Geschichten, die das Landesmuseum schrieb. Группа авторов

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Geschichten, die das Landesmuseum schrieb - Группа авторов

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Autobahnen zur Verfügung, und so war der behutsame Transport eines waschechten Bären, der anschliessend frisch und munter am Umzug teilnehmen sollte, keine Kleinigkeit. Denn für die Fahrt nach Zürich musste das Tier beruhigt, ja sediert werden, und ein sedierter Bär hätte die Kraft und Lebendigkeit des Kantons Bern niemals widerspiegeln können. Also musste der Bär am Vorabend des Umzugs gefahren werden.

      Doch damit war nicht der Schwierigkeiten Schluss, denn der Zürcher Zoo weigerte sich, die Verantwortung für einen Berner Bären zu übernehmen, und gab, vermute ich, an, ausschliesslich auf Löwen, dem Zürcher Wappentier, spezialisiert zu sein. Da war guter Rat teuer.

      In freundeidgenössischem Geist und nach endlosen Verhandlungen erklärte sich schliesslich das Landesmuseum bereit, dem Berner Bären eine seiner Waschküchen im Keller für seine eine, einzige Nacht in Zürich zur Verfügung zu stellen.

      Unbekannt ist mir», fügte der Erzähler, während er seine Haarsträhne wieder zum Hinterkopf hin glättend in Ordnung brachte, mit einem über das ganze Gesicht leuchtenden Lächeln hinzu, «ob die Zürcher, um die Verpflegung des Bären sicherzustellen, vorübergehend für den einen Tag eine Rüeblisteuer eingeführt haben.»

       huch, vor bären fürchte ich mich fürchterlich! aber ich bestimme leider nicht, da mache ich mich ganz klein …

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       Gras

      «Früher, da war die Welt noch im Lot. Selbst das Gras konnte ich noch wachsen hören. Ja, da staunst du?», sprach mein Grossvater vor Jahren zu mir. Jetzt bin ich selbst Grossvater und werde mir bald die Veredelung mit der Vorsilbe «Ur» verdient haben – falls das eine Adelung ist.

      Vielleicht wird es eine Degradierung, schliesslich sind es die Grossväter, die Geschichten erzählen. Und was bleibt den Urgrossvätern übrig? Alles bereits erlebt, erzählt, berichtet.

      Doch jetzt, da ich vor dieser Fotografie stehe, erinnere ich mich an meine eigene Kindheit vor beinahe hundert Jahren. Nein, ich will nicht übertreiben, es sind bloss zweiundneunzig. Ein Duft durchzieht meine Nase, meine Erinnerung – ich atme tief ein. Was für ein Glück umspült mich da!

      Frühling. Noch kleine Schneereste auf der Wiese. Ich liege dort auf einer alten Pferdedecke, die ich in der Scheune entdeckt habe, und beobachte die Knospe einer Krokusblume, die ihre Blätter zur Sonne hin streckt und dann ganz zögerlich, als traue sie der blassen Scheibe am Himmel nicht, ihre Blüte um einen winzigen Spalt öffnet – und gleich wieder schliesst. Mag sein, sie wartet auf fruchtbarere Zeiten, denn die Insekten sind noch im Winterschlaf versunken oder der Kinderstube noch nicht entwachsen; es dauert noch, bis sie die Wunder der Wiese erforschen.

      Und tatsächlich, wenn ich mich jetzt auf meiner Frühjahrswiese auf die Geräusche konzentriere, höre ich das Gras wachsen. Leise, behutsam. Ganz anders, als unser Sprachgebrauch es suggeriert. Denn wenn ich das Gras wachsen höre, bin ich weitab von allen Gerüchten, die wie aufdringliche Fliegen herumschwirren und unser Denken zu wilden, selten guten Spekulationen verleiten. Auf meiner Kindheitswiese höre ich die in den Himmel strebende Kraft, die zwar weiss, dass sie ihn nie erreichen wird, und dennoch unerschrocken ihren Kampf gegen die Schwerkraft unserer Existenz weiterführt.

      Und schon liege ich in der Sommerwiese gebettet. Denn im Alter, das können meine Altersgenossen sicherlich bezeugen, vergeht die Zeit um so viel schneller, als würde ein überzogenes Uhrwerk im Rapidmodus scheppernd sich entladen. Die Gräser um mich sind gewachsen. Sie wiegen sich langsam im Wind und berühren einander sanft. Längst hat sich der Krokus wieder ins Erdreich zurückgezogen. Und ich geniesse auf der Pferdedecke meiner Fantasie die ersten Düfte des noch jungen Sommers. Ich lausche den summenden Liedern der Bienen und schaue den beflügelten Elfen zu, wie sie von Kelch zu Kelch eilen und ihre fruchtbringende Arbeit strebsam und mit Genuss erfüllen.

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       Heufuder bei Rueras 1920–1935.

      Das Gras wächst kaum mehr, dafür ergibt es sich schwungvoll den Tänzen, zu denen es der Sommerwind lädt. Gewitterwolken verkünden köstliches Nass, doch der wütende Donner droht mit Verwüstung. So ist das Leben, denke ich und vernehme das Dengeln der Sense und die nahenden Schritte. Ich höre das «Schsch!» des Schnitters. Dann hält er wieder und wetzt. Ein herrlicher Klang! Allmählich steigt mir der Duft gefällten Grases in die Nase, so wie ich ihn aus Kindertagen kenne. Ich lausche dem Singen der Frauen und Kinder, die mit ihren Heugabeln das blutende Gras bewegen, und vernehme das Schnauben des Pferdes, das den Heuwagen zieht.

      –

      Da durchzieht ein Jubelschrei meine Wiese. Die Bäuerin mit ihrem grossen Henkelkorb ist da.

      Dieser himmlische Duft!

      Frisches Brot.

      Käse.

      Most.

      Es wird ausgepackt, und ich greife zu.

       wenn nur ein krümel käse herausfällt! darf ruhig ein bissen mehr sein!

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       Das magische Fernrohr

      Täglich, oder doch beinahe täglich, an meinen Arbeitstagen durchquere ich gleich neben dem Eingang den Raum mit den Reliefs unseres wunderbaren Landes. Ganze Schulklassen balgen sich hier um die Fernrohre, mit denen die Schweiz unter die Lupe genommen werden kann. Aber auch Erwachsene, nur gesitteter, beanspruchen die Geräte, wollen Berge und Täler damit erobern, eine virtuelle Reise antreten. Ich bewundere immer den Ausdruck der Gesichter, die an den Fernrohren hängen: Staunen. Verzückung und Freude.

      Doch gestern, als ich den Saal durchquerte, geschah etwas Unerwartetes. Eine junge Frau mit langer blonder Mähne schaute durch ein Fernrohr. Wie üblich versuchte ich, ihren Gesichtsausdruck zu ergründen, als ihr ein Schrei entfuhr.

      Ein Urschrei. War es ein Erschrecken? War es Angst? Ich konnte den Schrei nicht einordnen, war aber aufs Höchste alarmiert. Da musste etwas gründlich schief gelaufen sein, nur so war dieser urtümliche Laut zu werten.

      Ich betätigte den Rufknopf auf meinem Pager, den wir Mitarbeiter stets mit uns führen, um meine Kolleginnen und Kollegen zu alarmieren. Was hatte nur die junge Frau durch das Fernrohr gesehen? War sie nicht schwindelfrei und wurde von der Angst überwältigt, in die Tiefen einer Schlucht zu stürzen? Wähnte sie sich gar in der Eiger-Nordwand, überzeugt davon, nicht mehr herauszukommen und auf ewig Eiseskälte, Wind und Wetter ausgesetzt zu sein? Meine Kolleginnen und Kollegen eilten in den Raum und blickten sich verwundert um, ohne etwas Aussergewöhnliches zu bemerken. Darauf wollten sie von mir wissen, was vorgefallen sei. Ein Diebstahl? Ein Herzstillstand? Oder gar ein Mord? Ich zeigte mit ausgestrecktem Arm in Richtung des Fernrohrs und der Nutzerin, die, ein Auge am Okular, kreidebleich und wie festgeklebt an ihrem Platz verharrte und immer wieder kleine Schreie ausstiess.

      Da fasste ich mir ein Herz, obwohl ich aus eigener Erfahrung wusste, dass ein Nachtwandler nicht aus seinen Visionen aufgeweckt werden darf, und ich nicht mit Sicherheit sagen konnte, ob die Besucherin einem ähnlichen Syndrom erlegen war, stellte mich neben sie, nahm das freie Fernrohr in die Hand, führte das Okular an mein Auge und, mein Gott! –, als

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