Saskia. Inge Nedwed
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© dorise-Verlag 2009
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten.
Umschlaggestaltung, Layout und Typografie:
Michael Olm
Druck: docupoint Magdeburg
ISBN: 978-3-942401-27-2
Inge Nedwed
Saskia
1. Kapitel
Aus Westen kommend hat der Sturm leichtes Spiel. Kilometerweit fegt er über freies Feld. Reißt alles mit, was ihm nicht standhalten kann, bis er am Dorfrand auf die ersten Häuser trifft. Erbaut vor über hundert Jahren, sie kennen seine Kraft, leisten erbittert Widerstand. Bedrohlich knarrt es im alten Dachgebälk, Firstziegel klammern mit ganzer Kraft, um den Halt nicht zu verlieren. Die Mühlgasse trifft es besonders schlimm. Durch sie hindurch findet der Sturm einen neuen Weg, bläst ab wie ein Ventil, welches gerade geöffnet wird. Die Bewohner der Mühlgasse haben sich daran gewöhnt. Sturmschäden zahlt die Versicherung. Nur der Unrat bleibt wegzukehren, den der Sturm nach seinem Wüten jedes Mal hinterlässt.
Merle steht im warmen Wohnzimmer am Fenster und sieht den Blättern zu, die durch die Gasse tanzen. Der Sturm haucht ihnen neues Leben ein. Sie steigen auf, wirbeln und fallen nach seinem Takt. Ein Tanz folgt dem anderen. Regen peitscht dazwischen. In der Abenddämmerung bewegen sich die Äste der Kastanie beängstigend auf Merle zu. Eine Kastanie im Vorgarten einer Gasse, das ist schon etwas Besonderes, schmückt sie doch sonst den Straßenrand großer Alleen. Merle lässt die Rollläden herab. Endlich Wochenende. Das miese Wetter kann ihr nichts mehr anhaben. Der Einkauf ist erledigt. Gleich vom Büro aus ist sie heute in den Supermarkt gefahren. Ungewöhnlich leer war ihr Einkaufswagen. Omas Zettel war schnell abgearbeitet, für sich brauchte Merle nicht viel. Uli muss am Wochenende arbeiten und Tobi ist nach der Schule zu Matti gefahren. Ein Wochenende für mich allein, wie lang hat es dies schon nicht mehr gegeben. Merle fällt in den Sessel, schließt die Augen, streckt Arme und Beine von sich.
Riechst du die Schneeluft, fragte sie Uli am Morgen. Ich rieche nur Arbeit, wird spät werden heute Abend, bin bestimmt nicht vor um acht zu Hause, war seine Antwort.
Die Kastanie, ihre Äste sind kahl. Merle versinkt in Gedanken. Da gibt es das Bild mit den Großeltern, als Hochzeitspaar stehen sie vor dem Baum. Und es gibt das Bild mit Mutter. An den dicken Stamm gelehnt hält sie ihre zwei Mädchen im Arm. Die Kastanie gehört zu uns, jedes Familienmitglied kennt diesen Baum, schon seit Urzeiten, sagte Mutter immer. Ihr müsst aufpassen, wenn der Herbst der Kastanie sein buntes Kleid überzieht und die ersten Blätter fallen, dann hat unsere Saskia Geburtstag. Und wenn die Kastanie ihr Blätterkleid dem Wind geschenkt hat, die ersten Schneeflocken vom Himmel tanzen und den Winter anmelden, dann hat unsere Merle Geburtstag.
Wut steigt in Merle auf. Jedes Jahr erinnert sie der Baum daran. Saskias Geburtstag hat sie nie vergessen. Aber ihr gratulieren, das kann sie nicht. Die Telefonnummer ist noch immer in der Anrufliste gespeichert. Ein Knopfdruck würde genügen und sie hätte die Schwester am Telefon. Merle überlegt, zwei Jahre, nein, drei Jahre ist es her.
Alles Gute zum Geburtstag, sagte sie am Telefon. Saskia verstand sie nicht. Im Hintergrund vernahm Merle Stimmen und laute Musik.
Ich bin es, deine Schwester Merle, verstehst du mich? Du feierst Geburtstagsparty?
Das schrille Geräusch einer Tröte schmerzte Merle im Ohr. Sie aktivierte den Lautsprecher und legte den Hörer auf den Tisch. Saskias Stimme übertönte die anderen, sie bat ihre Gäste um Ruhe. Ohne Erfolg, der Hörer vibrierte. Meine Freunde sind hier, die jedes Jahr kommen, hörte Merle sie sagen.
Na dann, viel Spaß, sagte Merle und beendete das Gespräch. Ihre Freunde, die jedes Jahr kommen.
Saskias Worte klangen lange nach. Merles Brustkorb bebte, ihr Herz klopfte, als wollte es sich überschlagen. Ihr Puls raste, pochte in der Halsschlagader und drohte, sie zu sprengen. Ein Zustand aus Wut und Ohnmacht, der Kopf ist leer, unfähig, sich zur Wehr zu setzen. Dieses Gefühl der Enge überkommt Merle oft, wenn sie sich verletzt fühlt. Ihre Freunde! Und die Familie? Für sie gab es keine Einladung. Noch nicht einmal für Matti, ihren eigenen Sohn.
Und Uli war vielleicht sauer.
Wir haben Matti bei uns aufgenommen und deine Schwester feiert Party. Fällt der nichts Besseres ein, was ist das für eine Mutter? Die braucht sich hier nicht mehr blicken zu lassen, kalt wie Hundeschnauze, schimpfte er.
Es ist meine Schwester, erwiderte Merle leise.
Was ist nur aus Saskia geworden, warum ist sie so? Merle erhebt sich schwerfällig aus dem Sessel. Wie oft stellt sie sich diese Frage, Ablenkung, nur das hilft ihr in diesen Momenten. In der Küche sortiert sie den Einkauf. Zucker, Mehl, Milch, Brot und Butter für Oma. Oma versorgt sich selbst, hat ihre eigene Wohnung im Erdgeschoss. Darüber ist Merle froh, so kommt sich die Familie nicht ins Gehege, jeder hat seinen Freiraum. Oma ist trotz ihres hohen Alters pflegeleicht, nur ihre verknöcherten Ansichten sorgen oft für Streit. Merle versucht dann zu schlichten. Lasst Oma in Ruhe, sie ist hier die Chefin im Haus. Einen alten Menschen kann man nicht mehr ändern, festgefahrene Bahnen, erklärt sie Tobi, wenn der wütend die Tür zu seinem Zimmer hinter sich zuknallt.
Aus der Speisekammer holt Merle Omas Korb. Hässlich ist er. An mehreren Stellen hat sich das Geflecht aufgelöst. Oma hat den alten Korb akribisch mit Bindfaden geflickt, wegwerfen kann sie nichts. Einen neuen will sie nicht. Mein Lebensspender, nennt Oma den Korb scherzhaft. Ohne ihn würde ich verhungern. Merle nimmt den Korb, füllt ihn mit dem Eingekauften und bringt ihn in Omas Küche. Dann öffnet sie vorsichtig Omas Wohnstubentür. Wie gewöhnlich sitzt Oma um diese Zeit vor dem Fernseher. Merle muss ihn leiser stellen, um sie zu verstehen.
Du bist zu Hause, ich habe dich gar nicht gehört. Ein fürchterliches Wetter ist das heute.
Merle drückt Oma zur Begrüßung einen Kuss auf die Wange. Oma möchte die Begrüßung erwidern, doch Merle wendet sich ab und täuscht ein Niesen vor.
In Omas Taschen der Kittelschürze ist immer ein sauberes Taschentuch. Das weiß Merle, als Kind suchte sie schon danach. Eigentlich suchte sie damals weniger nach einem Taschentuch, sondern viel mehr nach den interessanten Dingen. Meine heiligen Schatzkammern, so nennt Oma heute noch die vollen Taschen. Alles, was irgendwie noch zu gebrauchen ist, verschwindet darin.
Oma schöpft keinen Verdacht, als Merles Hände in die Taschen gleiten.
Ein sauberes Taschentuch, ihr werdet es nie lernen. Oma schüttelt den Kopf.
Geschickt ertasten Merles Finger den Inhalt, sie muss das kleine Ding hier finden. Sie zieht das Taschentuch heraus und putzt sich die Nase. Der Trick hat funktioniert.
Danke, Oma. Merle triumphiert, sie öffnet ihre Hand und hält Oma das in den Taschen gefundene Hörgerät unter die Augen.
Wie wäre es denn hiermit?
Hilfe, schreit Oma. Dieses Thema kann sie nicht leiden, wenn es aufkommt, ist sie wirklich taub.
Lass