Haller 17 - SPAM!. Группа авторов

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Haller 17 - SPAM! - Группа авторов

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sieht Frauen mit Plastikgefäßen auf dem Kopf. Sie gehen hintereinander, drei Steinwürfe von ihr entfernt. Hager. Schleppenden Schrittes. Mit aufrechtem Gang. »Wir danken Ihnen für jede Unterstützung«, schreibt Kiki, massiert sich die Handgelenke und öffnet das nächste Mail.

      »Hochgeschätzte, in Gedanken bin ich bei Ihnen und hätte gerne etwas erübrigt, aber …«, liest sie.

      »Wie bedauerlich! Ich habe selbst …«

      »Wenn ich Arbeit hätte und Geld, würde ich gerne …«

      An Tagen wie heute findet sie, dass Mails, die ein ›würde‹, ›bloß‹ oder ›aber‹ enthalten, automatisch im Papierkorb landen sollten. Heute will sie nichts von der Brüchigkeit anderer Existenzen wissen. Nicht an Tagen, an denen sie mit Marianne telefoniert hat. Kurz angebunden und überspannt, wie diese ist. Wie sie sie immer wieder ermahnt, sorgsam zu sein und auf ihr Geld zu achten, beim Beheben und beim Bezahlen. Als bereite es Marianne Schmerzen, wenn sie ein Geschäft verlässt, ohne das Wechselgeld nachgezählt und den Rechnungsbeleg kontrolliert zu haben. Von Bettlern solle sie sich fernhalten, die würden ihr die Börse aus der Tasche ziehen, und die Türe müsse sie gut geschlossen halten vor Hausierern und Betrügern, die sich als Schornsteinfeger, Polizisten oder Mitarbeiter des Wasserwerks ausgäben. Heute will sie nicht mehr an Mariannes scharfes Einatmen erinnert werden, die kurze Stille und das gepresste »Mutter!« Der Achtsamkeitspauke überdrüssig hatte sie diesmal auf regelmäßige ›Hms‹ und ›Ohs‹ verzichtet und dafür gesagt, dass sie ohnehin nichts mehr habe, was eines Übergriffs wert sei. Sie müsse nun Schluss machen, gleich käme ein Käufer für die Brillantcreolen. »Mutter!« Faszinierend, wie viel Panik in diesen zwei Silben Platz findet.

      Sie wendet sich einem weiteren Mail zu.

      »Elvira, wie geht es deinen Waisen?«

      Kiki hört Kinder. Sie geht an das Fenster und sieht hinaus. Zwei Jungen fahren Rad, ein dritter läuft hintendrein.

      »Die Kinder lernen schnell und gerne«, schreibt sie. »Wir können ihnen nicht jeden Wunsch erfüllen, aber wer kann das schon? Wie geht es dir, liebe Gabriela?«

      Immer wieder liest sie Gabrielas Mails. Sie hat sich einzelne Sätze vergrößert, ausgedruckt und eingerahmt. ›Menschen wie du, die etwas aus ihrem Leben machen …‹ hängt in der Wohnküche und ›Du bist mir Inspiration‹ im Schlafzimmer.

      Harald hatte so etwas nie zu ihr gesagt. Marianne auch nicht. Auch nicht, nachdem Harald gegangen war. Er hatte sich lange genug durch das Leben geschleppt, seines und ihres, und sie war ihm gefolgt, ohne eigenen Willen und ohne Ziel. Ihre Tage angefüllt mit routinierten Nichtigkeiten. Ohne ihn war niemand mehr da gewesen, der Erwartungen an sie gestellt hatte. Niemand auch, der mit ihr geredet hatte. Mit einem Mal waren die Tage doppelt so lang, hatte sie seine und ihre Stunden totzuschlagen. Marianne hatte ihr eine Mailadresse angelegt, damit sie sich unterhalten konnte. Es war die einzige Mailadresse, die sie besaß.

      »Ich habe viel zu viel gekocht. Kommst du vorbei?«, schrieb ihr Kiki.

      »Ein herrlicher Tag. Lass uns spazieren gehen.«

      »Erzähl mir von deinem Urlaub.«

      Marianne antwortete: »Viel um die Ohren. Ich ruf dic an.«

      Es handelte sich um automatisierte Antworten, denn es war immer der gleiche Text. Mit fehlendem ›h‹ im ›dich‹. Immer gleich waren auch die Mails ihrer Bank, ihre Telefon- und Stromrechnung. Sie las sie sorgfältig und kannte den Wortlaut bald auswendig. Einmal wechselte ihr Bankberater. Der Neue stellte sich vor. Marianne gratulierte ihm zu seinem Posten und schrieb, sie würde sich auf die Zusammenarbeit freuen. Auch ihrem Telefon- und Stromanbieter schrieb sie. Zurück kamen automatisierte Antworten, in denen man ihr für ihr Interesse dankte und eine baldige Behandlung ihres Anliegens versprach, aber ihr elektronisches Postfach blieb so leer wie ihr analoges. Bis sie ein Mail von Herrn Song erhielt.

      Herr Song war Bankangestellter in irgendeiner südostasiatischen Stadt, die zwar zigfach größer als die meisten europäischen Städte, aber trotzdem niemandem diesseits des Kaukasus bekannt war. Er erzählte von unkomplizierten Darlehen und Anlagen mit hohen Profiten und von seiner Sorge, dass Kiki davon nichts wüsste und ihr Geld deshalb falsch anlegte.

      Kiki war es leichtgefallen, Haralds Vermächtnis restlos zu beseitigen, seine Bücher, seine Kleidung, seine Uhren. Einzig sein Armsessel stand noch im Wohnzimmer. Sie stieß jeden Abend daran, wenn sie nach dem Fernsehen schlafen ging und entdeckte in der Früh den blauen Fleck, den sie sich dabei zugezogen hatte.

      Herrn Songs Mail zeichnete sich durch korrekt gesetzte Interpunktion und höfliche Anrede aus. Er hatte eine blumige Schreibweise, die im Finanzbereich fehl am Platz und deshalb umso ansprechender war.

      Kiki rief seine Mail jeden Morgen auf und stellte sich vor, wie Herr Song an seinem Mahagonischreibtisch Platz nahm, seine Mails öffnete und sortierte, wie er unter den Gesendeten die Mail an sie sah und sich fragte, wann sie antworten würde. Sie versuchte, sich ihn vorzustellen. Klein und blass, schmal, aber mit einem Bäuchlein. Er hatte dicke Brillen und makellose, wenn auch gelbliche Zähne. Seine Hände waren weich und zart. Er trug ein kariertes, leicht tailliertes Hemd aus Popeline und ein dunkelblaues Jackett. Das Hemd war zugeknöpft und schnürte den Hals ein.

      Kiki beschloss, dass Herr Song keine Manschettenknöpfe besaß, weil er sie sich nicht leisten konnte. Darin mit sich übereingekommen, antwortete sie ihm.

      »Warum schreiben Sie mir?«

      Am nächsten Tag fand sie Herrn Songs Antwort.

      »Warum antworten Sie mir?«

      Sie schrieb die Frage auf ein Post-it, heftete es an ihre Kühlschranktüre und tat, wovor Marianne sie eindringlich gewarnt hatte: Sie öffnete weitere Mails von unbekannten Absendern. Einige hatten den Weg in den Posteingang gefunden, andere fischte sie aus dem Junk-Mail-Ordner. Die mit Anhängen ließ sie, wo sie waren. Nicht, weil sie Marianne glaubte, dass Anhänge besonderen Schaden anrichten konnten, sondern weil sie nicht interessant waren. Sie bestanden meist aus einer einzigen Zeile mit der Aufforderung, den Anhang zu öffnen. Die anderen wiederum verrieten etwas über ihre Verfasser. Sie waren verwaist, verwitwet, hatten eine Tochter verloren oder ihr Haus. Sie lebten in Afrika, in Asien. Sie arbeiteten für eine Versicherung, eine Bank, einen Pharmakonzern. Vertrieben Wunderpillen, Aktien, Blitzableiter.

      Kiki druckte sich die Mails aus und las sie nach dem Abendessen in Haralds Armsessel. Der Sessel war zu groß für sie, der Bezug abgewetzt, die Lehnen speckig und eine Sprungfeder gebrochen, was das Sitzen unbequem machte. Der Sessel benötigte zu viel Raum. Aber er roch nach Harald, nach seinem Aftershave, der Haarpomade und der Hornhautcreme, mit dem sie ihm die Fußballen eingerieben hatte.

      Sie saß in dem Armsessel und las Harald die Mails vor und Harald – das war das Beste an allem – Harald hörte ihr zu und schwieg. Sie überlegte, was er Herrn Song sagen würde.

      »Ich habe kein Geld, das ich investieren könnte«, antwortete Kiki und ihr Zeigefinger verharrte über der Senden-Schaltfläche. Sie stellte sich vor, wie Herr Song ihr Mail las und löschte. Sie fügte drei Leerzeilen ein und schrieb dann: »Aber ich habe Ideen und würde sie gegen ein Problem tauschen.«

      Herrn Songs Antwort kam umgehend. Es war kurz vor Mitternacht. In Herrn Songs kleiner südostasiatischen Stadt war es gewiss früher Morgen. Vielleicht war ihre Nachricht die erste, die er an diesem Morgen las, noch bevor er seinen Chai trank oder seine Termine für diesen Tag aufrief.

      »Welche Ideen?«

      »Lösen

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