Karnische Hochzeit. Reinhard M. Czar
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Daher wurde ihm von seinen Freunden und Kollegen Arta Terme als idealer Schauplatz für die Hochzeit empfohlen. Freunde und Kollegen, das klang nach einer gewaltigen Menge, in Wahrheit waren es hauptsächlich Giuseppe Forza und ein Hundeführer, beide bei der Lösung des letzten Falls mit dabei. Camilieri war nämlich keiner, der viele Vertraute um sich scharte. Das Kurdörfchen lag eingebettet in schmucke Berge; schräg gegenüber dem Dorf und aus keiner Richtung zu übersehen hatte sich ein Kirchlein auf einen monolithisch anmutenden Berggipfel gesetzt: San Pietro, die älteste Kirche Karniens. Der Anblick dieser Einheit aus Naturgewalt und erdiger romanischer Architektur ließ das Herz des – zumindest in der Theorie – Neo-Bergfexen Camilieri schon zu dem Zeitpunkt höher schlagen, als er aus dem Auto stieg.
Es sollte noch einige Male höher schlagen. Zuerst einmal vor Anstrengung, als Eleonora, Lydia, Camilieri, Forza und der Padre, der die Trauung vornehmen wollte, die letzten Meter vom Parkplatz über eine steile Steintreppe zur Kirche hinaufkraxelten. Und dann natürlich, als der Tote gefunden wurde. Doch greifen wir nicht vor!
Wie das Leben so spielt und weil es bekanntlich die besten Geschichten selbst schreibt, sollte es nicht bei einer Hochzeit in San Pietro oberhalb von Arta Terme bleiben. Auch Camilieris Kollege Forza hatte sich im Zuge der Klärung des letzten Falls verliebt: in Eleonora, eine Assistentin am Kommissariat in Cividale. Diese wollte er zeitgleich mit der Vermählung seines Chefs in Arta Terme in den Stand der Ehe überführen, eine Doppelhochzeit also, die nur deshalb in dem kleinen Kirchlein Platz haben konnte, weil aus Sizilien kaum Publikum anreiste, auch die österreichische Delegation klein ausfiel, Forza schon Schwierigkeiten hatte, seine Mamma zur Teilnahme an der Hochzeit zu überreden, und generell keiner der Beteiligten ein Freund pompöser Feiern war – allen italienischen Usancen zum Trotz. Gewohnt wurde in einem Hotel im Ortsteil Piano d’Arta, dem Namen entsprechend noch ruhiger als der ruhige Rest des Kurorts.
Bevor die Truppe mit dem Padre, Forza wie gewohnt am Steuer, zum Parkplatz unter dem Bergkirchlein San Pietro hochfuhr, um die Örtlichkeit der Hochzeitszeremonie zu begutachten und sich vom Padre instruieren zu lassen, wo während der Feier welcher Schritt zu tun wäre, überquerte sie ein paar Hundert Meter südlich von Arta Terme auf einer Brücke den But. Das Flüsschen strömte von den Bergen her kommend durch das Tal, bis es in den Tagliamento mündete. Am anderen Ufer, auf jener Seite des But, wo auch die Therme lag, erstreckten sich knapp nach der Abzweigung auf die enge Bergstraße zum Kirchlein hinauf die Ausgrabungen von Zuglio.
Der Padre, ein hagerer Mann mit stechenden Augen, die einen scharfen Verstand verrieten, erklärte ungefragt und einem Reiseleiter nicht unähnlich: „Da drüben liegt Zuglio mit den Resten einer alten römischen Siedlung. In der Römerzeit war das eine bedeutende Stadt, deren Einfluss weit über die Stadtgrenzen hinausreichte. Von hier aus kontrollierte man eine wichtige Handelsstraße, die Via Julia Augusta, die Kaiser Augustus erbauen ließ und die von Aquileia nach Norden bis ins heutige Österreich führte. Ein Teil der Siedlung wurde ausgegraben, wie zum Beispiel das ehemalige Forum. Auch eine Therme wurde freigelegt. Ich möchte gar nicht wissen, welche Schätze da noch unter der Erde schlummern. Leider fehlt der Regierung immer dann das Geld, wenn es darum geht, unsere reichlich vorhandenen Geschichtsdenkmäler zu bewahren. Eine Schande, was da jüngst in Pompeji passiert ist! Mehr als zweitausend Jahre hat das antike Gladiatorenhaus überdauert, und heute, bei all der Technik, lässt man es so weit verfallen, dass es schlussendlich in sich zusammengestürzt ist. Typisch Süditalien: schlampig und korrupt!“
Camilieri verdrehte die Augen, schwieg um des Hochzeitsfriedens willen aber, obwohl es ihm sichtlich schwerfiel.
Das bemerkte der Padre gar nicht, so sehr hatte er sich in Rage geredet: „Aber da haben die Politiker vermutlich einiges mit den Touristen gemeinsam, die die Ausgrabungen meistens auch nur deshalb besichtigen, weil es sich halt so gehört. Dabei haben sie eigentlich nur das nächstgelegene Caffè im Sinn.“
Während der Padre ins Schimpfen über die Regierung, die Süditaliener und die Gäste des Landes geriet, meinte Camilieri zu Forza, der das Sträßchen hinaufbretterte, als führe er in der Rallye-Weltmeisterschaft um den Titel: „Langsam, wir sind ja nicht im Dienst und wollen den Tag unserer Hochzeit noch erleben.“
Zum Geistlichen sagte er, lediglich damit er irgendetwas sagte: „Sie kennen sich aber gut aus mit den alten Römern, Padre.“
„Das ist kein Wunder, mein Sohn“, erwiderte dieser, „schließlich reichen die Wurzeln unseres Glaubens bis in die Römerzeit zurück. Einer der Apostel war ein römischer Bürger: Paulus. Auf Italienisch Paolo, so heiße nebenbei bemerkt auch ich, doch ich bevorzuge die lateinische Version meines Namens.“
*
Nach der Rückkehr vom Bergkirchlein San Pietro und nachdem man den Padre vor dem Pfarrhaus aus dem Auto steigen lassen hatte, ließ Camilieri seinem Ärger freien Lauf. Er und Lydia, Forza und Eleonora saßen an der Hotelbar bei einem Espresso.
„Wenn der Pfaffe bei der Trauungspredigt auch nur ein schlechtes Wort über Süditalien verliert, dann stehe ich auf und gehe“, ärgerte er sich und warf mit einer gleichermaßen ausladenden wie abwertenden Handbewegung die Kaffeetasse um, die Gott sei Dank bereits ausgetrunken war. „Che polentone!“, setzte er noch grantig nach.
„Und was wird aus unserer Hochzeit?“, fragte Lydia.
„Dann heirate ich dich eben in Sizilien“, erwiderte Camilieri zuerst mürrisch, dann mit einem gewinnenden Lächeln, wie es nur Süditaliener von einer Sekunde auf die andere ins Gesicht zaubern können. Der laute Schepperer, den die Tasse beim Herabfallen auf den Steinboden verursachte, hatte die am Nachmittag im mehr oder weniger verlassenen Hotel – die Gäste wanderten durch den schönen Spätherbst oder badeten in der Therme – allein Dienst schiebende Chefin des Hauses herbeieilen lassen.
„Prego?“, fragte sie.
„Gut, dass Sie da sind“, überspielte Camilieri sein Missgeschick mit der Kaffeetasse, „wir sollten über das Hochzeitsmahl reden. Mein Kollege“ – er deutete auf Forzas stattlichen Bauch – „ist ein echter Feinschmecker und unsere Frauen“ – die nächste Handbewegung galt Lydia und Eleonora – „schätzen ebenfalls die Vorzüge der guten italienischen Küche.“
„Ma certo“, erwiderte die Frau des Hauses erfreut, „wir haben da zwei Möglichkeiten: Entweder wählen Sie aus unseren Spezialitäten der überregionalen italienischen und internationalen Küche, die großen Klassiker also, die alle kennen, auch die Gäste aus Österreich. Oder“, sie senkte die Stimme auf eine Lautstärke, die nach Verschwörung klang, der Tonfall sollte aber nur auf einen Geheimtipp einstimmen, „oder wir kochen für Sie tipicamente friulano.“
„Friulano“, antworteten Eleonora und Forza, beide in Cividale geboren und aufgewachsen und höchstens zum Einkaufen nach Udine oder Palmanova gekommen, gemeinsam mit der Österreicherin Lydia aus einem Mund. Die von Camilieri hingemurmelten Worte „überregional italienisch“ gingen im Antwortchor vollkommen unter.
„Fantastico!“, freute sich die Wirtin, „Bravo! Eine gute Wahl.“
Dann holte sie hinter der Bar ein Kochbuch von biblischem Format hervor und hievte es mit einem Schwung auf den Tresen, dass man kurzfristig um die Stabilität der in die Jahre gekommenen Holzkonstruktion zitterte. Alte Kochbücher konnten ein Gewicht auf die Waage bringen, das verstehen ließ, warum man Kutteln, fette Würste oder Bauchfleisch zu stärkenden Speisen verkochte. Allein zum Stemmen der Bücher benötigte man die daraus gewonnene Kraft …
Es begann ein Blättern und Gustieren, ein Betrachten von geschmackvollen Fotos, garniert mit einer intensiven Beratung