Einführung in die Philosophie. Daniel-Pascal Zorn
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Im zweiten Teil dieser Einführung sollen dem Leser und der Leserin daher die Grundtechniken fairen, sachlichen und dialektisch aufmerksamen Diskutierens wieder nähergebracht werden. Dialektisch heißt dabei nicht gleich: platonisch oder aristotelisch, sondern es bedeutet, dass die im ersten Abschnitt erlernte Aufmerksamkeit der Lektüre auch im Dialog nützliche Beschreibungen hervorbringen kann. Zugleich stellt sie die selbstverständliche Vorherrschaft der sophistischen Rhetorik und des wissenschaftlichen Schubladendenkens in Frage. Wer gelernt hat, auf selbstkritisch reflektierte Weise zu diskutieren, der kann erfahren, dass Philosophie geschieht, wo wir uns begegnen, um miteinander zu sprechen.
Philosophisches Schreiben
Die im dritten Teil der vorliegenden Einführung behandelte Vollzugsweise der Philosophie ist die Voraussetzung für die erste: das Schreiben philosophischer Texte. Heute wird an vielen Stellen der Maßstab einer an der (natur)wissenschaftlichen Forschung orientierten Darstellung von Ergebnissen angelegt. Aber eine philosophische Schreibkultur, die einen philosophischen Text auf den mechanischen Ablauf »These – beliebige Argumentation – Ergebnis« zurechtstutzen will, ist nicht nur der Tod ihrer selbst, sondern auch das Ende von philosophischer Tradition.
Dabei war Philosophie die längste Zeit mit dem Experiment des eigenen Ausdrucks im Text beschäftigt. Manche ihrer Texte legen beredt Zeugnis davon ab, wie ihre Autoren versuchten, sich von einer verhärteten Form der Darstellung zu lösen und der Freiheit des Gedankens in der Freiheit des Schreibens Ausdruck zu verleihen. Das Schreiben von Philosophie lässt zudem erst eine Tradition entstehen, auf die wir uns beziehen können. Wer daher selbst irgendwann damit beginnt, philosophische Texte zu schreiben, der kann nachvollziehen, wie sehr das Lesen, das Denken und das Schreiben miteinander verbunden sind. Er oder sie lernt dabei nicht nur, wie die Philosophen, die er liest, zu lesen. Er lernt auch wie sie zu schreiben – und lernt dabei den Umweg kennen, den der Gedanke auf seinem Weg auf das Papier machen muss.
So erscheint das philosophische Schreiben in der Tradition eben nicht nur als Darlegung von Denkergebnissen oder Argumentationsketten, die diese oder jene Deduktion oder Explikation enthalten oder ermöglichen. Es ist auch ein Medium der Selbstklärung wie der Selbstproblematisierung. Im Text spiegelt sich der Autor als Sprechender – in ihm kann er sich, sein Denken, seine Begriffe, seine Überzeugungen kritisch in den Blick nehmen. Wo eine Philosophie des eingeschränkten wissenschaftlichen Blicks nur biographische Versuche erkennen kann, da stellt sich dann genau das Gegenteil ein: der Versuch, von der als selbstverständlich erfahrenen Selbsterzählung den Weg zu einer Befragung dieser Selbstverständlichkeit und dieser Erzählung zu finden. Wer so fragt, der findet sogleich ganz verschiedene Weisen, sich auf sich beziehen zu können. Und umgekehrt lernt der Leser oder die Leserin in diesen Weisen Möglichkeiten kennen, es ihm nachzutun.
Auch hier verbindet sich der experimentelle, fast literarische Aspekt philosophischen Schreibens aber mit einer Strenge, die der Literatur selbst ganz fremd ist. Das Festhalten an und Klären von Begriffen, die man in der eigenen Argumentation verwendet, der Anspruch, logisch in Übereinstimmung mit dem zu bleiben, was man voraussetzt, schließlich der Versuch, im eigenen Denken zugleich den Spiegel und die Überwindung der philosophischen Vorgänger zu finden – all das führt zu einem Schreiben, das sich selbst ständig disziplinieren muss.
Wer mit dem Leser des eigenen Textes in einen Dialog treten will, der muss diesen Leser mit einbeziehen, seinen Horizont bedenken, seine Fragen erahnen und seine Erwartungen durchkreuzen. Dass das schwieriger werden kann als gedacht, merkt, wer selber damit beginnt, philosophische Texte zu schreiben. Die eigenen Erfahrungen, der eigene historische Horizont, verschiedene Rahmenbedingungen und sprachliche Gewohnheiten finden ihren Weg in den eigenen Text. Damit erschließt sich für den philosophisch Schreibenden aber zugleich, warum ihm philosophische Texte anfangs so unverständlich erschienen sind.
Auch das Schreiben ist – wie das Lesen – durch die Abwendung von der Schriftkultur der letzten beiden Jahrtausende keine selbstverständliche Kulturtechnik mehr. Aber gerade deswegen soll in der vorliegenden Einführung – neben der Vorstellung verschiedener philosophischer Schreibweisen – die Funktion des Schreibens als kritischer Dialog mit sich selbst eine wichtige Rolle spielen. Wie die Lektüre, so muss auch das Schreiben wieder als eine Praxis, eine Fähigkeit und nicht nur als eine Darstellungstechnik verstanden werden, damit die Philosophie in Zukunft neue Wege finden kann.
1 Schadewaldt, Wolfgang: Die Anfänge der Philosophie bei den Griechen. Die Vorsokratiker und ihre Voraussetzungen. Tübinger Vorlesungen, Bd. 1, Frankfurt a. M. 1978, S. 13.
2 Aristoteles’ Protreptikos, Frgte. 51,1–5 R3, zitiert nach: Aristoteles: Werke in deutscher Übersetzung, Bd. 20. Fragmente zu Philosophie, Rhetorik, Poetik, Dichtung Teil I, hg. v. Hellmut Flashar, Berlin 2005, S. 50–51: »[…] ob man philosophieren muss, ob man nicht philosophieren muss, (dazu) muss man in jedem Fall philosophieren.«
3 Rancière, Jacques: Der unwissende Lehrmeister. Fünf Lektionen über intellektuelle Emanzipation, übers. v. Richard Steurer, hg. v. Peter Engelmann, Wien 2009, S. 35.
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