Schwarzes Geld für schwarze Schafe. Christopher Stahl
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„Klar, wenn man Schnecken- oder Schildkrötenrennen aufregend findet. Diese Hilfeersuchen quer durch die Hierarchien haben nichts mit mangelnder Disziplin oder Ungehorsam zu tun. Es ist einfach Notwehr. Das BKA arbeitet ja ansonsten auch mit anderen deutschen Sicherheitsbehörden zusammen. Zum Beispiel in gemeinsamen Ermittlungsgruppen im Zusammenhang mit Geldwäsche oder Rauschgiften, aber in der Regel nicht direkt mit Inspektionen wie der unseren. Zu den Ermittlungsmethoden der Kollegen gehört auch die, der so genannten heimlichen Informationsbeschaffung, also der Einsatz von verdeckten Ermittlern, geheime Bild- und Tonaufzeichnungen oder Eingriffe in das Post- oder Fernmeldegeheimnis. Per Saldo tun wir damit also nichts Ungesetzliches, wir agieren nur schneller. Jedenfalls, ich schulde Dieter noch einen Gefallen. Bei einem unserer Pflichtseminare, das er als Referent leitete, hatte ich mich etwas abseits der Norm bewegt. Wenn das aufgeflogen wäre, hätte das meine Ablösung und damit zumindest eine Laufbahnsperre nach sich gezogen. Aber das tut hier eigentlich nichts zur Sache. Es ist ja auch schon so lange her.”
Ich blickte ihn fragend an.
„Sie wollen es anscheinend unbedingt wissen. Also, gut, bevor Sie sich in wüsten Spekulationen ergehen …”, seufzte Koman. „Die bewusste Fortbildungsveranstaltung fand vor etwa 20 Jahren irgendwann um die Herbstzeit an der Landespolizeischule Rheinland-Pfalz auf dem Hahn statt. Da wir nicht kaserniert waren, konnten wir uns in der Freizeit ohne Einschränkung bewegen. Im Hunsrück veranstaltete zu dieser Jahreszeit gerade jedes Kaff seine Kirmes, und dabei lernte ich ein Mädchen kennen. Die junge Dame war zwar bildhübsch, aber etwas einfach gestrickt. Ich hatte schon Pullover, die waren intelligenter als sie, jedoch bei ihrem faszinierenden Lächeln und dem hübschen kleinen Beinahe-Nichts, das Sie damals anhatte, schaltete meine Verstand auf Reserve. Um ihr zu imponieren, ließ ich sie mit meiner Dienstpistole in einem Steinbruch auf leere Flaschen schießen. Und diese Dorfschönheit hatte nichts Besseres zu tun, als das zu Hause brühwarm zu erzählen, woraufhin ihr Vater sich telefonisch beschwerte. Dieter Erb sorgte dafür, dass die Sache nicht an die große Glocke gehängt wurde.
Er rief nun gestern an und bat mich, ihm allgemeine Informationen über Simonis zukommen zu lassen. Genau das, worum ich Sie auch gebeten habe.”
„Was will denn das BKA von Simonis?”
Koman wand sich sichtlich: „Das dürfte selbst ich nicht wissen, noch weniger dürfte ich das Wenige, das ich Dieter entlocken konnte, an Sie weitergeben.”
„Wir hatten heute doch schon einmal Wilhelm Busch. Was sagt der zum Thema Vertrauen?: Wer andren gar zu wenig traut, hat Angst an allen Ecken.”
„Das nenne ich Zitatenfälschung!”, erwiderte Koman, „funktioniert aber nicht, denn auch ich habe meinen Buschband zu Hause im Schrank und lese ihn sogar. Ihr Zitat ist nicht komplett, lieber Schäfer! Busch sagt nämlich weiter: Wer gar zu viel auf andre baut, erwacht mit Schrecken. Es trennt sie nur ein leichter Zaun, die beiden Sorgenbrüder; zu wenig und zu viel Vertrauen sind Nachbarskinder. Und jetzt reimt es sich auch”, fügte er mit sichtlichem Stolz hinzu, bevor er in der Sache fortfuhr.
„Also gut! Ich erzähle Ihnen einmal, was die Kollegen vom BKA so alles an Fällen auf dem Tisch haben, ohne damit irgendeinen Bezug zu Simonis herstellen zu wollen. Davon, dass Sie das unter Umständen für sich selbst tun, kann ich Sie ja schließlich nicht abhalten. Über solche überregionalen Straftatermittlungen wird ja auch immer wieder im Fernsehen berichte, in stern TV, im focus Magazin oder Monitor. Die Kollegen ermitteln da zum Beispiel … mhmm, ja, in groß angelegten Diebstählen von Luxusautos, die ohne offensichtliche Gewalteinwirkung gestohlen werden. Homejacking ist das Schlagwort.”
„Homejacking?”
„Ja, das ist ein absoluter Renner seit ein paar Jahren. Gerade letzte Woche wurde in Ludwigshafen nachts bei einem Ehepaar mit drei Kindern eingebrochen. Die Einbrecher gingen so leise und routiniert vor, dass Bewohner nichts mitbekamen. Als sie am nächsten Morgen aufwachten, waren die Diebe mit Schmuck und Bargeld verschwunden. Und auch den Porsche nahmen sie mit, mitsamt Papieren und natürlich den Originalschlüsseln.”
„Aber was hat das mit Simo…, mit unserem Gespräch zu tun?”
Koman reckte sich kurz, bevor er fortfuhr: „Da entdeckt man vielleicht durch Zufall ein paar gestohlene Autos säuberlich in Ersatzteile zerlegt auf einem polnischen ‚Automarkt‘. Und dann könnte man sich vorstellen, dass in Zusammenarbeit mit den polnischen Behörden ermittelt und eine konkrete Spur aufgenommen wird.”
„Und was kommt bei einer solchen Spur zum Beispiel ans Tageslicht?”, ging ich weiter auf das Spiel ein.
„Man überprüft dann bei Serienstraftaten unter anderem, ob und was die Opfer an Gemeinsamkeiten aufweisen. Gleiche Altersgruppe, Geschlecht, Nationalität, Zugehörigkeit zu Religionen oder Vereinen. Es gab aber auch schon Fälle, da hatten die Opfer die gleichen Lieferanten, den gleichen Hausarzt oder ließen sich vom gleichen Anwaltsbüro beraten. Dann recherchiert man natürlich, zuerst verdeckt, weiter bei dem Hausarzt oder dem Rechtsanwalt. Könnte ja auch einmal ein Steuerberater sein, wie Sie.”
„Was hätte denn so ein Hauarzt, Rechtsanwalt oder meinetwegen auch Steuerberater mit solchen Verbrechen zu tun?”
„Meistens handelt es sich bei den Tätern um Mitglieder von mehr oder weniger gut organisierten Banden, mit klaren Strukturen und Aufgabenteilungen. Wie in einem normalen Wirtschaftsunternehmen, oft sogar noch bedeutend effizienter. Die wollen vor einem Coup die Ertragsaussichten und das Risiko checken. Eine Nutzen-/Aufwandsanalyse sozusagen. Und ein Hausarzt, ein Rechtsanwalt oder auch ein Steuerberater weiß nun einmal sehr viel von und über seine Kundschaft. Wann diese sich im Urlaub befindet, ob sie mit oder ohne Auto verreist, wie es um den Schutz des Hauses – durch eine Alarmanlage oder einen Hund – bestellt ist, wie risikobereit ein potenzielles Opfer ist – ein Familienvater, dessen Kinder im Hause sind, wird zum Beispiel leichter einzuschüchtern sein als eine Einzelperson. Und dann sind ihnen oft auch die Vermögensverhältnisse bekannt. Bei einem Steuerberater trifft das natürlich eher zu, als bei dem Hausarzt. Aber, das sind ja nur Hypothesen, gelt?”
„Sicher, sicher. Das heißt aber doch, dass wir es nun mit einem weiteren Kreis an möglichen Drohbriefschreibern zu tun haben.”
„Genau. Und dadurch erscheint die Angelegenheit in einem anderen Licht. Jetzt muss ich tatsächlich davon ausgehen, dass Simonis ernsthaft bedroht ist. Andererseits kann ich ihn wohl kaum dazu befragen, geschweige denn Schutzmaßnahmen mit ihm absprechen, weil ich sonst die verdeckte Ermittlung gefährden würde. Alles, was wir tun, muss absolut unauffällig und mit äußerster Vorsicht geschehen.”
Ich lehnte mich zurück, starrte an die Decke und gab mich den boshaften Einflüsterungen eines Teufelchens namens „Rachegelüste” hin. Das wäre ja ein Ding: Simonis, der mich so erniedrigt hatte und, was ja viele wichtiger war, der eine Schande für unseren Berufsstand darstellte, als Drahtzieher einer Homejacking-Bande. Ich sah schon die Schlagzeilen vor mir: „Altruistischer Steuerberater überführt kriminellen Kollegen.” Ob das für unseren Berufsstand wirklich förderlich war? Ach was, dachte ich trotzig, meine Kollegen und ich werden bei der Öffentlichkeitsarbeit hinsichtlich dessen, was wir wirklich für unsere Mandanten tun und bewirken können, so erbärmlich unprofessionell und inkonsequent von unseren Standesorganisationen unterstützt, dass jede Schlagzeile nach dem Motto: Only bad news are good news, nur hilfreich sein kann.
Ich weiß nicht, welcher Teufel mich in diesem Moment tatsächlich ritt, jedenfalls habe ich meine Entscheidung später mehrmals bereut. Aber das Kind im Manne war geweckt. Unsere Praxis lief dank Carlo Dornhagen, unserer Mitarbeiter und einer fortschrittlichen,