Mensch und Gott. Houston Stewart Chamberlain
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Wir bezeichnen diesen echten wahren Glauben – wie ihn Jesus und Paulus lehrten – als den »aktiven« Glauben, und doch wird gerade er – wie Luther sagt – »durch Gott in uns gewirkt«. Es handelt sich um das Erblicken eines vorher Ungesehenen; unsere altindischen Verwandten nannten es »das Ergreifen der Gotteshand«. Insofern muß man sagen, der Vorgang sei zugleich aktiv und passiv. Entscheidend ist freilich, daß Gott sich zu mir, Menschen, hinabneigt, daß er mir die Hand entgegenstreckt; nicht weniger entscheidend ist es jedoch, daß ich, Mensch, das Auge aufschlage und Gott erblicke, daß ich die ausgestreckte Hand ergreife – und diese »aktive« Tat entscheidet alles. Denn hier bleibt nicht – wie bei der Mystik und der Magie – noch etwas, eigentlich noch alles zu tun, vielmehr ist mit dem Glauben schon alles getan, weil Gott es ist, der dann alles leistet. Gott erlöst nicht nur aus den Banden einer beschränkten Menschlichkeit, sondern, indem er das tut, schenkt er – wie wir es soeben aus Luther's Mund vernahmen – ein höheres, tätigeres, rastloseres Leben, was wir an allen unseren großen Glaubenshelden erfahren. Darum lehrt der Heiland: »Jeder, welcher Gott glaubt, hat Leben« ( Ev. Joh. 6, 47 nach dem ältesten Texte, dem Syrsin).
Jetzt ist es uns klar, warum dieser Glaube – im Gegensatze zu den anderen Bedeutungen des Wortes – der »aktive« heißen muß: es ist der lebenspendende Glaube, ja, der Leben in Gott spendende – »der Glaube, der durch Liebe sich auswirkt« oder, wie Luther übersetzt, »der Glaube, der durch die Liebe tätig ist« ( fides, quae per caritatem operatur, Gal. 5, 6). Dieser Glaube – auch das ist uns aus dem Beispiel der großen Christen bekannt – ist der Liebe so nahe verwandt, daß beide Begriffe ineinander verschmelzen; »Gott ist die Liebe«: wer Gottes Hand ergreift, kann nicht anders als »durch Liebe sich auswirken«. Darum muß, wie die Liebe, so auch der Glaube alle Tage neu geboren werden, andernfalls er abstirbt und nur als Mumie weitergeschleppt wird; es handelt sich um einen immer sprudelnden Lebensquell, der täglich Neues gebiert. Hierauf deutet das sonst schwer zu verstehende Wort: »aus Glauben zu Glauben« ( ex fide in fidem, Römer, 1, 17): der Glaube bleibt allezeit ein und der gleiche, nichtsdestoweniger erfährt, wer sich Gottes Führung hingibt, daß er täglich Unerwartetes erlebt und leistet; er steigt eben die Stufenleiter, die gottwärts führt, aus Glauben zu Glauben.
Soviel nur zur Verständigung über die Bedeutung der dritten Hauptregung, welche das Gemüt der Einwohner des römischen Reiches zu der Zeit um Christi Geburt herum stark bewegte, in dem Streben zwischen Mensch und Gott zu vermitteln. Während aber Mystik und Magie alle Länder mit ihrem Wesen erfüllten, verharrte der Glaube in dem Zustand einer noch schlummernden Spannkraft, die nur hier und dort sich zu regen versucht. Es fällt sehr schwer, solche Regungen nachzuweisen, es zu versuchen, würde uns weit führen und vielleicht doch nicht überzeugend wirken. Ich verweise aber auf das vorzügliche Buch von Hatch Über den Einfluß der griechischen Ideen und Gebräuche auf die werdende christliche Kirche (auch deutsch von Preuschen), wo man im 11. Kapitel manches Entscheidende über die Sehnsucht nach Glauben unter der damaligen Menschheit finden wird; auch Reitzenstein, in seinem Buche über Die hellenistischen Mysterienreligionen, weist auf das Aufkommen einer neuen Glaubensvorstellung hin, einer Auffassung des Glaubens als »einer göttlichen Kraft, die, auf persönliche Erfahrung im Mysterium begründet, ausdrücklich aller philosophischen Überzeugung entgegengestellt wird«, und zeigt, daß dieser Gedanke im Bunde mit der Sehnsucht nach »Erlösung« (Soteria) als ein mächtiges Ferment Geist und Herz zahlreicher Menschen der verschiedensten Anlagen – von den einfachen Seelen duldender Armer bis zu den feinst entwickelten Trägern der philosophischen und literarischen Bildung – in eine gärende Erwartung versetzte (S. 9 fg.).
Und doch gelang es dem Glauben nicht, irgendwo Fuß zu fassen und Wurzel zu schlagen. Man staunt, wenn man erfährt, daß die Leute den verschiedensten Religionen zugleich beitraten: ein Mann ließ sich heute in die Mysterien des Dionysosdienstes einweihen, trat morgen als Myste den Verehrern des Attis bei, was ihn nicht hinderte, der großen Gemeinde des Osiris (der Isis-Anbeter) sich anzuschließen und auch den Mithrasglauben zu bekennen. Die Sehnsucht nach Glauben war groß, die Erkenntnis des Wesens dieser Geistestat aber fehlte noch: daher die Irrung und Verwirrung. Das Überwuchern der Mystik auf der einen Seite und der Magie auf der anderen trug auch viel zum Wirrsal bei. Je echter dieses neu sich regende Geistesbedürfnis, um so weniger konnte es sich bei den ihm dargebotenen Phantastereien beruhigen. Fürwahrhalten kann man alles mögliche; echter Glaube aber bewirkt eine innere Umwandlung; das wußten die Mysterienkulte, alle versprachen sie die »Wiedergeburt« und redeten ihre Neueingeweihten an: renatus es, du bist wiedergeboren; doch was sie verhießen, waren sie unfähig zu leisten, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil Gott allein das zu leisten vermag. Solange nicht der wahre Mittler zwischen Mensch und Gott auf Erden erschienen war – den Augen sichtbar, den Ohren vernehmbar –, so lange hielt der Glaube nichts als leere Bilder in der Hand. Dieses Erscheinen hing aber von Gottes Willensentschluß ab, nicht von dem Sehnen der Menschen.
Und siehe da! Gott erbarmte sich unser; das entscheidende Ereignis aller Menschheitsgeschichte geschah; der Mittler erschien, lebte und lehrte unter uns, starb – weil er ein Mensch war, und erstand wieder zum Leben – weil er Gott war. Was uns Sterblichen dadurch für Möglichkeiten eröffnet wurden, soll in den folgenden Kapiteln dieses Buches zur Sprache kommen. Hier, wo nur von der Notwendigkeit und der Bedeutung des Begriffes der Vermittelung und des Mittlers die Rede ist, begnüge ich mich damit, aufmerksam zu machen, daß derjenige Jünger, der Jesus am nächsten stand, Johannes – anstatt die Bedeutung seines Meisters durch die beengende Vorstellung des Messias zu umzirkeln – ihn einmal mit dem schönen griechischen Namen des Parakleten bezeichnet, indem er von ihm spricht als »unserem Mittler bei dem Vater« ( 1. Ep. Joh. 2, 1), woraus die klare Erkenntnis der alles Menschentum umspannenden Bedeutung des Geschehnisses hervorleuchtet.
Jetzt hatte der Glaube Lebensatem erhalten; sobald die Gnade sich herabsenkte, brauchte er bloß hinaufzustreben und sie zu ergreifen; damit war die Wiedergeburt eine Wirklichkeit geworden, und die Unsterblichkeit erhielt, wenn auch nicht eine faßbare Vorstellbarkeit, wenigstens Sinn und sittliche Bedeutung. Sofort schwang sich der Glaube zu schwindelnden Höhen hinauf: hierfür gibt es keinen ergreifenderen Beleg als den Brief des Ignatius, Bischofs von Antiochien, an die junge christliche Gemeinde in Rom – ein Brief, dem als Zeugnis menschlichen Heldenmutes aus der gesamten Geschichte der Menschheit wohl weniges gleichkommt.
Der fromme Greis, der möglicherweise, wie die Überlieferung es will, als Kind den Heiland mit Augen erblickt hatte und der – wie dem auch sei – jedenfalls Schüler seiner unmittelbaren Jünger war und somit den mit nichts zu vergleichenden Eindruck der göttlichen Persönlichkeit aus nur einmaliger Widerspiegelung in der Seele trug, der fromme Greis war verurteilt worden, den wilden Tieren in der Arena zu Rom ausgesetzt zu werden, und wurde jetzt als Gefangener unter soldatischer Obhut von Syrien in die Hauptstadt abgeführt. Unterwegs überkommt ihn die Sorge, die christliche Gemeinde in Rom – die schon zahlreich war und nicht ohne Einfluß am kaiserlichen Hofe – könnte zu seinen Gunsten eintreten und seine Befreiung oder wenigstens den Erlaß der Todesstrafe bewirken. Höchst wahrscheinlich – so versichern uns die heutigen Kenner der Verhältnisse – wäre ein derartiger Schritt der Gemeinde nicht erfolglos geblieben. Da verfaßt denn Ignatius unterwegs an die Glaubensgenossen in Rom einen Brief, den er durch einen schnell reisenden Boten dorthin voraussendet. Daraus seien einige Stellen mitgeteilt:
»Ich fürchte Eure Liebe, daß sie mir schaden könnte. ... Es sei Euch männiglich bekannt, daß ich aus eigenem freien Willen für Gott sterbe – wenn nur Ihr mich nicht daran hindert. Ich flehe Euch an, erweist mir keine unzeitige Liebe: laßt mich den wilden Tieren ausgesetzt werden, denn durch sie kann