Mensch und Gott. Houston Stewart Chamberlain
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Ehe sie soweit gelangten, hatten aber die Inder die Gedankengestalt Gott in einer Reinheit erfaßt, wie das mit Bewußtsein niemals sonsten geschehen ist. Namentlich die Leere dieser Vorstellung an Verstandes- und Sinnesbestimmungen wird von ihnen meisterlich dargestellt; denn in der Tat, es handelt sich um eine Bewegung der Seele, um eine mächtige Regung des Willens; Gott ist, wie der Name Brahman es richtig besagt – ein Gebet, nicht eine Erkenntnis. Wir können über Gott nichts aussagen – garnichts, außer daß wir als Menschen seiner bedürfen. Das Wort Brahman ist weder männlich noch weiblich, sondern sächlich, ebenso wie das griechische Theion und das Wort »Gott« im Nordischen und im Gotischen; letzteres erhielt erst später, unter christlichem Einfluß, das männliche Geschlecht. Es handelt sich um ein Göttliches, über welches nichts Näheres bestimmt werden kann, um »einen bleibenden Gedanken in der Seele«, wie unser Eckehart sich ausdrückt – eine Erkenntnis, die er durch die Worte ergänzt: »wer Got schouwen sol, der muoz blint sin.« Der indische Weise, von seinem Schüler gebeten, ihm Gott zu schildern, antwortet: »Neti, neti!« – er ist nicht so und er ist nicht so; was wir wiederum bei Meister Eckehart buchstäblich antreffen: »Sprich ich nû: got ist guot, ez ist niht wâr, mêr: ich bin guot, got ist niht guot: usw.« Schön heißt es von Gott in der Tattiriyaka-Upanishad:
Vor dem die Worte kehren um
Und die Gedanken, ohne ihn zu finden.
Als Kontrast und zugleich zur Ergänzung sei hier auf den verwandten Ausspruch eines hellenischen Weisen hingewiesen. In seiner bekannten apologetischen Schrift Octavius erzählt Minucius Felix folgende Anekdote über Simonides. Aufgefordert, sich über das Wesen Gottes zu äußern, verlangt der Weise einen Tag zur Überlegung, dann noch einen Tag und am folgenden Abend noch einen dritten Tag. Gefragt, warum er seine Antwort immer wieder verschiebe, erwidert er: »Je tiefer ich über Gottes Wesen nachsinne, um so undeutlicher werden meine Vorstellungen« (angeführt nach G.Boissier: La Fin du Paganisme, 7. Aufl., 1, 272). Der erhabene Denker Yadjnavalkya geht so weit, man könne von Gott weder aussagen, er sei seiend, noch auch er sei nicht seiend: ein Satz, in welchem die Tatsache, daß Gott eine reine Gedankengestalt (Idee) ist, vollkommenen Ausdruck findet. Auch hier bietet uns Eckehart eine genaue Parallele: »Spriche ich ouch: got ist ein wesen, ez ist niht wâr: er ist ein überswebende wesen und ein überwesende nihtheit.« (Ausg. Pfeiffer, S. 316–319). Und Luther schreibt: »Gott ist unbegreiflich und unsichtbar; was man aber begreift und sehen kann, ist nicht Gott« (Konkordanz, unter »Gott«). Es ist nun höchst bemerkenswert, daß wir nicht allein bei unseren Mystikern, sondern bei allen hervorragendsten Religionslehrern innerhalb des Christentums ähnlichen Aussprüchen über die Unerkennbarkeit Gottes begegnen: denn dies beweist, daß der Begriff Gott als Gedankengestalt neben den anderen Gottesbegriffen weiterlebt.
Die christliche Kirche hat es nämlich unternommen, drei vollkommen verschiedene Gottesvorstellungen – verschieden nach Ursprung und nach Wesen – miteinander zu einer Einheit zu verschmelzen: den persönlich-historischen Judengott, den mythologisch-mystischen dreieinheitlichen Gott des Weltalls und die dem Menschen notwendige und insofern angeborene Gedankengestalt Gott. An Jahve, dem Judengott, ist das Mögliche geschehen, um alles, was auch nur von weitem einer Idee gleichsehen könnte, auszumerzen; es handelt sich um eine völlig greifbare, klarbegrenzte, geschichtliche Gestalt; Jahve ist eigentlich nichts anderes als ein alter Jude, mit großartiger Willensenergie und guten Geistesgaben ausgestattet, dabei aber zornmütig und rachsüchtig und in manchen Beziehungen der einfachsten sittlichen Begriffe ermangelnd: jeden Betrug, jeden Raub- und Mordzug billigt er, sobald dieser seinem auserwählten Völkchen oder einem seiner besonderen Lieblinge zugute kommt; er ist ohne jedes Gefühl für angeborenen Menschenwert und angeborenes Verdienst. Unwillkürlich fällt einem bei Jahve Goethe's Zahme Xenie ein (Abt. 4):
Wie Einer ist, so ist sein Gott;
Darum ward Gott so oft zu Spott.
Einer anderen Welt entstammt der eigentliche Gott der christlichen Kirche: die Vorstellung einer heiligen Dreieinigkeit (Trimurti) ist altarisches Gut, das in den verschiedensten Gestalten überall, wo diese metaphysisch beanlagte Menschenart stark vertreten ist, wieder auftaucht. In diesem Falle fand die nähere Ausbildung der Vorstellung unter dem Einfluß der späthellenischen Philosophie statt, die auf theologische Abwege geraten und gerade, weil ihre Flugkraft gebrochen war, sich besonderer Eingebungen rühmte und sich Unmögliches zutraute. Hier handelt es sich um die unbedingte großartige Vorstellung einer allumfassenden Gottheit, die – als solche – außerhalb aller Zeit und aller Geschichte steht; dieser Gott bildet nicht, wie die Gedankengestalt des höchsten guten Wesens, des Vaters im Himmel, den ergänzenden Gegensatz zu der Idee des Menschen, vielmehr ergänzt er die Vorstellung der Natur. Daher bedarf er zur Verbindung mit dem flüchtigen Geschlecht der Sterblichen einer zweiten göttlichen Persönlichkeit, des Erlösers; schließlich stellt eine dritte das Element der Gemeinsamkeit dar zwischen Schöpfer, Erlöser und dem Menschen. Das Gesagte genügt zum Beweise, daß zwischen dem historischen Judengott und dem mythologischen Christengott in Wahrheit nicht die allerentfernteste Analogie besteht.
Auf diese Frage werden wir in einem späteren Abschnitt zurückzukommen haben; hier lag mir einzig daran, vorläufig Klarheit in verwickelte und mit Absicht dunkel gehaltene Verhältnisse zu bringen, um jetzt nachweisen zu können, daß hinter diesen beiden seit zwei Jahrtausenden viel Mühe und Lärm verursachenden Gottesvorstellungen die dritte und eigentliche Gottesidee still weiter gelebt hat – gelebt hat bei den Führern des religiösen Lebens, sowie gewiß auch bei Millionen einfacher Seelen. Diese dritte – in Wahrheit die allererste – Gottesvorstellung ist die eigentlich reinmenschliche, und gerade wegen ihrer Reinmenschlichkeit, die reingöttliche: hier hat der Mensch weniger Eigenwillen hineingelegt, hier hat er nicht Gott zum politischen deus ex machina mißbraucht, wie der Hebräer, noch wie die Kirchenväter eine großartige Gottesintuition durch unendliches Spintisieren zugleich menschenmäßig eingeschränkt und dem Menschenherzen ferngerückt. Bezeichnend für diese Gedankengestalt ist gerade ihre Unbegreiflichkeit: der Mensch sucht ein höheres Wesen, das seinen Verstand überragt; verstünde er es, so wäre es nicht das, was er sucht, und dessen er so notwendig bedarf. Wo wir also – wie vorhin bei den Indern, bei Meister Eckehart und bei Simonides – das Unergründliche, garnicht in die Formen unseres Denkens zu Bannende als das für das Wesen Gottes Bezeichnende finden, können wir sicher sein, daß wir es mit jener Idee zu tun haben, die als Gegenstück zu der Idee Mensch denknotwendig entsteht – wie oben genügend auseinandergesetzt worden ist. An Jahve ist nichts Unbegreifliches, nicht einmal etwas Problematisches; jede jüdische Religionslehre preist als einen Vorzug dieses Glaubens, daß er kein Geheimnis, keine Mystik enthalte, vielmehr dem gemeinsten Verstand bis auf den Grund begreiflich sei. Mit der Dreieinigkeit verhält es sich freilich anders; doch hat die Kirche es unternommen, alle das Wesen dieser Gottheit betreffenden Begriffe haarscharf festzustellen, so daß, wenn auch kein menschliches Hirn imstande ist, jene Bestimmungen des Nizänischen und des Athanasianischen Glaubensbekenntnisses aufzunehmen und nebeneinander zu beherbergen, der Rechtgläubige nicht behaupten dürfte, das Wesen Gottes sei unbekannt und unerkenntlich, sondern höchstens, es sei ihm persönlich nicht verständlich.
Gerade das Bekenntnis, daß es zum Wesen Gottes gehörte, dem Verstande unfaßlich zu sein, finden wir nun, wie gesagt, bei allen hervorragenden Christen und schließen daraus, daß ihnen – trotz aller kirchlichen Bestimmungen – das unverfälschte, reine, ursprüngliche Gottesgefühl in des Herzens Tiefen weiter lebt.
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