Einführung in die Philosophie. Daniel-Pascal Zorn

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Einführung in die Philosophie - Daniel-Pascal Zorn

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       Einleitung

      Wer sich zum ersten Mal mit Philosophie beschäftigt, sieht sich vor ein Problem gestellt. Philosophie, so will es eine Übersetzung1 des Begriffs, ist Liebe zur Weisheit. Ihr Versprechen ist, so scheint es, das Erringen von Weisheit oder zumindest die Annäherung an ein höheres Wissen. Ermutigt durch dieses Versprechen nimmt der Leser oder die Leserin den Text eines großen Philosophen – sagen wir Aristoteles, Kant oder Hegel – zur Hand. Doch was er oder sie dort findet, ist keine Verkündigung eines höheren Wissens. Stattdessen: Endlose Textwüsten, schwer verständlich geschrieben, eine verwirrende Vielzahl von Begriffen, die einem vage bekannt vorkommen, aber teilweise ganz anders verwendet werden, als man es gewohnt ist. Enttäuscht lässt man den Text sinken. Das soll die große Weisheit sein, die einem versprochen wurde? Man versteht ja noch nicht einmal, was diese Leute schreiben, geschweige denn was sie einem damit sagen wollen. Lange bevor man versteht, was ein philosophisches Problem sein könnte, erscheint einem der Zugang zur Philosophie selbst als Problem.

      Es gibt verschiedene Wege, mit dieser anfänglichen Krise in der Lektüre philosophischer Texte umzugehen. Die einen verabschieden sich ganz von ihr und bilden sich ihre Meinung über sie: Philosophie ist unverständlich, weltfremd und darum für den Alltagsgebrauch nutzlos. Weil man nichts mit ihr anzufangen weiß, erscheint sie einem wie ein Glasperlenspiel, selbstbezogen und überflüssig. Sie gibt sich den Titel großer Weisheit, ist aber noch nicht einmal ausreichend weise, diese Weisheit verständlich zu vermitteln. Das Lächerliche in diesem Eindruck wirkt wie eine Erleichterung. Es hilft dabei, die Frustration der ersten Lektüreerfahrungen zu kompensieren. Nach und nach tritt an die Stelle der unbewältigten Lektürekrise das Bild eines philosophischen Hanswursts, der einem nichts anzubieten hat. Man belächelt noch ab und zu diejenigen, die sich die Mühe machen, die Texte zu verstehen. Selber hat man jedoch erkannt, dass der Kaiser keine Kleider trägt. Auch das fühlt sich ein bisschen wie Weisheit an – und so geht man seiner Wege.

      Andere lassen sich nicht so leicht täuschen. Sie ahnen, dass die Texte, die sie nicht verstehen, nicht ganz ohne Grund als große Philosophie gelten. Also suchen sie einen Zugang. Das ist die Situation, für die Einführungen in die Philosophie geschrieben werden. Sie ist geprägt durch die Lektürekrise des Lesers oder der Leserin und damit von vornherein mit schwierigen Fragen belastet: Bin ich zu dumm für die Philosophie? Oder fehlt mir nur das richtige Werkzeug? Habe ich genug Ausdauer, Zeit, Kraft, Geduld, mir diese Werkzeuge anzueignen? Was, wenn ich den Text auch nach einer Einführung nicht richtig (oder gar nicht) verstehe? Wann weiß ich, wann ich das richtige Verständnis erreicht habe? Das Versprechen von Weisheit, das schon im Begriff der Philosophie zu stecken scheint, wird vom lohnenden Ziel zur persönlichen Prüfung. Denn wer nicht einmal den Text richtig versteht, wie soll derjenige – oder diejenige – eine darin liegende Weisheit verstehen? Wer zumindest den Text versteht, hat die Möglichkeit, der darin liegenden Weisheit nahe zu kommen. Aber wer noch nicht einmal das schafft, der hat ein für alle Mal die Gewissheit, dass er zu der Weisheit, die die Philosophie ihm verspricht, nichts taugt.

      Das ist jedenfalls die krisenhafte Situation, in die man gestürzt werden kann, wenn man auf eigene Faust philosophische Texte liest. Aus einer anderen Perspektive betrachtet, kann sie als Ausdruck einer einzigartigen Nachfrage nach Sinn und Bedeutung philosophischen Denkens verstanden werden. Wer in dieser Situation als Experte oder als akademische Lehrautorität auftreten kann, besitzt damit ein Pfund, mit dem sich potenziell endlos wuchern lässt. Das muss keineswegs böser Absicht entspringen. Vielmehr ergibt es sich aus dem System, das sich um das Rätsel der philosophischen Texte herum gebildet hat.

      Nehmen wir an, Sie möchten Kant lesen, scheitern aber am Text, weil er Ihnen nichts sagt. Also greifen Sie zu einer Einführung. Sie wurde verfasst von einer, wie Sie dem Klappentext entnehmen, Koryphäe der Kant-Forschung. Endlich ein Zugang zu Kant! Doch während der Lektüre dieser Einführung bemerken Sie, dass sich der Experte wiederum auf eine ganze Menge anderer Experten beruft. Dabei betont er keineswegs, wie Sie es erwartet haben, dass sich alle Experten einig sind. Vielmehr streicht er die Unterschiede im Kant-Verständnis heraus, stellt verschiedene Optionen zur Auswahl und deutet an, dass er die eine Option wählt, die von anderen Experten abgelehnt wird, während wieder zwei andere Experten den Text ganz anders lesen. Wer hat nun recht?

      Um das zu erfahren, müssen Sie wohl oder übel auch die anderen Kommentare lesen. In denen finden Sie nun aber einen Streit darüber, was der Autor Ihrer Einführung wohl mit einer seiner früheren Auslegungen gemeint habe. Plötzlich ist nicht mehr der Text von Kant thematisch, sondern ein Text über Kant. Man hat die Ebene gewechselt und befindet sich nun mitten in einem Forschungsdiskurs über diesen Text. Etwas ratlos fragen Sie bei einem befreundeten Philosophen nach. Er empfiehlt Ihnen, zu einem der beiden Autoren, die sich über Ihren Ursprungsautor streiten, eine weitere Einführung zu lesen. Sonst würde man nicht verstehen, aus welcher Perspektive er den Autor Ihrer ersten Einführung kritisiert. Sie lesen die Einführung und stoßen auf eine ganze philosophische Schule, auf die dieser zweite Autor zurückgreift. Es hilft nichts – um seine Perspektive zu verstehen, müssen Sie sich ausgiebiger mit dieser Schule beschäftigen. Sie müssen wieder die Ebene wechseln, von einem Text über den Text über Kant zu einem Text über diesen Text.

      Auch wenn ich es etwas überspitzt dargestellt habe – der Weg zu Kants Text führt Sie, je weiter Sie ihn gehen, immer weiter weg von Kants Text. Es ist ein bisschen wie in Kafkas Erzählung Das Schloß: Je mehr Sie versuchen, zu der Ihnen versprochenen Weisheit zu gelangen, desto weiter entfernen Sie sich davon. Oder es ergeht Ihnen wie dem Mann in der Fabel aus Kafkas Erzählung Der Proceß: Hinter jedem Torwächter, den Sie überwinden, steht noch ein weiterer, mächtigerer Torwächter. Der Text, zu dem Sie zunächst so selbstverständlich als Leser oder Leserin gegriffen haben, wird nun umstellt von Kommentaren und Kommentaren zu diesen Kommentaren und Kommentaren, die die Verhältnisse zwischen den Kommentaren kommentieren usw. Und wer die wichtigsten Lehrautoritäten nicht kennt, wie will derjenige zur akademischen Forschung beitragen können?

      Man kann natürlich versuchen, sich in diesem Diskurs einzurichten. Dafür muss man zunächst akzeptieren, dass es unmöglich ist, sämtliche Verzweigungen der Forschung auch nur zu einem einzigen Philosophen zu überblicken. Man sucht sich also eine Nische aus, in der man forschen kann, meist ein ausgefallenes Thema oder eine originelle Abwandlung einer anerkannten Herangehensweise. Was anerkannt ist, wird in vielen Fällen in den Expertendiskursen bekannter akademischer Lehrer festgelegt. Der Diskurs ordnet sich dann nicht selten nach Maßgabe akademischer Prominenz an. Und weil man zu Beginn weder anerkannter Experte, noch bekannter akademischer Lehrer ist, sucht man sich ein Gravitationszentrum, um das die eigene Forschung kreisen kann. Man passt sich an, schwimmt mit dem Strom und bleibt relevant.

      Oder man scheidet aus dem Mainstream aus, vertritt eine abweichende Forschungsmeinung und versucht sein Glück als Querdenker. Es gibt viele Geschichten über solche Querdenker, die durch harte Arbeit, glückliche Fügung oder die Förderung durch einzelne berühmte Philosophen für den gesamten Forschungsdiskurs wichtig wurden. Die Zahl dieser Geschichten verhält sich umgekehrt proportional zu der Zahl derjenigen Querdenker, die tatsächlich auf nennenswerte Weise gefördert oder auch nur für relevant oder wichtig gehalten werden. Die vielen Anekdoten über glückliche Fügungen verbergen den Umstand, dass sie außerordentlich selten sind.

      Erkennbar wiederholt sich hier das Problem vom Anfang. Entweder man wendet sich gleich von der Philosophie ab und erklärt sie für irrelevant. Oder man beruhigt die Krise, in die die Lektüre philosophischer Texte einen stürzen kann, durch die Anerkennung anerkannter Forschungsdiskurse, die einem außerdem akademischen Rückhalt verschaffen. Im ersten Fall setzt man die Selbstverständlichkeit des Alltäglichen gegen die Irritation der Philosophie. Im zweiten Fall setzt man die Selbstverständlichkeit der Meinungen über die Philosophie gegen die Irritation der – allerdings immer leiser werdenden – Frage, was das alles mit dem Text

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