Mensch und Gott. Houston Stewart Chamberlain

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Mensch und Gott - Houston Stewart Chamberlain

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      Lehrreich finde ich es, die Namen zu erfahren, welche die urtümlichen Menschen zur Bezeichnung dieses Göttlichen gebrauchen. Häufig heißt es der Vater, der große Vater, unser allgegenwärtiger Vater, oder der Alte, der Alte des Himmels, der alte Mann (im Sinne eines von jeher Dagewesenen), sehr häufig auch der Gute, der Wohltäter, der große Freund, anderwärts der Himmlische, der Himmelsherr, der Alte im Himmelland, manchmal auch kurzweg der Himmel, seltener heißt es der Herr oder der Meister. Diese naiven Benennungen bedeuten eben so viele Zeugnisse für den Ursprung der Idee eines höchsten Wesens ( Gott) aus der Forderung eines Gegenstückes zu der Idee Mensch. Denn, sich als Mensch erkennen heißt, sich von allem übrigen Leben grundsätzlich unterscheiden und bedeutet den Entschluß, sich als ein Höheres – mit höheren Rechten, Forderungen und Erwartungen – zu behaupten. Dies schließt notwendig in sich die Vorstellung eines Übermenschen (um Goethe's Ausdruck zu gebrauchen), eines besseren Selbst, eines Helfers und schließlich eines Meisters. Das bereits Seite 21 fg. Ausgeführte sei hier wiederholt. Die Gedankengestalt Mensch kann als eine Bewegung des ganzen Wesens nach oben gedeutet werden: damit diese Bewegung Bestand gewinne, muß ihr von oben her etwas entgegenkommen – und siehe da! diese Erwartung wird nicht getäuscht: ein höchstes, gutes, freundliches, väterliches Wesen neigt sich aus dem Himmel herab. Selbst die Wilden von Süd-Guinea sagen: »Dieser Gott allein hat keine Priester, dieser allein verkehrt unmittelbar mit den Menschen« (A. Lang, a. a. O., 3. Aufl., S. 220). Ob dieses Wesen rein geistiger Art sei oder auch leiblicher, pflegt nicht gefragt zu werden, ebensowenig, ob ihm die Eigenschaft eines Weltschöpfers zukomme oder nicht; es bewährt sich eben überall als die reine Gedankengestalt Gott.

      Daß diese tausendfach bezeugte Tatsache so lange unerkannt bleiben konnte, verdanken wir den Vorurteilen unserer Wissenschaftler und Evolutionsdogmatiker – an ihrer Spitze Herbert Spencer. Diese hatten die Zwangslehre aufgestellt, urtümliche Völker dürften keinerlei Vorstellung von Gott besitzen, ebensowenig irgendwelche noch so einfachen sittlichen Begriffe; und nun findet sich, daß gerade bei den unkultiviertesten Stämmen auf Erden der Gedanke Gott und mit ihm sittliche Lehren, würdig der Bergpredigt, in besonderer Reine angetroffen werden. Ein wissenschaftlich gebildeter evangelischer Missionar, der reiche Erfahrung unter den Wilden besitzt, schreibt hierüber: »Daß diese reinere Gottesidee das Resultat einer langen Entwickelung sein soll, in dem Sinne, daß die Völker mit animistischen Vorstellungen beginnend, unter dem Drucke der Furcht zur Tier- und Ahnenverehrung und von da zur Naturverehrung fortgeschritten seien, aus der heraus die Götter erwüchsen, worauf man durch einen reicheren Polytheismus hindurch zu der allmählich geläuterten Vorstellung des Einen Gottes sich emporarbeitete (so lautet nämlich die genannte Zwangslehre) – diese Hypothese widerspricht dem Bilde, das jeder, der mit dem wirklichen Heidentum vertraut wird und es nicht durch eine Brille ansieht, von ihm gewinnt. Die Gottesidee liegt nicht im Wege der Entwickelung aus dem Geisterdienst, sie widerspricht dieser Entwickelung. Sie ist ein Fremdkörper in der animistischen Vorstellungswelt. Sie steht im Gegensatz zu den Naturgottheiten, zu der Auffassung von der Seele als einer Allmaterie, zu den Dämonen und Ahnen, die Gott seine Macht aus den Händen gewunden haben, im Gegensatze auch zu dem starren Fatum, das Gott aus der Welt entfernt, also im Gegensatz zu allen das animistische religiöse Leben bestimmenden Faktoren« (J. Warneck: Die Lebenskräfte des Evangeliums, Missionserfahrungen innerhalb des animistischen Heidentums, 1913, 5. Aufl., S.96fg.). Dieses Zeugnis ist um so wertvoller, als der Verfasser dem streng kirchlichen Christentum angehört und infolgedessen eigene Vorurteile zu überwinden hatte, ehe er die Wahrheit erkannte. Wie ihm, so ist es allen seinen denkenden Kollegen gegangen, wofür man in dem genannten Werke zahlreiche Belege findet. Die Tatsache dieses ursprünglichen, allerorten anzutreffenden Gottesglaubens kann überhaupt nicht mehr in Frage gezogen werden, einzig ihre Deutung bleibt noch ein strittiger Punkt: ich für mein Teil bin überzeugt, die richtige Erklärung im obigen gegeben zu haben.

      Hiermit fällt aber zugleich neues Licht auf die Geschichte aller Religion; denn man wird finden, daß dieser reine Gottesbegriff – aus unabweisbarer Denknotwendigkeit hervorgegangen und untrennbar verbunden mit dem Begriff des Menschen – mochte er noch so sehr von der bunten Menge phantastischer Vorstellungen und aberwitziger Einfälle zurückgedrängt und verdunkelt werden, dennoch überall weiterlebt und in gipfelnden Erscheinungen immer wieder in voller Reinheit hervorbricht. Fliegen wir beherzt auf den höchsten aller Gipfel, so vernehmen wir das Gebet, das mit den Worten anhebt: Vater unser, der du bist im Himmel – und fühlen uns sofort zu den guten Andamanesen und sonstigen urtümlichen Menschen hinversetzt, die in diesen Worten buchstäblich genau ihr eigenes Vorstellen und Reden erkennen würden! Schon der verehrungswürdige Livingstone, der als erster unter den Weißen die dunklen Wälder Mittelafrikas betrat, meldet erstaunt: »Auch die allerniedersten dieser Stämme braucht man nicht erst zum Glauben an das Dasein Gottes zu überreden, alle ohne Ausnahme hegen in sich diese Überzeugung« ( Missionary Travels nach Lang). Immer wieder, wie man sieht, die reine Vorstellung des Eingottes, nicht als letztes Ergebnis hoher Zivilisation und Kultur oder gar verfeinerter Gottesgelahrtheit, vielmehr als Naturtrieb aller noch kindlichen Menschen ohne Ausnahme und dann als Blüte der religiösen Gedankenwelt zu höchst Begabter.

      Ich nannte das Vaterunser; zur Ergänzung verweise ich jetzt auf eine andere Welt – auf die der brahmanischen Inder. Unter einer Mythologie, die im Laufe langer Zeiten wie ein tropischer Urwald immer dichter, immer undurchdringlicher phantastisch emporwucherte, war nach und nach die schlichte – zwar ferne, doch zugleich eindringliche – Vorstellung des guten Wesens, des Vaters im Himmel, dem Bewußtsein beinahe entschwunden. Da fanden sich hochgesinnte Männer, tiefe Denker, die von dem Instinkt reingezogener Rasse geleitet, den Weg zurück ins Einfache suchten und vor keiner Gewalttätigkeit zurückscheuten, um dieses Ziel zu erreichen. Was die Andamanesen und Jesus wie eine Blume am Wege gefunden hatten, dahin mußten die Inder sich erst durch das undurchdringliche Dickicht üppigster Phantasien durchkämpfen. Sobald sie sich bis zu den ursprünglichen Gedankengestalten hindurchgerungen haben, fassen sie sie daher mit einer Inbrunst an, die insofern beinahe mörderisch wirkt, als ein Übermaß an Willen stets die Reinheit der Erkenntnis trübt. Dennoch gelingt es ihnen – gerade in dem Übermaß ihres sehnsüchtigen Verlangens – etwas Einziges und Ewiges zu leisten: das Ergreifen, Erfassen und Erschöpfen der beiden Gedankengestalten Mensch und Gott, und zwar zugleich als vollkommen abstrakte Begriffe und als dermaßen lebendige Erfahrungen, daß sie Richtung und Inhalt des ganzen Daseins bestimmen.

      Es kann nicht meine Absicht sein, an diesem Orte das religiöse Gedankenleben der Upanishads zu schildern; es genügt, wenn ich an die beiden Gipfelpunkte – Brahman (Gott) und Atman (des Menschen Selbst) erinnere. Anstatt mit der blinden Wut des jüdisch angeseuchten jugendlichen Christentums über die blühenden Gestalten der Naturgötter zerstörend herzufallen, lassen die Inder Gott reden:

      Alles was mächtig ist und schön und üppig,

       Das, wisse, ist ein Teil von meiner Kraft.

      Wozu der altindische Erläuterer bemerkt: »Überall nämlich, wo sich ein besonders hoher Grad seiner (Gottes) Machtentfaltung zeigt, da wird diese als (persönlicher) Gott zur Verehrung anbefohlen« (Çankara: Die Sutra's des Vedanta, 1, 1, 11). Doch hinter diesen bewußt erdichteten Gestalten erhebt sich die eine einzige wahre Idee Gottes. Schon der Name, mit dem diese Weisen die reine Gedankengestalt Gott belegen, zeugt nicht allein für die Tiefe ihrer Besinnung, sondern auch für den Grad, in welchem es ihnen gelungen war, bis zu der Reinheit einer ersten unschuldigen Erkenntnis den Weg zurückzufinden. Das Wort Brahman entstammt nämlich dem Sanskrit für »Gebet« – und zwar Gebet nicht wie bei den Griechen als ein Wünschen aufgefaßt, noch wie bei den Lateinern als ein Wortemachen, noch wie bei den Persern als ein Fordern, noch wie bei den Russen als ein Erweichen, noch gar wie bei den Hebräern als ein Beräuchern, »sondern als der zum Heiligen, Göttlichen emporstrebende Wille des Menschen« (Paul Deußen: Das System des Vedanta, S. 128). Der emporstrebende Wille! Dies entspricht genau der Fassung, die wir oben brachten (S. 20 fg.) für die Entstehung der Gottesidee aus der Erkenntnis des Menschen von seinem Menschtum und dem hieraus sich ergebenden unabweislichen Bedürfnis nach einem Übermenschlichen,

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