Der entschwundene Garten. Andrea Herlbauer

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Der entschwundene Garten - Andrea Herlbauer

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durch die Welt, kam durch Städte und Dörfer, aber wen immer er fragte, niemand konnte ihm etwas sagen.

      Im nächsten Frühling kam er an ein großes Moor. Eine junge Frau saß vor einer Lehmhütte am Rande des Wassers und sagte ihm, dass dies das Moor der Tugend sein. Wer es durchmesse, habe alle Tugenden, aber bisher sei das noch niemandem gelungen.

      Er ging rasch einen anderen Weg weiter, es war wieder nicht das, wonach er suchte.

      Ein neues Jahr der vergeblichen Suche ging ins Land – manchmal verlor er fast die Hoffnung. Niemand konnte ihm den kleinsten Hinweis geben; vielleicht existierte sie gar nicht, diese Flamme. Aber er gab nicht auf, streifte weiter durch Hügel und Wiesen, aß, was er im Wald fand und andere Leute ihm gaben, trug alte Kleidungsstücke, die er geschenkt bekam, wenn die alten zu zerrissen waren.

      Eines Tages, müde, erschöpft und mutlos saß er am Wegrand, gesellte sich ein junger Mann zu ihm, der sich gleichfalls ausruhte. Befragt, antwortete der junge Mann, dass er zwar von der Flamme der Liebe noch nichts gehört habe, aber es gäbe ein großes Gebirge, das Gebirge der Weisheit, wo ein alter Mann, ein sehr alter und weiser Mann lebe, der könne ihm vielleicht helfen. Wo das Gebirge läge? Das wisse er leider nicht.

      Mit dem ersten Hoffnungsschimmer im Herzen setzte er seinen Weg fort. Doch wen er auch nach dem Gebirge fragte, manche hatten zwar davon gehört, aber niemand wusste, wo es lag. Die wenigsten Menschen wussten, was außerhalb ihrer nächsten Umgebung war. So musste er selbst suchen. Er durchzog die Welt, kam in immer neue Landschaften.

      So verging ein Jahr ums andere. Seine Schritte wurden immer langsamer, die zurückgelegte Wegstrecke eines Tages wurde immer kürzer. Er wusste nicht mehr, wie viele Jahre er schon unterwegs war, noch wie alt er jetzt war, aber er merkte plötzlich, dass er schon recht alt sein musste. Er wusste auch nicht, wie weit er schon gegangen war; zurückfinden zu seiner vertrauten Hütte, die er einst verlassen hatte, würde er sicher nicht mehr.

      Es war wieder einmal Herbst und er hatte sich an einem nebligen Abend in einen kleinen Heuschober am Weg gelegt. Am Morgen war der Nebel verschwunden und die aufgehende Sonne beleuchtete einen gewaltigen Wolkenturm am Horizont. Er ging weiter und da erkannte er, dass es keine Wolken waren dort hinten, sondern ein riesiges Gebirgsmassiv. War es das, hatte er es gefunden?

      Er traf zwei Männer, die am Fuße des Gebirges fischten und fragte sie, ob dies das Gebirge der Weisheit sei. Sie bejahten. Nach dem Aufenthalt des weisen Mannes befragt, konnten sie keine genaue Auskunft geben; irgendwo dort oben lebe er. Aber um die Weisheit selbst zu erlangen, müsse man den Gipfel erreichen und das sei bis heute noch niemandem gelungen.

      Er sah auf zu dem Gebirge; jetzt, da er unmittelbar davorstand, sah er seinen Gipfel nicht, so hoch war es. Aber nichts konnte ihn jetzt noch zum Aufgeben bewegen, was wäre ihm dann noch geblieben?

      So begann er den Aufstieg. Kein Pfad wies ihm einen Weg. Über Geröll und Fels, vorbei an immer niedriger werdenden Gewächsen, tastete er sich nach oben. Er war bald erschöpft und musste sich ständig wieder ausruhen. Es wurde immer kälter, hier oben war bereits Winter. Er zog seine dürftige Kleidung fest um sich, aber sie bot kaum Schutz gegen den Wind, der eisig durch ihn hindurch schnitt.

      Er wusste nicht mehr, wie lange er so aufgestiegen war, jedes Zeitgefühl, jede Empfindung überhaupt, war ihm verlorengegangen, als er endgültig nicht mehr weiter konnte. Kein Schutz war um ihn her. Er lag auf dem nackten Fels und wusste, er würde erfrieren, wenn er hier so liegen blieb, aber er hatte keine Kraft mehr, aufzustehen.

      So endete es also, nach all den Jahren musste er aufgeben. Und er schloss die Augen und träumte von der Flamme der Liebe, die ihn wärmte.

      Irgendwann schlug er die Augen wieder auf und sah die Flamme aus seinem Traum noch immer vor sich, spürte ihre Wärme. Doch bald erkannte er, dass es ein gewöhnliches Feuer war, das neben ihm brannte; er war in eine Decke gehüllt und ein alter Mann flößte ihm aus einer Schale ein heißes Getränk ein. War er tot oder wo war er? Als er sich umsah, erkannte er, dass er noch immer auf dem Berg war, an der gleichen Stelle, an der er erschöpft eingeschlafen war.

      Der alte Mann, er war schon sehr alt, blickte ihn freundlich an. War es der weise Alte? Als er ihn fragte, sagte der Alte, ja, man nenne ihn so.

      Und so erzählte er dem alten weisen Mann, wonach er suchte, dass er schon seit ungezählten Jahren unterwegs war und dass er seine letzte Hoffnung sei, den Sinn seines Lebens wiederzufinden. Er musste sie finden, die Flamme der Liebe, es gab sie doch wirklich?

      »Ja«, sagte der alte weise Mann, »es gibt sie.«

      »Und wo, wo ist sie? Hier auf dem Berg? Wo kann ich sie finden?«

      »Sie ist überall.«

      »Überall?«

      »Du kannst sie nicht an einem bestimmten Ort finden«, sagte der alte Mann, »nur in dir selbst.«

      »In mir selbst?«

      »Ja, in dir selbst. Du suchst die Liebe einer Toten. Du glaubst, ihre Liebe ist auf Erden zurückgeblieben und du willst sie finden?«

      »Ja.«

      »Dann hast du all die Jahre vergeblich gesucht, deine Suche war überflüssig, weil du immer hattest, was du suchst. Die Liebe eines Menschen bleibt so lange auf Erden, so lange er noch geliebt wird. Solange du die Frau, die du geliebt hast, auch nach ihrem Tod weiter liebst, brennt die Flamme ihrer Liebe in dir. Erst wenn du sie vergessen hast oder ihr nachfolgst, wird ihre Flamme erlöschen.«

      Der alte Mann schwieg und der Suchende schloss die Augen. Jahre und Jahre, wie viele mochten es gewesen sein, hatte er mit einer sinnlosen Suche verbracht. Wie lächerlich kam er sich vor, die ganze Welt zu durchstreifen nach etwas, das er nur in seinem eigenen Herzen finden konnte. Und dennoch fühlte er Erleichterung, denn wie auch immer, seine Suche war zu Ende.

       REGENTAG

      Nur einige kleine Schneehaufen, schmutzig und wie zerklüftet, hielten sich noch im Regen, neben dem Weg, wo man vor einigen Wochen den Schnee vom Pflaster hin geschaufelt hatte. Obwohl es noch nicht warm war, zeigte das Gras durch den Regen, der schon den zweiten Tag anhielt, erste Ansätze von frischem Grün. Die kahlen Äste der Bäume glänzten, von Nässe vollgesogen. Die Pfützen kamen nicht zur Ruhe, immer neuer Regen wühlte ihre Oberfläche auf, vergrößerte sie langsam.

      Die Wolken schienen tief zu hängen. Sie hatten keine einheitliche Fläche, wie sonst bei Regen, sondern waren verschiedenartig, von hellerem und dunklerem grau, schwer von ihrer nassen Last, derer sie sich, langsam im Wind weiterziehend, entledigten.

      Hinter vielen Fenstern schimmerte warmes Licht. Es war noch nicht Abend, aber die dichten Regenschleier dämpften das Tageslicht, sie sogen es regelrecht auf. Die Straßen der Vorstadt waren leer. Niemand war zu sehen, nur das milde Licht hinter den Scheiben ließ die Anwesenheit von Menschen erahnen. Das einzig sichtbare Lebewesen war ein kleiner Vogel; aufgeplustert und geduldig saß er auf einem Ast und ließ den Regen gleichmütig über sich hinweg fließen.

      Auch das alte Bahnhofsgebäude lag verlassen. Seit vielen Jahren hatte hier kein Zug mehr gehalten, das Gebäude aber war nicht abgerissen worden. Als der Vorstadtbahnhof noch benutzt wurde, waren es einige Züge, die täglich hier gehalten hatten, Menschen waren gekommen und gegangen. Jetzt war er eine leere, verlassene Hülle, nutzlos, dem langsamen Verfall preisgegeben.

      Die Scheiben an einem Fenster fehlten, eingeworfen von Kindern, für die der alte Bahnhof einzig

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