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sprang, als ihr Vater starb, was sie aber erst später erfuhr. Und Bethe erzählte, dass vor einem halben Jahr ihr kleiner Jan-Marcel beim Wickeln nach dem Opa gerufen habe. Aber der Opa kommt doch morgen wieder. Doch der Opa starb in dieser Nacht. Und ein paar Tage später habe Jan-Marcel beim Baden plötzlich in die Badezimmerecke hochgeschaut, gelächelt und »Opa« gesagt, »da ist der Opa!«. Bethe hatte natürlich nichts gesehen. Am Abend drauf guckte er wieder und war enttäuscht. Der Opa war nicht mehr da. Unheimlich das! Auch mit Silvesterböllern nicht wegzuknallen.

      Das sollten die mir im Institut alles erklären. Ich rief dort an, um über die Sekretärin, die sich motzig meldete, einen Termin mit Institutsleiter Professor Dr. Gabriel Rosenfeld auszumachen. Montag, elf Uhr.

      Wenn ich nur nie mit diesem Spukzeugs in Berührung gekommen wäre! Gern würde ich heute mein System auf den Speicherpunkt davor zurücksetzen. Auf Schwabenreporterin Lisa Nerz, aggressive Konventionsbrecherin ohne Identität, aber mit der Gewissheit, dass der Tod der letzte Punkt menschlicher Brutalität ist.

      Übers Wochenende schneite es. Der Vormittagsstau auf der Auto­bahn nahm bei Böblingen unerwartete Ausmaße an. Dann fand ich in Holzgerlingen trotz Navi die Wasserburg Kalteneck nicht. Ich war zu spät, als ich endlich über den Holzsteg eilte und »Schwabenreporterin Lisa Nerz, ich habe einen Termin mit Professor Rosenfeld« in die Gegensprechanlage rief.

      Der Eingangstür gegenüber stürzte eine steile Treppe in einen Gewölbekeller hinunter, aus dem Gruftmoder heraufstieg. Eine Kette bewahrte mich vor dem Absturz. In der Halle roch es nach frischer Farbe, feuchtem Stein und toten Blumen. Eine neue helle Treppe hatte man ins erste Stockwerk gewinkelt.

      »Der Professor ist aber nicht da«, empfing mich eine sehr junge Frau hinter einem Schreibtisch mit raschem Blick zur einzigen Tür, die geschlossen war.

      »Ich habe um elf einen Termin.«

      »Sie hatten!« Das blonde Sonnenscheinchen an der Tastatur lächelte tückisch. Ihre Figur steckte in einem schwarzen Etuikleid mit aufgeschlitzten Ärmeln, und unterm Tisch scharrten rote Pumps mit mindestens zwölf Zentimeter langen Stielen.

      »Übrigens, ich heiße Lisa«, sagte ich.

      Sie stellte sich mir nicht vor. Schreibkräfte haben nie Namen. Sie war an mir auch gar nicht interessiert. Dass ich kein Mann mit Doktortitel war, senkte ihren Östrogenspiegel, und als Frau stellte ich für das Figürchen im kleinen Schwarzen keine Konkurrenz dar in meinen verschlissenen Jeans mit Bikerjacke, meinem stattlichen Kampfgewicht und den Kriegsnarben im Gesicht. So was Hässliches wie ich gehörte weggepflegt, kaschiert und ignoriert. Die Finger klapperten schon wieder, die Augen klimperten den Bildschirm an.

      »Und wie heißen Sie, mein Sonnenscheinchen?«

      Sie riss die Augen auf. »Desirée … äh … Motzer.«

      »Schöner Name!« Ich rückte an den Tisch. Das Geschöpf wurde dünn und ­schmal. »Gibt es hier sonst noch jemanden? Ich war nämlich auf Geisterjagd in Ludwigsburg.«

      Desirée glitschte zur anderen Seite hinter ihrem Tisch vor und sagte: »Einen Moment bitte.«

      Ich bewunderte die Sicherheit ihres Laufs auf Stielen. Sie verschwand im Gang, der ins Querhaus der Burg führte. Im Austausch erschien, als hätte sie hinter der Ecke gelauert, eine Frau Mitte fünfzig mit Haar schwarz wie Teer, dunklen Mandelaugen, Gold an Hals und Handgelenken und teurer Eleganz in Blazer und Rock über perfekten Beinen mit schmalen Fesseln. Auch sie trug Absatz.

      Was für ein Defilee der Damen vor der geschlossenen Tür von Professor Rosenfeld! Er musste ein ausgesprochen vielversprechender Mann sein.

      »Ich bin Dr. Derya Barzani.« Sie reichte mir die Hand. »Stellvertretende Institutsleiterin. Seit Jahren interessiert sich niemand mehr für die Parapsychologie.«

      »In der Not frisst der Nerz Fliegen«, sagte ich. Denn noch herrschte politisches Gähnen. Die arabische Revolution übte erst. Noch gaben sich die Atommeiler von Fukushima beherrschbar. »Ich war mit den Haunt Hunters unterwegs.«

      Dr. Derya Barzani verschob verächtlich die Lippen, was den Zauber ihres Gesichts vergrößerte. »Das sind Scharlatane.«

      »Ja, klar. Aber sie haben Fotos gemacht, und da war ein Gesicht drauf!«

      »Gabriels … Professor Rosenfelds Schreibtisch …« Sie unterbrach sich und fingerte mit lackierten Nägeln suchend und sortierend im Köcher für längliche Bürogegenstände auf Desirées Schreibtisch herum. »… ist voll von Bildern, auf denen Geister zu sehen sind. Aber es sind nur Schatten und Lichteffekte. Wenn bei großer Blende hinten jemand vorbeihuscht, sieht es aus wie ein geisterhafter Schatten. Und die Gesichtererkennungsprogramme der modernen elektronischen Kameras stellen alles deutlicher heraus, was wie ein Gesicht aussieht.«

      »Okay.« Das war eine geistesklare Erklärung für das Gespenst, das seit der Nacht in Ludwigsburg in meinen Neuronen waberte. »Was suchen Sie eigentlich?«

      Dr. Barzani blickte mich zerstreut an. »Die Schere … die große … aber, hm, Gabriel wird sie …« Sie unterbrach sich wieder und entschied sich, erst einmal mich abzuservieren. »Was möchten Sie sonst noch wissen?«

      »Die Stimme von Küfer Paul aus dem Fasskeller, wie kommt die aufs Band?«

      »Üblicherweise kommen Stimmen in Audiofiles, weil jemand ins Mikro spricht, zum Beispiel …« Sie senkte die Stimme. »Ich bin Paul!«

      »Aber das wäre Betrug.«

      »Es wird öfter betrogen, als man gemeinhin denkt.«

      Ach so? Ich wog die Vollbluterotik der zierlichen Türkin mit Titel, Geld und Geschmack gegen die Selbstverkaufs-Offensive des Sonnenscheinchens ab. Männer mögen es jung und unkompliziert. Vermutlich hatte Desirée unlängst gesiegt und Derya beim Professor aus dem Rennen gefickt. Es herrschte Kampfstimmung. Es roch nach Blut.

      »Und Sie«, fragte ich, »decken Sie nur Betrug auf, oder gibt es da wirklich etwas?«

      »Sie meinen Telepathie und Telekinese. Wenn Sie wollen, mache ich einen Test mit Ihnen …«

      »Was für einen Test?«

      »Keine Angst, tut nicht weh.«

      Da klingelte das Telefon auf dem Schreibtisch der Schreibkraft. Die stellvertretende Institutsleiterin blickte sich suchend um und nahm dann selbst ab.

      Eine Klospülung rauschte irgendwo.

      »Oh!«, rief Barzani. »How do you do?« Dann sprach sie deutsch weiter. Nein, sie wisse nicht, wo Gabriel stecke. Ja, er habe vorgehabt, ihn – den unbekannten Gesprächsteilnehmer – vom Flughafen abzuholen, das wisse sie bestimmt. Sie sei aber Freitagnachmittag früher gegangen.

      Desirée stöckelte herbei.

      Barzani legte auf. »Hat Gabriel Ihnen was gesagt?«

      Das Sonnenscheinchen hob eine Augenbraue. »Was soll er mir gesagt haben?«

      »Er wollte doch Finley McPierson vom Flughafen abholen.«

      Beide Frauen blickten sich nach der verschlossenen Tür um. Insgesamt gingen drei Türen und ein Gang mit weiteren Türen von dem Foyer ab, das als Empfang mit Besucherstuhl, Schreibtisch und Hängeregisterarchiv diente.

      »Seit

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