Digital_Pausen. Hans Ulrich GUMBRECHT
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Die Blog-Aufgabe verpflichtet mich also pro Folge zu etwa zehn Stunden Konzentration auf Themen, die sich nur selten mit meinen laufenden Seminaren oder langfristigen Schreibprojekten überschneiden (obwohl ich mir gerade das aus Ökonomiegründen immer wieder vornehme). So werden die Blog-Einträge innerhalb der Hektik des digitalen Alltags – und erzwungen durch sie – oft zu kompakten Inseln intellektueller Intensität, die mich bei Laune halten, bei Laune für mich selbst, für meine Studenten – und manchmal sogar für meine Familie. Auch die komplementäre Ökonomiebemühung, solche Inseln der Konzentration funktional werden zu lassen, als »Vorlauf« für Buchprojekte zum Beispiel, ist nie recht gelungen (wohl auch weil ich mir so immer gleich sehr geizig vorkomme in den statistisch neutralen Augen der Leser). Vor allem entwickelt der Blog als Serie Energie in einem Zweitakt von zeitlicher Expansion und Kompression, dessen Spannung sich mit der Publikation am Samstagmorgen entlädt. Und genau im Sinn dieses regelmäßigen Ablaufs verstehe ich jetzt das Wort »Digital_Pausen«.
»Unverhofft« ist das andere Wort, das ich am ehesten mit den Wirkungen des Blog-Schreibens verbinde. Mit der Faszination der Klick-Statistik und dem Rhythmus der Konzentrationspausen inmitten digitaler Hektik – und nun auch mit einem inhaltlichen Umriss, seit das Gespräch mit Anne Hamilton über dieses kleine Blog-Buch angefangen hat. Sie hat fünfundzwanzig aus etwas weniger als zweihundert Texten ausgesucht und in vier Blöcke gepackt, die mir gleich unheimlich vertraut vorkamen. »Unheimlich vertraut«, weil ich einerseits keine Begriffe für diesen Umriss einer Inhaltsform hatte und ihn schon gar nicht mit irgendeinem intellektuellen Plan der Vergangenheit oder Gegenwart verbinden konnte, »unheimlich vertraut« aber andererseits auch und vor allem, weil ich mir gleich sicher war, schon einmal an diesem Umriss einer Landschaft von Themen, Ideen und Intuitionen (!) entlanggegangen zu sein, Schritt für Schritt wohl, ohne Landkarte und Orientierung zwar, doch nicht ganz verloren.
Dann gab ich den vier Blöcken Namen: »Das größere Ganze« für die Unruhe, so etwas wie einen Rahmen denken zu können, der die Gestalt der menschlichen Existenz umgibt (»eine Heimat«, sagte Martin Heidegger 1929 in einer Vorlesung), einen Rahmen, der, wenn möglich, weder von Göttern bewohnt (»religiös«) noch von Menschen projiziert (»konstruktivistisch«) sein sollte, einen Rahmen, in dem auch das Glück als Erfüllung Platz haben soll. »Das eigenartig Politische« benennt eine Außenwahrnehmung von mehreren Gesellschaften in der Europäischen Union, vor allem eine Außenwahrnehmung der deutschen Gesellschaft, wo »Gleichheit« in den vergangenen Jahrzehnten zum zentralen und absoluten Wert geworden ist, der eine bedrängende Form moralischer Vigilanz aktiviert hat. »Nation aus Provinzen« steht für den nostalgischen Blick eines unmittelbar vor der Wiedervereinigung ausgewanderten Deutschen, der sich ein Bild von der »Berliner Republik« ohne ihre heißgeliebte (und wohl etwas überschätzte) Hauptstadt machen möchte. »Schönheit aus Momenten« schließlich spricht von einer Einstellung ästhetischen Erlebens, die vielfache Intensitäten im Alltag entdeckt und es zugleich da, wo das Erleben zur Erfahrung wird, vermisst, von der plötzlichen Kraft des Erhabenen überwältigt zu werden.
Diese vier Blöcke fügen sich nicht zu einer kohärenten oder gar systematisch zu begründenden philosophischen Position zusammen, die bestimmte Prämissen zum Fundament hätte und so die Ableitung von Folgen und Schlüssen ermöglichte. Bestenfalls kommen also die Blöcke zusammen in einem aus dem Rhythmus der »Digital_Pausen« entstehenden Umriss, der sich nachzeichnend und verstärkend vielleicht zu einem intellektuellen Profil konturieren ließe. Doch ein Umriss, das ist gar nicht so wenig in unserer breiten Gegenwart der Simultanitäten, wo alle Vergangenheiten zugänglich bleiben oder wieder zugänglich werden und alle denkbaren Zukünfte via Simulation in das Jetzt geholt werden können. Diese Gegenwart erleben wir nun schon seit Jahrzehnten als ein Feld der Kontingenz, wo sich jeder Schritt im Bewusstsein von zahlreichen Alternativen vollzieht, die die Urteilskraft zu eliminieren und zu neutralisieren hat, als ein Feld der Kontingenz auch, das begrenzt ist von den Margen dessen, was uns notwendig erscheint oder unmöglich.
Mittlerweile ist dieses – immer noch begrenzte – Feld der Kontingenz offenbar dabei, sich in ein Universum der Kontingenz zu verwandeln, weil einerseits die bisher verbliebenen Bestände des Notwendigen zum bloß Möglichen werden (das Geschlecht zum Beispiel, in das man geboren wird, hat nicht mehr den universalen Status, Schicksal zu sein), während andererseits alles bisher Unmögliche konkret möglich werden soll (etwa ist biologische Unsterblichkeit als maximale Herausforderung zu einer Aufgabe medizinischer Forschung geworden). Diese Entgrenzung des Felds der Kontingenz zum Universum der Kontingenz, wo ohne Ausnahme jeder Gegenstand der Wahrnehmung und der Erfahrung in den Status des Möglichen rückt, diese flüchtige Gegenwart lässt sich als kollektiver und individueller Freiheitsgewinn feiern – oder als Überlastung der Urteilskraft fürchten. In Reaktion auf die Überforderung der Urteilskraft wird – möglicherweise – eine Zeit der Heilslehren heraufkommen, und vielleicht ist ja der allenthalben zu vernehmende Ton der »Self Help«-Ermutigungen schon eine erste, noch harmlose Ouvertüre in dieser Hinsicht.
Auf solche »Self Help«-Ermutigung oder gar auf ethische Handreichungen habe ich mich noch nie eingelassen – vor allem wohl, weil ich den Eindruck habe, den je nächsten eigenen Schritt viel häufiger zu stolpern, als im hehren Bewusstsein seiner Richtigkeit zu vollziehen. Entlang dem Rhythmus konzentrierter Pausen mir eine Kontur erschrieben zu haben, anscheinend, fasse ich deshalb als Ermutigung auf. Für Frank Schirrmacher, der mich auf diese Bahn bugsiert hat, klänge dies vielleicht zu bescheiden – aber leider ist es ja zu spät geworden, um auf seine Reaktion zu warten.
Stanford, Kalifornien, im Januar 2015
Nach dem Ort des Menschen im Kosmos fragen, heute
Eine komplexere, anspruchsvollere, aber zugleich weniger vermeidliche und hilflosere Frage kann man gar nicht stellen als die nach dem Stellenwert des »Menschen« im Universum. Sie ist auf der einen Seite und im konkreten Sinn eine unmögliche Frage, weil wir trotz aller naturwissenschaftlichen Fortschritte nicht genug über das Universum wissen, um auch bloß dessen Form (gibt es ein Außen zum Universum?) und grundlegende Bewegung (befindet es sich in einer Phase der Expansion oder der Kontraktion?) als Vorgaben zur einer Antwort voraussetzen zu können. Auf der anderen Seite existiert die – nicht in empirische Gewissheit zu überführende – Tradition, das Bewusstsein als jenes Merkmal anzusehen, durch das die Menschen von allen anderen Gattungen des Lebens unterschieden sein sollen (»ungewiss«, weil wir nie definitiv wissen werden, ob anderen Gattungen Funktionsäquivalente oder wenigstens strukturelle Ähnlichkeiten zu jenem Phänomen gegeben sind, das wir »Bewusstsein« nennen).
Es mag mit der Selbstbeobachtung als einer zentralen Struktur und Möglichkeit des Bewusstseins zu tun haben, dass man das Problem und die Frage nach seinem grundlegenden Ort nicht aufschieben oder gar abstellen kann, obwohl doch in aller Prägnanz deutlich ist, dass elementare Voraussetzungen zu ihrer Lösung fehlen. Am Horizont unserer institutionalisierten Wissensstrukturen oszillieren deshalb die Intuitionen und Reflexionen, welche jene Frage anstößt, in spezifischer Weise zwischen naturwissenschaftlichem und philosophischem Denkstil, wie rasch vorbeiziehende, aber uns nie ganz verlassende Wolken des Denkens. Wir sind zum Beispiel immer wieder fasziniert von Statistiken, welche die Wahrscheinlichkeit oder Unwahrscheinlichkeit der Existenz menschenähnlicher Lebensformen im Universum hochrechnen (mein Eindruck ist, dass sie am Ende immer – überraschend und enttäuschend – unschlüssig bleiben); zum naturwissenschaftlichen Denkstil gehören natürlich auch seit zwei