Preußentum und Sozialismus. Oswald Spengler
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Der Engländer sucht den inneren Feind von der Schwäche seiner Position zu überzeugen. Gelingt es nicht, so greift er ruhig zu Schwert und Revolver und zwingt ihn, ohne revolutionäre Melodramatik. Er schlägt seinem König den Kopf ab, weil er dies Symbol instinktiv für notwendig hält; es ist für ihn eine Predigt ohne Worte. Der Franzose tut es – aus revanche, aus Freude an blutigen Szenen und mit dem geistreichen Kitzel, dass er gerade einen Königskopf daran wenden kann. Denn ohne Menschenköpfe auf Piken, Aristokraten an der Laterne, von Weibern geschlachtete Priester wäre er nicht zufrieden. Das Ergebnis der großen Tage kümmert ihn weniger. Der Engländer will den Zweck, der Franzose die Mittel.
Was wollten wir? Wir bringen es nur zu Karikaturen von beiderlei Art. Prinzipienreiter, Schulfüchse, Schwätzer in der Paulskirche und in Weimar, ein kleiner Spektakel auf der Gasse, ein Volk im Hintergrunde, das wenig beteiligt zusieht. Aber eine echte Revolution ist nur die eines ganzen Volkes, ein Aufschrei, ein eherner Griff, ein Zorn, ein Ziel.
Und das, diese deutsche sozialistische Revolution, fand 1914 statt. Sie vollzog sich in legitimen und militärischen Formen. Sie wird, in ihrer dem Durchschnitt kaum verständlichen Bedeutung, die Widerlichkeiten von 1918 langsam überwinden und als Faktor ihrer fortschreitenden Entwicklung einordnen.
Aber immerhin, im volkstümlichen Bilde der Geschichte wird nicht sie, sondern der Novemberaufstand künftig voranstehen. Man kann sich wohl ausmalen, wie im idealen Fall eine proletarische Revolution an dieser Stelle einzusetzen gehabt hätte. Und da enthüllt sich die überwältigende Feigheit und Minderwertigkeit des Elements, das der proletarische Gedanke zu seiner Verteidigung bereit fand. Auch die großen Revolutionen werden durch Blut und Eisen entschieden. Was hätten bedeutende Massenführer, was hätten die Independenten und Jakobiner in dieser Lage getan! Und die Marxisten? Sie hatten die Macht, sie hätten alles wagen dürfen. Ein großer Mann aus der Tiefe, und das ganze Volk wäre ihm gefolgt. Aber nie ist eine Massenbewegung durch die Erbärmlichkeit der Führer und Gefolgsleute elender in den Schmutz gezogen worden. Die Jakobiner waren bereit, alles andere zu opfern, weil sie sich selbst opferten: marcher volontiers, les pieds dans le sang et dans les larmes, wie es St. Just formulierte. Sie kämpften gegen die Mehrheit im Innern und gegen halb Europa an der Front. Sie rissen alles mit. Sie schufen Heere aus dem Nichts, sie siegten ohne Offiziere, ohne Waffen.
Hätten ihre Nachäffer von 1918 die rote Fahne an der Front entfaltet, den Kampf auf Leben und Tod gegen das Kapital erklärt; wären sie vorangegangen, um als die ersten zu fallen, sie hätten nicht nur das zu Tode erschöpfte Heer, die Offiziere vom ersten bis zum letzten, sie hätten auch den Westen mitgerissen. In solchen Augenblicken siegt man durch den eignen Tod. Aber sie verkrochen sich; statt an die Spitze roter Heere stellten sie sich an die Spitze gutbezahlter Arbeiterräte. Statt der Schlachten gegen den Kapitalismus gewannen sie die gegen Proviantlager, Fensterscheiben und Staatskassen. Statt ihr Leben verkauften sie ihre Uniformen. An der Feigheit ist diese Revolution gescheitert. Jetzt ist es zu spät. Was in den Tagen des Waffenstillstandes und der Friedensunterzeichnung versäumt wurde, ist niemals nachzuholen. So sank das Ideal der Masse zu einer Reihe schmutziger Lohnerpressungen ohne Gegenleistung herab; auf Kosten des übrigen Volkes, der Bauern, der Beamten, der Geistigen zu schmarotzen, die Worte Rätesystem, Diktatur, Republik so oft an Stelle mangelnder Taten hinauszuschreien, dass sie in zwei Jahren lächerlich geworden sein werden, so weit reichte ihr Mut. Als einzige »Tat« erscheint der Fürstensturz, obwohl gerade die republikanische Regierungsform mit dem Sozialismus nicht das geringste zu tun hat.
Dies alles beweist, dass der »vierte Stand« – im tiefsten Sinne eine Negation – im Gegensatze und als Gegensatz zum übrigen Volke nicht aufbauend wirken kann. Es beweist, wenn dies die sozialistische Revolution war, dass das Proletariat nicht ihr vornehmster Träger ist. Mag kommen, was da will, diese Frage ist unwiderruflich entschieden. Die Klasse, welche Bebel für die Entscheidung herangezüchtet hatte, hat als Einheit versagt. Für immer, denn die verlorne Schwungkraft lässt sich nicht wiedererwecken. Eine große Leidenschaft ist durch Erbitterung nicht zu ersetzen. Und die Verfechter des gestrigen Programms mögen sich nicht täuschen: sie werden den wertvollen Teil der Arbeiterschaft unwiderruflich verlieren und aus Führern einer großen Bewegung werden sie eines Tages zu wortreichen Helden von Vorstadtkrawallen gesunken sein. Vom Erhabenen zum Lächerlichen ist nur ein Schritt.
5.
Das also war die große, seit Generationen verkündete, besungene, angedichtete deutsche Revolution – ein Schauspiel von einer so fürchterlichen Ironie, dass es des Abstandes von Jahrzehnten bedarf, bevor sie dem Deutschen fühlbar wird, eine Revolution, die das umwarf, was sie wollte und nun will, ohne zu wissen was.
Betrachtet man von dieser künftigen Höhe aus die drei Revolutionen, die ehrwürdige, die großartige, die lächerliche, so lässt sich sagen: Die drei spätesten Völker des Abendlandes haben hier drei ideale Formen des Daseins angestrebt. Berühmte Schlagworte kennzeichnen sie: Freiheit, Gleichheit, Gemeinsamkeit. Sie erscheinen in den politischen Fassungen des liberalen Parlamentarismus, der gesellschaftlichen Demokratie, des autoritativen Sozialismus: scheinbar ein neuer Besitz, in Wahrheit nur die äußerste reine Gestaltung des unveränderlichen Lebensstils dieser Völker, jedem ganz und allein eigen und keinem anderen mitteilbar. Antike Revolutionen stellen lediglich den Versuch dar, eine Lebenslage zu erreichen, in der ein in sich ruhendes Dasein überhaupt möglich und erträglich ist. Trotz der Leidenschaftlichkeit des äußeren Bildes sind sie sämtlich defensiver