese Mädchenträume nehmen sich heute traurig aus, und sie wurden auch damals schon freundlich belächelt. Welche Kinderei, hinter Prinzessinnen und Königinnen herzudenken! Jedoch: wer sich in die Gesellschaft hinein entwickeln soll, wird sich immer, ob Mädchen oder Knabe, zuerst einmal hineinimaginieren. Ob Ritter oder Fürstin, ob Eroberer oder Verführerin, ob Gelehrter oder schöne Frau – der Heranwachsende begreift an diesen Bildern nichts als die gesellschaftliche Geltung, nichts als die Haltung. Es geht ihm nicht um Nachahmung oder gar Kopie, es geht um die Rolle an sich und für ihn. Den Inhalt der Rolle wird man sich charakter- und wunschgemäß selbst hinzuerfinden. Zunächst aber braucht es den Appell, das Stichwort für den Auftritt, und das ist immer, für junge Männer wie Frauen, ein Name. Dem ehrgeizigen jungen Mann eröffnet dies Stichwort, wenn es Hegel lautet oder Nietzsche, eine ganze Bibliothek, wenn es sich Einstein nennt, ein Forschungsinstitut, und einen Berufsweg, wenn er an Bismarck oder Adenauer denkt. Die Stichwortgeber für die Frauen waren, ob Fürstin oder Filmschauspielerin, in den fünfziger Jahren ohne Inhalt, sie waren Erscheinung, nichts sonst. Also habe ich mich der Erscheinung dargebracht, wie sich Jünglinge Hegel und Bismarck hingaben.

      Ich habe auch ein Gesicht gesucht und fand es, seltsamerweise, in Maria Schell. Dutzende Male habe ich diesen Filmstar porträtiert, ganze Zeichenblöcke mit den knochigen Wangen, der Hochfrisur gefüllt – es irgendwann aber aufgegeben, weil der kantige und lange Kopf mir so gar nicht gestanden hätte und weil die Schauspielerin auch keine markante Haltung zeigte. Den letzten Vorschlag für eine Gestalt, ehe ich keine Vorschläge mehr brauchte, machte mir Sophia Loren. Ich habe diesen Entwurf lange akzeptiert, ja ich schätze ihn heute noch. Dies Bildnis hatte nicht mehr den lebensfernen Adel einer Kaiserin, wohl aber den aristokratischen Hochmut des Stars und die stolze Dreistigkeit der selbstbewussten Frau. Diese Tugenden darzustellen, brauchte es keine Staatsrobe, die Provokation ließ sich ebenso gut mit der zeitgemäßen Mode bewerkstelligen.

      Von der Robe zur Mode – dies war der Weg, den ich genommen hatte, indem ich vom Bild zum Vorbild, vom reinen Anschauen zum Nachahmen überging. Eine Robe hätte es nie erlaubt, sich selbst eine Gestalt zu geben. Die Mode aber machte Angebote, die jeder ausprobieren durfte. Sie führte mitten ins Leben hinein, ins Modegeschäft nämlich, und zu dem, was die Gesellschaft als Stil, als Charakter anbot und schätzte. In den Geschäften begegnete man endlich auch den anderen, den wirklichen Frauen, den gleichaltrigen, gleichgesinnten, und erfuhr an und mit ihnen, dass dem Schein ein Sein entsprach.

      An diesem Punkt musste in jener Epoche der beginnenden Jugendrevolte die Entscheidung über das Aussehen fallen. Es gab nur die Alternativen, die in Modegeschäften entschieden wurden: Unterwerfung unter das dortige Angebot – und das hieß politisch: unter den Konsum, den Kapitalismus – oder Überbietung desselben durch kombinatorischen Einfallsreichtum und schöpferischen Übermut. Eine Variation dieser letztgenannten Haltung war von ebensolcher politischer Relevanz: die Verachtung der Mode überhaupt. Die Feministinnen wählten diese Version, die Frauen des frühen SDS in Erlangen hingegen das Spiel mit der Mode, damit sie die rebellischen Männer, die sie als ihre Leitbilder mehr denn je bewunderten, nicht nur durch Diskussionsbeiträge, sondern auch durch ihr Aussehen beeindrucken konnten.

      Die Städte, in denen ich einkaufte, Würzburg, Nürnberg, Frankfurt, Stuttgart, stehen mir, nur mir alleine freilich, für je einen Stil, der meinem Ideal, dem Gebot der Mode und dem Stand meines politischen Bewusstseins entsprach. Das Idol der großen Stoffmassen, der weiten Röcke und langen Haare, das mir Winterhalters Gemälde der österreichischen Kaiserin eingeprägt hatte, verwirklichte sich in Würzburg, wo meine bewusste Modekarriere begann. Ich wählte die Übertreibung, aber gerade in der Umkehr, indem ich in extrem schlanken Kleidern erschien, in einem Etui aus anschmiegsamem Jersey mit Tigermuster etwa und, damals eine Novität, mit Kapuze. Das war modisch auffällig, aber immerhin noch bürgerlich. In Nürnberg begann der Abschied vom einteiligen Kleid, auch die Frauenmode wurde zweigeteilt, zudem wurden die Röcke kurz und kürzer, zum Mini kamen die Hotpants. Als ich von Marburg zum Einkauf nach Frankfurt fuhr, war die Epoche der Plateausohlen angebrochen, und Lackleder wurde das erste leuchtende, bildschirmgrelle Material, das die Mode verwandte. Ich erstand also einen Lackmantel, ein weißes Lackkostüm. In Stuttgart beruhigte sich die modische Aufregung wieder, und übrig blieb die maskulinisierte Figur im Kostüm, sehr eng, oder im Herrenanzug.

      Männer in ihren Pflichtkostümen – Uniform, Anzug, Sportswear, Freizeitkleidung – tun so, als stünden Sein und Schein im Widerspruch. Je mehr Sein, je entschiedener der Charakter, je höher der Verstand, desto weniger, so sagen sie, sei der Schein wichtig. Frauen, die sich für Kleider interessieren, nennen sie oberflächlich, heiraten wollen sie nur die schöne Seele. Diese Verachtung der Äußerlichkeit der Frau, ein versteckter Orientalismus, ist bis heute nicht ganz verschwunden und verschafft den Frauen noch immer ein Schuldgefühl ihrer modischen Vergnügungen wegen. Auch die europäische Frau soll keine Blicke auf sich lenken außer nachts, und da gehört sie dem Mann.

      Die Angst vor dem Schein und seinem Erscheinen in der Frau zeigt nur, wie wichtig und wahr es ist: Das Wesen der Frau zeigt sich auf den ersten Blick; so wird es gesellschaftlich und tritt als ihre Potenz hervor. In jenen Epochen, da Frauen noch wenig Möglichkeiten hatten, sich auszudrücken, war das Kleid ihre erste Sprache. Mit ihm konnten sie sich – ihren Charakter, ihren Stil, ihren Wunsch, etwas zu sein – der Gesellschaft vor Augen führen. Anders als die Feministinnen es haben wollen, ist die Aufmerksamkeit der Frau auf ihr Aussehen keine Unterwerfung unter die Wünsche des Mannes, sondern eine erste Emanzipation von ihnen. Auch Männer haben eine Kleidersprache, doch ist diese simpel und geheimnislos. Die der Frauen ist kompliziert, sie hat einen reichen Wortschatz und ist deshalb für die, die nicht mit ihm spielen, für die Männer also, unverständlich.

      Männer haben eine Kleidung en gros; sie tragen, was zu ihrem Stand und Beruf passt. Rangunterschiede in diesem Rahmen werden durch raffinierte Andeutungen markiert, durch die Qualität der Stoffe etwa, durch eine Nuance im Schnitt, durch das Leder der Schuhe, eine Krawatte, ein Einstecktuch. Die Frauen verstehen diese wenigen, allerdings sehr leisen Signale und wissen, wann sie einen feinen Herrn, wann einen armen Schlucker, wann sie beides in einem vor sich haben.

      Die Aussagen, die Frauenkleider machen, sind hingegen schwer zu durchschauen. Männer verstehen meist nur das eine Signal: erotisch oder nicht erotisch. Die Nuancen, die mehr und anderes aussagen können, sieht vor allem

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