Mensch und Gott. Houston Stewart Chamberlain
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Erzähle ich das so umständlich, so geschieht es, weil ich mir bewußt geworden bin, daß die beiden nicht zur Ausführung gekommenen Vorschläge dennoch die vorliegende Schrift beeinflußt haben: ohne Pfleiderer's Anregung hätte ich vielleicht doch nicht so weit umhergeschaut, wie hier geschehen ist; und hätte mich nicht der Gedanke an eine Bekenntnisschrift lange beschäftigt, so wäre ich schwerlich auf die Beschränkung geraten, die jetzt gebietet und dieses Buch, zwar nicht zu einem ausdrücklichen, aber dessen ungeachtet zu einem geheimen Bekenntnis geschaffen hat. Namentlich letzterer Umstand besitzt für den »Standpunkt« des Verfassers, den wir zu bestimmen suchen, entscheidende Bedeutung: habe ich auch überall Tatsachen und gelehrte Ergebnisse herangezogen nach Maßgabe des mir zu Gebote Stehenden, so habe ich mich doch fast an keiner Stelle über die Grenze dessen hinausgewagt, was mir im Laufe des Lebens zu einem Herzensbekenntnis geworden ist; denn wo dies nicht der Fall war, fühlte ich mich wankend und fand keine Freude daran, bloße Meinungen vorzutragen. Zwar habe ich überall streng an mich gehalten, in der Überzeugung, man sage mehr, wenn man die letzten Worte unausgesprochen lasse; nichtsdestoweniger findet die rechte Fühlung zu diesem Buche nur derjenige, der den Herzschlag darin vernimmt.
Erstes Kapitel.
Mensch und Gott
In unsers Busens Reine wogt ein Streben, sich einem Höhern, Reinern, Unbekannten aus Dankbarkeit freiwillig hinzugeben. Enträtselnd sich den ewig Ungenannten.
(Goethe)
Yes, there is a god in man.
(Carlyle)
Mensch und Gott sind zwei Vorstellungen – oder sagen wir lieber, um gleich genauer zu reden – Mensch und Gott sind zwei Gedankengestalten (Ideen), die sich gegenseitig hervorrufen und insofern bedingen. Kein Volk der Welt ist bekannt, das nur die eine hegte, ohne sie durch die andere zu ergänzen. Die Forschungen des letzten halben Jahrhunderts haben es – im Gegensatz zu der bisherigen ziemlich allgemeinen Annahme – unwidersprechlich gezeigt: der Gedanke an eine Gottheit und zwar an eine einheitlich vorgestellte (monotheistische), unsichtbare, allgegenwärtige fehlt bei keinem Stamm der Erde, wobei besonders beachtenswert erscheint, daß diese Gottheit zunächst nichts mit priesterlichen Religionslehren und mit Kultus zu tun hat, sondern auf dem dunklen, aus Halbbewußtsein und Unbewußtsein gewobenen Hintergrund des Gemütes als unabweisbare Gedankengestalt mit Naturnotwendigkeit steht und wirkt. Alle Verwickelungen der Vielgötterei, alle grüblerische Bildung von Zwangsglaubenssätzen (Dogmen), alle gottesdienstlichen Wahngedanken sind das Erzeugnis späterer Kulturstufen und lassen meistens die Gedankengestalt des Einen Urgottes unangetastet, wenn auch zurückgedrängt hinter die Buntheit der neuen Vorstellungen. Von diesem Gott redet selbst ein Euripides als von »dem ätherischen Zeus jenseits aller Himmel« ( Frgm. 911), und zu der Zeit des aufsteigenden Christentums sagt ein erbitterter Gegner der neuen Lehre, Maximus von Madaura: »Es gibt nur Einen höchsten und einzigen Gott, ohne Anfang und ohne Ende, dessen in der Welt verbreitete Kräfte wir unter verschiedenen Bezeichnungen anrufen, weil wir seinen wahren Namen nicht kennen .....«1 Ethnologen und Missionare haben nur darum die Tatsache dieser allverbreiteten Eingottsvorstellung erst spät entdeckt, weil die wildlebenden Menschen diesen ihren Gottesgedanken teils aus Scheu, teils aus stumpfer Gleichgültigkeit, unerwähnt zu lassen pflegen.
Welche Unmenge vergeblicher Arbeit, welche Fluten verderblichen Hasses, welche Ströme Blutes hätten wir Europäer uns sparen können, wenn wir es der Mühe wert gehalten hätten, auf den erhabenen Lehrer zu hören, der vor zweieinhalb Jahrtausenden die verborgenen Grundzüge des Menschengemütes entdeckte und als echter Hellene in faßlichen Bildern darstellte! Zwar hat Plato nach und nach auf den geheimnisvollen Wegen einer sich unbemerkt aufdringenden Geistesübergewalt nicht zu ermessenden Einfluß auf unser Denken in seiner ganzen Breite gewonnen; von dem feinst ersonnenen Hirngespinst unserer Theologen bis zu den Forschungen unserer Naturwissenschaft – wir alle sind Platoniker, ohne es zu wissen; doch gerade der Mittelpunkt seines Denkens – die Lehre von den Gedankengestalten – bleibt noch immer ein Spielzeug für Fachleute, anstatt, wie das der Fall sein sollte, unser Leben zu befruchten und ihm Richtungen zu weisen.
Diesen Mittelpunkt bildet die Entdeckung, daß alle Gedankengestalten Schöpfungen des Menschengeistes sind – und ich füge hinzu, des Geistes einzelner begnadeter Menschen, die eine unbeschränkte Zahl von Erscheinungen, Erfahrungen oder Gedanken durch eine derartige Schöpfung zu einer übersichtlichen Einheit zusammenfaßten, wodurch zugleich Licht in die Verfinsterung einer übervollen Vorstellungswelt gebracht und die Last, die das Hirn zu tragen hat, bedeutend erleichtert wird. Nicht einmal die allereinfachsten solcher Gedankengestalten – die Begriffe, unter denen wir die von uns selbst verfertigten Gerätschaften zusammenfassend uns vorzustellen pflegen – sind in Wirklichkeit bloße Namen für vorhandene Dinge: immer ist etwas Dichtung dabei und damit zugleich ein Schwebendes, undeutlich Begrenztes, Wechselndes. Wie staunen wir Ungelehrte, wenn wir in Kluge's Etymologischem Wörterbuch der deutschen Sprache von dem uns vertraut anheimelnden Bett erfahren, die indogermanische Wurzel dieses Wortes bedeute »graben«, in weiteren alten Wandlungen dann Grube und Gruft, »eingewühlte Lagerstelle«, und deute in einer anderen Entwickelungsreihe auf Mist und Dung! Forschen wir weiter nach und schlagen z. B. in Bethge's Urzeit (S. 46) oder Meringer's Das deutsche Haus (S. 59 fg.) nach, so erfahren wir, das Wort »Bett« habe ursprünglich Erdhöhlen bezeichnet, die beim Herannahen des Winters als Schutzräume gegraben und der Wärme wegen mit Dungschichten überdacht wurden, um dann jenen urtümlichen Menschen, die sonst ihr Wesen nachts wie tags unter freiem Himmel zu treiben pflegten, als Schlafstätten und auch als Spinnstuben zu dienen. Der heutige Begriff »Bett« – der in Wirklichkeit, wie Plato öfters hervorhebt, eine Gedankengestalt (Idee) ist – hängt also mit dem Worte äußerst lose zusammen, was uns wiederum darauf aufmerksam machen sollte, daß selbst in diesem einfachsten Falle das Ding und die Gedankengestalt sich keineswegs decken, vielmehr letztere sich gleitend den verschiedensten Verhältnissen anpaßt, sich nie in unverrückbare Begriffsbestimmungen einfangen läßt, also das Wesen einer Fata morgana, einer zerfließenden Schattengestalt an sich trägt.
Da den meisten heutigen Menschen das Denken – namentlich jedes Denken über das Denken – ungewohnt und darum lästig ist, füge ich eine humoristische Anekdote hinzu, die um so mehr anmutet, als sie sich auf Held Hindenburg bezieht2. Der Feldherr hatte eines Abends einen Professor der Philosophie, der als Reserveoffizier sein Hauptquartier durchzog, zu Tische geladen. Im Laufe der Unterhaltung geriet der Gelehrte ein wenig tief in sein Fach hinein, was dem Kriegsmann einige Mühe, zuletzt wohl auch Ermüdung verursachte. Auch hier wußte er sich Rats. »Herr Major, entschuldigen Sie die Unterbrechung! Gesetzt den Fall, ich nehme ein handgroßes Brett, rechteckig oder abgerundet, und ziehe reihenweise 500 kräftige Schweinsborsten hindurch: das darf ich doch eine Bürste nennen, nicht wahr?« – Der erstaunte Gelehrte stottert befangen: »Ohne Frage... gewiß, Exzellenz.« – »Wenn ich aber nur 300 Borsten durchziehe, darf ich dann noch immer von einer Bürste reden?« – Der immer verlegener werdende Fachmann nickt lächelnd seine Bejahung. Nun fühlt der Recke, daß er das Heft in der Hand hält, und steigt zuversichtlich heiter immer tiefer herab mit der Zahl der Borsten; der Philosoph wird zunehmend verlegen und faßt endlich bei 10 Borsten den Mut einzuwerfen, da könne man wohl doch nicht mehr von einer Bürste reden. Unter schallendem Gelächter der