Schwein im Glück. Astrid Seehaus
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Mit welchen Worten sollte ich ihr nur beibringen, dass ihre Geschichte unglaubwürdig war, ohne sie zu kränken? Oder dass sie keine Ahnung vom Spannungsaufbau hatte? Und vor allem, dass die Frauen schon lange nicht mehr diese Rolle des erotischen Weibchens ausfüllten, geschweige denn von einem Alpha-Männchen erobert werden wollten? Das alles konnte ich ihr doch nicht so ins Gesicht sagen. Ich änderte meine Taktik.
„Sie kennen die Schwachstellen. Sie wissen, worüber ich rede. Ich rede von …“ Ratlos schaute ich mich um. Wovon redete ich denn nun? Mein Blick fiel auf ein Kinderbuch mit Hunden. Spontan dachte ich an Esmes Floh und an Viagra.
„Sex“, quiekte ich.
„Sex?“, wiederholte Evelyn erstaunt. Sie wirkte in keinster Weise alarmiert. (Ich dagegen schon.) Sie entspannte sich sichtlich und nahm nun doch einen Keks vom Teller, lehnte sich zurück, schlug die Beine übereinander und wippte mit dem Fuß. „Wie wahr!“, sagte sie ausgesprochen zufrieden und biss in den Keks, der geräuschvoll zwischen ihren Kiefern zerkrachte.
Ich hatte den roten Faden verloren, der schon vorher nicht wirklich vorhanden war. Was wollte ich ihr denn nun sagen? Ich sollte mir wirklich vornehmen, für alle zukünftigen Besuche dieser Art einen Stichwortzettel vorzubereiten. Oder mehrere, immer davon abhängig, um welche Person und um welche Art des Besuches es sich handelte.
„Stimmt“, sagte ich und suchte verzweifelt nach einer Hintertür, durch die ich schlüpfen konnte, ohne Weber in den Rücken zu fallen. Ich war es ihm schuldig. Ich war es mir schuldig. Ich war es dem Verlag schuldig. Nicht Winter, der würde nicht verstehen, was ich hier tat. Der würde nicht im Mindesten begreifen, was es bedeutete, sich zu Loyalität den Kollegen und dem Arbeitgeber gegenüber verpflichtet zu fühlen. Und ehe ich mich versah, platzte ich heraus: „Machen Sie ein Kinderbuch daraus.“
Nun schien Evelyn wirklich geschockt.
Wie ich.
Was war mir denn da in den Sinn gekommen?
Aber zurückrudern ging nicht mehr. Also gut: Augen zu und durch! Ich würde mich da einfach wieder rausreden.
„Ein Kinderbuch“, nahm Evelyn meinen Gedanken auf, noch ehe ich die Ruder überhaupt wieder ergreifen konnte. Mir entglitt hier wirklich alles. „Äh, haben Sie mein Manuskript überhaupt gelesen?“
„Natürlich habe ich das.“
„Das müssen Sie mir jetzt aber genauer erklären“, sagte sie eisig wie eine Gefriertruhe.
Dann musst du mich auch zu Wort kommen lassen, du Kuh.
Ich wurde sauer. Wer brachte mich denn hier in die Verlegenheit, mich erklären zu müssen?
Das Telefonschrillen ließ mich beinahe aus dem Sitz springen.
Aufgesetzt fröhlich trällerte ich: „Das ist bestimmt für mich“, und unterdrückte ein gequältes Aufstöhnen. Für wen sollte der Anruf sonst sein, es war das einzige Telefon im Zimmer und stand auf meinem Schreibtisch.
Ich riss den Hörer von der Gabel und keuchte meinen Namen. Auf der anderen Seite der Leitung kicherte Nesrin und legte wieder auf. Mit falschem Lächeln wandte ich mich meiner Besucherin zu und entschuldigte mich mit einem kurzfristigen Termin, den ich sofort wahrnehmen müsse. Bestürzt sah ich, wie sie aufstand und auf mich zukam. Wollte sie mich etwa ohrfeigen? Mir hatte mal jemand erzählt, dass ein erboster Autor seinen Lektor mit einem Kinnhaken niedergestreckt hatte, nachdem dieser seinen Kommissar ein Weichei nannte.
„Sagen Sie es mir!“, schnarrte sie, und ich meinte, ein tödliches Funkeln in ihren Augen wahrzunehmen.
„Was?“, hauchte ich und starrte gebannt auf ihre Fäuste, die eine lilafarbene Handtasche umkrampften.
„Geben Sie mir eine Chance oder nicht?“
Nein, schrie es in mir. Nein und nochmals nein.
„Was wollten Sie denn sagen, bevor das Telefon klingelte?“, bohrte sie weiter.
„Ich äh …“
„Sie haben doch gesagt, dass ich genial bin.“ Ihre Stimme klang schon fast so verzweifelt, wie ich mich fühlte. „Nun sagen Sie es doch endlich!“
Sie stand nur eine Armlänge von mir entfernt. Ihre Hände lösten sich von der Tasche. Ich befürchtete das Schlimmste und trat drei Schritte zurück.
Stotternd presste ich hervor: „Sie schildern eine abenteuerliche Welt, die die Kinder nicht kennen.“ Sie nicht aus den Augen lassend umfasste ich mit einer weit ausholenden Armbewegung alles, was man vor dem Fenster sah. Dabei ignorierte ich den Stau auf der Amsinckstraße, die hupenden Brummis und die genervten Fußgänger, die über die Fahrradfahrer schimpften. „Sehen Sie! Eine abenteuerliche Welt.“
Sie blickte wie ich nach draußen und rümpfte die Nase.
Der Abgasgestank blieb auch mir nicht verborgen. Rasch schloss ich das Fenster und improvisierte blindlings weiter. „Schauen Sie, und schildern Sie mir, was sie sehen!“
Das war ein wenig kopflos von mir. Ich hatte gequasselt ohne nachzudenken. Stressbedingte Blödheit quasi. Es war mir nicht ernst gewesen, und sie sah auch nicht so aus, als ob sie mich ernst nahm. Ich musste sie loswerden, da ich befürchtete, dass Winter gleich käme. Das machte er in letzter Zeit häufiger, bevor er das Haus verließ: noch ein bisschen bei mir herumschnüffeln.
Leider blieb Evelyn völlig unbeeindruckt von meiner Performance und schien die versteckte Botschaft nicht ansatzweise zu verstehen: Geh, bevor es peinlich wird!
Ich schloss die Augen und sprach mit der Welt da draußen. „Ich bin vor allem Kinderbuchlektorin und was Bilderbücher angeht, habe ich ein Händchen und eine Nase für gute Geschichten. Die Welt da draußen, die kann man nicht nur mittels schöner Bilder beschreiben, sondern auch mit Worten. Frau Weber, Evelyn, Sie sind fantasiebegabt, Sie sind kreativ. Sie entwickeln eine Welt, in der wir alle ein Leben führen, das wir leider nicht mehr führen dürfen: eine Welt der Abenteurer. Die wahre Welt ist ein Chaos! Ein chaotisches Chaos! Aber Sie, Sie schwärmen aus in neue Dimensionen.“
Das war schlimm! Wirklich schlimm, was ich von mir gab. Ich schämte mich dafür. Wenn sich das herumspräche, würde ich nie wieder eine Stelle als Lektorin bekommen, man würde der Universitätsleitung nahe legen, dass mir mein Master aberkannt würde.
Mit einem schiefen Lächeln wandte ich mich wieder meinem Besuch zu und zwang mich, vernünftiger zu improvisieren. „Wer von uns hat denn noch Träume? Wer will die Welt erobern? Da gibt es die Jungen, die Feuerwehrmänner oder Ritter werden wollen, die Mädchen sehen sich als Burgfräulein und Prinzessin.“ Spätestens jetzt müsste sie mir vorwerfen, dass ich unter einem mangelnden Realitätssinn litt. Mädchen wollten keine Prinzessinnen mehr werden, sondern hungern und als Klappergestell den Catwalk rauf- und runterstaksen. Und die Jungs wollten schnelles Geld verdienen, indem sie zum Fernsehen gingen oder Fußballer wurden – oder beides. Ich fragte mich, wann sie meine Erklärungen als eine einzige Lüge entlarvte.
Bevor sie soweit kam, berührte ich sie am Ellenbogen in der Absicht, sie aus dem Zimmer zu dirigieren. Ihr Blick wirkte verträumt. Ich hatte sie am Haken.
Plötzlich hielt sie inne und sah