Heißes Geld. Jan Eik
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Woher die Skizze, genau genommen nur eine laienhafte Bleistiftzeichnung zweier Rechtecke, die sich an einer Ecke überlappten, stammte, wussten weder Panitzke noch der Doktor oder Kremplin. Dabei war das knittrige Papier der Schlüssel zum Erfolg. Durch die Bombe, die den Gebäudetrakt in der Charlottenstraße zerstört hatte, war auch die Wand zum Kassenraum im Erdgeschoss beschädigt worden. Bei der noch im Krieg erfolgten Instandsetzung hatte man sie um einen Meter in den Kassenraum hinein verschoben. Seitdem befand sich ein schmaler Streifen des Tresorraums unmittelbar unter dem Lagerraum der Immobilienfirma. Darauf beruhte der simple Plan. Zehn Monate hatten sie gebraucht, um ein Loch durch den Beton zu bohren. Jetzt war es so weit, die Früchte nächtlicher Schinderei zu ernten.
Dass Panitzke den Schrank aufschneiden würde, stand fest. Nur er war schlank genug, sich durch die schrundige Röhre im Boden zu winden. Er zog alle überflüssigen Kleidungsstücke aus und ließ sich an einem Feuerwehrschlauch hinab in die Dunkelheit. Es war eng, doch Panitzke schaffte es.
«Alles klar!», rief er nach kurzer Zeit. «Lasst das Zeug runter!»
Für die beiden oben Wartenden schien die Zeit stillzustehen. Voller Spannung horchten sie immer wieder in das Loch hinein, aus dem nur gedämpftes Werkzeuggeklirr und nach endlosen Minuten das Fauchen des Brenners drangen.
Eine weitere Ewigkeit verging. Kremplin standen trotz der Novemberkälte Schweißtropfen im Gesicht. Muhme blickte ihn abschätzig an. «Hast du Schiss?», erkundigte er sich spöttisch.
Unten knirschte Metall, etwas polterte zu Boden. Dann erklang endlich der Befehl: «Hochziehen!»
Der erste Sack schurrte nach oben. «Vorsichtig!», knurrte Muhme Geißler. «Das Loch hat scharfe Kanten!»
Das fehlte noch, dass jetzt ein Sack aufriss! Kremplin nahm den prall gefüllten Sack vom Haken und betastete ihn. «Ich kann es kaum glauben!», flüsterte er.
«Halt’s Maul und mach weiter!», sagte Geißler schroff.
GROSSKAMPFTAG
ES VERSPRACH ein schöner Tag zu werden. Kriminaloberkommissar Hermann Kappe hatte an diesem Sonntag, dem 11. Mai 1952, einen wohlverdienten freien Tag, und er gedachte, ihn zu genießen. Diesmal würde ausgerechnet sein jüngerer Sohn Karl-Heinz dazu beitragen. Der hatte ihm in den vergangenen Jahren nicht viel Freude bereitet. Dank seiner Beziehungen jedoch – und genau die bereiteten Kappe Sorgen – hatte der Junge Eintrittskarten für Berlins größtes Sportereignis an diesem Sonntag besorgen können: den Großkampftag der Berufsboxer in der Waldbühne. Das war schon was! Der Form halber hatte Karl-Heinz, hinter dem eine kurze und reichlich schmerzhafte Boxkarriere lag, sogar seinen älteren Bruder Hartmut eingeladen, doch der durfte als Volkspolizist, und noch dazu als Offizier, schon lange nicht mehr in den Westen. «Ich werde mir die Sandbahnmeisterschaften in Karlshorst angucken», ließ er durch seine Mutter ausrichten.
Sandbahnrennen für Motorräder auf einer staubigen Aschenpiste waren nichts im Vergleich zu den sieben angekündigten Kämpfen mit hochkarätigen Champions. Der lange Hein ten Hoff trat gegen Joschi Weidinger aus Wien an, und, ebenfalls im Schwergewicht, der vielversprechende Conny Rux gegen den starken Belgier Eugene Robert.
In seinen jungen Jahren hatte Kappe nicht besonders fürs Boxen geschwärmt, sich jedoch von der Schmeling-Euphorie in den Dreißigern anstecken lassen. Inzwischen guckte er sich gerne einen ordentlichen Kampf an, statt nur die Radio-Übertragung zu verfolgen. Obwohl dem Boxen, vor allem den Veranstaltern und einem Teil des Publikums, nach wie vor ein zweifelhafter Ruf anhaftete. Aber das fiel nicht in Kappes Ressort. Er gehörte seit über vierzig Jahren zur Mordkommission.
Seit das Berufsboxen in Berlin zugelassen war, erfreute sich der Sport, den Kappes Frau Klara als roh und gewalttätig ablehnte, zunehmender Beliebtheit. Bald sollten im notdürftig hergerichteten Sportpalast wieder Turniere stattfinden. Kappe fand die Waldbühne angenehmer, unter freiem Himmel fühlte er sich nicht so eingezwängt. Jetzt musste nur noch das Wetter halten. Feucht-milde Meeresluft lag über Berlin, die Vorhersage ließ nach einer kalten Nacht zeitweilige Aufheiterungen und örtliche Schauer oder Gewitter erwarten. In der ausgedienten Einkaufstasche, die Klara ihm aufgedrängt hatte, steckte neben dem perlmuttenen Opernglas, einer Thermosflasche mit Kaffee und dem Stullenpaket ein Regencape, das Kappe selbst im dringendsten Notfall nicht zu gebrauchen gedachte. Gegen mögliche Kälte half eher der Flachmann mit dem Hochprozentigen, den er heimlich in die Tasche geschmuggelt hatte. Dabei schwitzte er jetzt schon. Der Tag schien wärmer zu werden, als die Wetterfrösche vorausgesagt hatten.
Die Kämpfe begannen um 15 Uhr. Um gute Plätze für sie zu sichern, hatte Kappe sich frühzeitig mit Karl-Heinz am S-Bahnhof Pichelsberg verabredet. Natürlich traf der Herr Sohn mal wieder verspätet ein und eilte mit wehendem Trenchcoat die Treppe herauf. «Du hättest mir die Karte ja auch schicken können», empfing ihn Kappe bärbeißiger als beabsichtigt. Versöhnlicher fügte er deshalb hinzu: «Ich hätte dir ’n guten Platz freigehalten.»
Karl-Heinz, an kritische Bemerkungen seines Erzeugers gewöhnt, lachte. «Dafür sorgt meine Clique. Du wirst sehen, wir sitzen Ia!»
So war es tatsächlich. Als sie vom oberen Rang des Amphitheaters langsam nach unten drängten, winkte weit vorn eine grellgeschminkte junge Frau aus der Mitte einer lautstarken Meute und rief nach Karl-Heinz. Kappe brauchte keine zwei Sekunden, um zu erkennen, dass er in der Runde fehl am Platz sein würde. Unter diesen bunten Vögeln, die sich schon jetzt höchlichst amüsierten, musste ein Kriminalbeamter in seinen Jahren als Fremdkörper auffallen. Sollte eines von den Mädels in näherer Beziehung zu Karl-Heinz stehen, kam auf Klara eine herbe Enttäuschung zu. Vergeblich hoffte sie schon seit langem auf eine akzeptable Schwiegertochter.
«Ich bleibe lieber hier am Rand!», rief Kappe dem Sohn zu, der sich rücksichtslos durch die Reihen drängte.
Dem schien das recht. «Ich muss nachher noch mit dir sprechen!», rief er bloß zurück.
Auf Kappes Zureden rückten zwei betagtere Herren wohl oder übel etwas zusammen. Fürs Erste zufrieden, ließ Kappe sich in der engen Lücke nahe dem Aufgang nieder und sah sich erst einmal um.
Das weite Rund der Waldbühne, 1936 ursprünglich für die Nebenveranstaltungen der Olympiade am Hang der Murellenschlucht errichtet, füllte sich allmählich. Obwohl sich die Eintrittspreise hier nicht jeder leisten konnte, sahen sich 18 000 Besucher die Kämpfe an, wie Kappe am nächsten Tag aus der Zeitung erfahren würde.
Von dem Genuss, den er sich versprochen hatte, spürte Kappe vorerst wenig. Der Lärm tobte ohrenbetäubend, und die schmale Sitzfläche verriet schon jetzt ihre Härte. Das zusammengefaltete Regencape machte es kaum besser. Die beiden Alten neben ihm, die er bei näherer Betrachtung zu seinem stillen Schrecken als etwa gleich alt mit sich selbst einschätzte, räsonierten darüber, dass die Engländer das ans Stadion anschließende Maifeld und größere Areale des Olympiageländes als Standort für ihr Hauptquartier beanspruchten, während die Amis in Dahlem residierten, wo sowieso nur hohe Nazis gewohnt hätten. Ein paarmal wandten sie sich beifallheischend an Kappe, der es jedoch vorzog, nur Undeutliches zu murmeln. Er war froh, einigermaßen entfernt von Karl-Heinz und dessen Clique zu sitzen, die sich schon jetzt durch freche Zurufe und auffälliges Gehabe bemerkbar machte. Keiner von denen sah aus, als verdiene er sein Geld mit geregelter Arbeit. Ein paar dicke Schiebertypen taten so, als gehörten sie nicht direkt zu dem auffälligen Haufen, zogen aber wahrscheinlich die Strippen bei den dunklen Geschäften, an denen sich die Jüngeren die Finger verbrennen durften.
Endlich begannen mit lautstarkem Tamtam die Vorkämpfe. Der erste Schwergewichtskampf