Verdorbene Jugend. Horst Riemenschneider

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Verdorbene Jugend - Horst Riemenschneider страница 4

Verdorbene Jugend - Horst Riemenschneider

Скачать книгу

das ganze Abteil, außer mir. Neue Fahrgäste stiegen zu und als ich wieder fragte, wie viel Stationen es bis Suhl seien, erhielt ich unterschiedliche Auskünfte, sodass ich unsicher wurde. Von Arnstadt dauerte es noch ein ganzes Stück, bevor man mit dem Personenzug dort ankam.

      Schließlich war Suhl erreicht. Meine Großmutter Luise hatte mir eingeschärft, vom Bahnhof aus nach links zu gehen. Wenn man in Suhl aus dem Bahnhofsgebäude kam, konnte man nur nach links gehen. Dass aber gemeint war, vorn an den Bahnschranken nach links zu gehen, habe ich dann erst nach einer halben Stunde mitbekommen, als ich zurück laufen musste. Ich ging also los und gelangte in die Innenstadt von Suhl und hinter dem Marktplatz wagte ich nun doch eine Mann anzusprechen. „Ha, da biste verkehrt, mei Jung,“ sagte der und meinte ich müsste genau in die andere Richtung gehen. Weiter sagte er etwas von einer Stunde Weg. Nun spurtete ich aber los, nachdem ich mich kurz bedankte.

      Als ich ein Stück hinter den Bahnschienen war, sah ich ein großes Betriebsgebäude, an dem ich so ein „G“ erkannte, wie es im Briefkopf zu sehen war. Ich ging heran und fragte, ob ich zur Abteilung Berufsausbildung hier käme. Doch ich erhielt die Auskunft, dass es bis dahin noch ziemlich eine Stunde Weg sei. Im Eilschritt und zeitweise im Laufschritt versuchte ich bald an mein Ziel zu gelangen. Auf meinem Weg sah ich schon einen großen Schornstein und vermutete zwar richtig, dass der zu dem Betrieb gehört, zu dem ich wollte, doch der Schornstein stand am oberen Ende des Betriebes und die Abteilung Berufsausbildung war am unteren Ende, was ich damals noch nicht wissen konnte. Endlich kam ich an einen großen Betriebseingang und hastete dahin. Wieder war ich verkehrt. Ich erhielt die Auskunft, dass nun noch weitere zehn Minuten Weg nötig seien. Ich hastete weiter und gelangte schließlich an einen weiteren großen und nun endlich den richtigen Betriebseingang.

      „Zur Abteilung Berufsausbildung“, bat ich, nach dem ich ein klägliches „Heil Hitler“ stotterte. Mir war ganz schön die Luft knapp geworden. Ich gab dabei meinen Brief durch das geöffnete Schalterfenster, hinter dem einige Männer in graublauen Uniformen saßen. Einer von ihnen kam heraus und forderte mich auf, mitzukommen. Er hatte kurze rötliche Haare, trug eine Stahlrahmenbrille, die wie Gold glänzte. Die Gläser der Brille waren etwas oval. Im Gesicht und am Hals hatte der Mann viele Sommersprossen. Der Wachmann ging mit mir durch den großen Torgang, der nach der damaligen Bauweise sehr modern war. Danach ging es zweimal nach rechts und durch eine Doppeltür. Dort kam ein Treppenaufgang. Es ging drei Etagen hoch und nach links in einen breiten Gang. In der Mitte des Ganges hielt der Wachmann inne und klopfte an eine Tür.

      Auf das „Herein“ von drinnen öffnete der Wachmann die Tür und wir gingen in einen für mich eigenartigen Klassenraum, der mich ganz schön einschüchterte. Es war der Physiksaal, wie ich später erfuhr. Er hatte stufenweise aufsteigende Sitzreihen und vor den Sitzreihen eine breite große Tafel. In etwa der Hälfte der Bänke saßen ebensolche Kandidaten wie ich. Vor ihnen ein streng aussehender, gut gekleideter Mann, der mich aufforderte, meine Joppe draußen auf dem Flur anzuhängen. Dann musste ich mich in der vordersten Reihe auf die Bank neben dem Mittelgang setzen. Von da aus konnte ich nun kurze Zeit verfolgen, was den letzten vor mir für Fragen gestellt wurden. Keine davon hätte ich lösen können.

      Nachdem ich die Fragen nach meiner Verspätung beantwortet hatte, rief mich Herr Janz, wie er sich vorstellte, an die Tafel. Als ich bei ihm auf dem Tafelpodest stand, fragte er mich, welchen Beruf mein Vater hätte. Mit etwas Stolz sagte ich, dass er Schornsteinfegermeister sei. Daraufhin wurde ich gefragt, ob ich mir einen Schornstein vorstellen könne. Nachdem ich das bestätigte, gab er mir Maße an, mit denen ich das Volumen eines Schornsteins bestimmen sollte.

      Ich begann zu rechnen. Bald war ich fertig und meiner Sache recht sicher. Er schaute sich das kurz an und sagte, dass das falsch wäre. Ich suchte einen Fehler und fand keinen, worauf ich entgegnete, dass nichts falsch sei. Er behauptete wieder, dass das falsch sei. Ich prüfte noch einmal und behauptete wieder, dass die Rechnung richtig sei. Dann sagte Herr Janz: „Du kannst doch nicht sagen, es sei richtig, wenn ich sage es ist falsch!“ „Dann haben Sie falsch gerechnet“, entgegnete ich. „Nun gut“, fing er wieder an, „aber wenn die hier alle sagen, es ist falsch?“ „Dann haben alle falsch gerechnet“, bestand ich weiter auf der Richtigkeit meiner Rechnung.

       Firmenlogo des künftigen Lehrbetriebes

      Ich durfte mich setzen. Herr Janz hielt eine kurze Ansprache und sagte abschließend, dass wir alle die Prüfung bestanden hätten. Ob wir eingestellt würden entscheide sich aber erst, wenn das Abschlusszeugnis der Schule im Betrieb vorliege.

      Ich war erst einmal froh, dass Langheinrichs Voraussage nicht eingetroffen war. Was er mir ins Zeugnis schreiben würde, war dennoch ungewiss. Im Grunde genommen war ich ein ziemlich fauler Hund. Es gab Tage oder Stunden, da hatte ich einen ganz guten Durchblick. In der Note Faulheit hätte ich mir aber eine Eins verdient.

      Zunächst hatte ich nun vor, meinen Onkel Hans und dessen Frau aufzusuchen, die in einer Suhler Siedlung ein Einfamilienhaus bezogen hatten. Diese Siedlung von zahlreichen Neubau-Einfamilien-Häusern nannte man „Lautenberg-Siedlung“ und wurde wohl vom „Gustloff-Werk“ in die Wege geleitet. Die Gustloff-Werke nannten sich zusätzlich „Nationalsozialistischer Musterbetrieb“ und von so einem Betrieb erwartete man derartige Maßnahmen.

      Ich ging zurück nach Suhl und fragte mich durch. Kurz vorm Dunkel werden fand ich das Haus. So hatte ich auch eine Unterkunft für die Nacht. Am nächsten Tag fuhr ich nach Bürgel zurück. Ich hab mit der bestandenen Prüfung nicht geprahlt, aber etwas stolz war ich doch.

      Endlich war die ersehnte Schulentlassung da. Das Abschlusszeugnis war auf den 20. März 1940 datiert. Die Entlassungsfeier fand in Bürgel in der „Schärbelschänke“ statt. Die Rede vom Schulleiter war vorbei und es war gegen 19.00 Uhr. Der Wirt, Herr Heller, stellte das Radio lauter, weil Nachrichten kommen sollten. Die Zeugnisse hatten wir schon erhalten. Jedenfalls kamen nun die Nachrichten vom Radio und wir erlebten eine große Enttäuschung. Hatten wir doch gedacht, dass für uns nun viele Dinge erlaubt sind, so wurde an diesem Tag ein neues Jugendgesetz verkündet, was uns große Einschränkungen auferlegte. Zum Beispiel wurden Tanzveranstaltungen verboten. Das begründete man damit, dass man in der Heimat nicht sorglos tanzen könne, während die Soldaten „im Felde“ stehen. Laut diesem Jugendgesetz durften wir uns nicht mehr ohne Erziehungsberechtigte nach 21.00 Uhr auf der Straße oder in Gaststätten aufhalten. Rauchen war auch verboten. Erst ab 18 Jahren war alles, außer Tanzen, gestattet. Alkohol brauchte man nicht zu verbieten, den gab es sowieso nicht. Nur besonders dünnes Bier.

      Mit einem Zeugnis der miesen Mittelmäßigkeit wurde ich eingestellt. Das Warten darauf war fast wie eine Folter. Alle meine Schulkameraden traten ihre Lehrstelle an oder wussten, wann sie beginnen sollten. Erst am 1. April 1940 kam die Mitteilung, dass ich eingestellt werde und am 8. April die Lehrzeit begänne. Wenn ich im Lehrlingsheim wohnen möchte, sollte ich am 7. April anreisen und mich in Suhl, in der Hohenfeldstraße 68 melden. Mein Lehrvertrag lautete auf „Technischer Zeichner“.

      In der Mitteilung stand auch, wie ich mich auszurüsten hätte, wenn ich im Lehrlingsheim wohnen möchte. Dort war es billiger, also, kam für mich nur das Lehrlingsheim infrage. Meine Ausstattung wurde ganz schön teuer: Drei Braunhemden, zwei kurze schwarze Hosen, eine lange Winterhose mit Winteruniformbluse der Hitlerjugend, sechs Paar graue Kniestrümpfe, ein Paar braune Halbschuhe, ein Paar schwarze hohe Schuhe und noch viele andere Sachen. Wir hatten kein Geld und unser Vater war im Krieg. So wurde alles gepumpt. Mit Ach und Weh hatte ich am Sonnabend vor meiner Abreise alle Sachen beisammen. Nun fehlte noch die Bestätigung, dass ich in der Hitlerjugend sei. Bei der Übernahme von den Pimpfen zur Hitlerjugend hatte ich mich gedrückt. Mit etwas Schiss in den Hosen ging ijoch zu Neuschäfer in die Villa am Bürgeler Südgraben. Das ging alles glatt. Und nun

Скачать книгу