Preußentum und Sozialismus. Oswald Spengler

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Preußentum und Sozialismus - Oswald Spengler Sachbücher bei Null Papier

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Re­vo­lu­tio­nen ist Frank­reich. Der Schall tö­nen­der Wor­te, die Blut­strö­me auf dem Stra­ßen­pflas­ter, la sain­te guil­lo­ti­ne, die wüs­ten Brand­näch­te, der Pa­ra­de­tod auf der Bar­ri­ka­de, die Or­gi­en ra­sen­der Mas­sen – das al­les ent­spricht dem sa­dis­ti­schen Geist die­ser Ras­se. Was an sym­bo­li­schen Wor­ten und Ak­ten zu ei­ner voll­stän­di­gen Re­vo­lu­ti­on ge­hört, kommt aus Pa­ris und ist von uns nur schlecht nach­ge­ahmt wor­den. Wie ein pro­le­ta­ri­scher Auf­stand un­ter feind­li­chen Ka­no­nen aus­sieht, ha­ben sie uns schon 1871 vor­ge­führt. Es wird nicht das ein­zi­ge Mal ge­we­sen sein.

      Der Eng­län­der sucht den in­ne­ren Feind von der Schwä­che sei­ner Po­si­ti­on zu über­zeu­gen. Ge­lingt es nicht, so greift er ru­hig zu Schwert und Re­vol­ver und zwingt ihn, ohne re­vo­lu­tio­näre Me­lo­dra­ma­tik. Er schlägt sei­nem Kö­nig den Kopf ab, weil er dies Sym­bol in­stink­tiv für not­wen­dig hält; es ist für ihn eine Pre­digt ohne Wor­te. Der Fran­zo­se tut es – aus re­van­che, aus Freu­de an blu­ti­gen Sze­nen und mit dem geist­rei­chen Kit­zel, dass er ge­ra­de einen Kö­nigs­kopf dar­an wen­den kann. Denn ohne Men­schen­köp­fe auf Pi­ken, Ari­sto­kra­ten an der La­ter­ne, von Wei­bern ge­schlach­te­te Pries­ter wäre er nicht zu­frie­den. Das Er­geb­nis der großen Tage küm­mert ihn we­ni­ger. Der Eng­län­der will den Zweck, der Fran­zo­se die Mit­tel.

      Was woll­ten wir? Wir brin­gen es nur zu Ka­ri­ka­tu­ren von bei­der­lei Art. Prin­zi­pi­en­rei­ter, Schul­füch­se, Schwät­zer in der Pauls­kir­che und in Wei­mar, ein klei­ner Spek­ta­kel auf der Gas­se, ein Volk im Hin­ter­grun­de, das we­nig be­tei­ligt zu­sieht. Aber eine ech­te Re­vo­lu­ti­on ist nur die ei­nes gan­zen Vol­kes, ein Auf­schrei, ein eher­ner Griff, ein Zorn, ein Ziel.

      Und das, die­se deut­sche so­zia­lis­ti­sche Re­vo­lu­ti­on, fand 1914 statt. Sie voll­zog sich in le­gi­ti­men und mi­li­tä­ri­schen For­men. Sie wird, in ih­rer dem Durch­schnitt kaum ver­ständ­li­chen Be­deu­tung, die Wi­der­lich­kei­ten von 1918 lang­sam über­win­den und als Fak­tor ih­rer fort­schrei­ten­den Ent­wick­lung ein­ord­nen.

      Aber im­mer­hin, im volks­tüm­li­chen Bil­de der Ge­schich­te wird nicht sie, son­dern der No­vem­be­r­auf­stand künf­tig vor­an­ste­hen. Man kann sich wohl aus­ma­len, wie im idea­len Fall eine pro­le­ta­ri­sche Re­vo­lu­ti­on an die­ser Stel­le ein­zu­set­zen ge­habt hät­te. Und da ent­hüllt sich die über­wäl­ti­gen­de Feig­heit und Min­der­wer­tig­keit des Ele­ments, das der pro­le­ta­ri­sche Ge­dan­ke zu sei­ner Ver­tei­di­gung be­reit fand. Auch die großen Re­vo­lu­tio­nen wer­den durch Blut und Ei­sen ent­schie­den. Was hät­ten be­deu­ten­de Mas­sen­füh­rer, was hät­ten die In­de­pen­den­ten und Ja­ko­bi­ner in die­ser Lage ge­tan! Und die Marxis­ten? Sie hat­ten die Macht, sie hät­ten al­les wa­gen dür­fen. Ein großer Mann aus der Tie­fe, und das gan­ze Volk wäre ihm ge­folgt. Aber nie ist eine Mas­sen­be­we­gung durch die Er­bärm­lich­keit der Füh­rer und Ge­folgs­leu­te elen­der in den Schmutz ge­zo­gen wor­den. Die Ja­ko­bi­ner wa­ren be­reit, al­les an­de­re zu op­fern, weil sie sich selbst op­fer­ten: mar­cher vo­lon­tiers, les pieds dans le sang et dans les lar­mes, wie es St. Just for­mu­lier­te. Sie kämpf­ten ge­gen die Mehr­heit im In­nern und ge­gen halb Eu­ro­pa an der Front. Sie ris­sen al­les mit. Sie schu­fen Hee­re aus dem Nichts, sie sieg­ten ohne Of­fi­zie­re, ohne Waf­fen.

      Hät­ten ihre Nach­äf­fer von 1918 die rote Fah­ne an der Front ent­fal­tet, den Kampf auf Le­ben und Tod ge­gen das Ka­pi­tal er­klärt; wä­ren sie vor­an­ge­gan­gen, um als die ers­ten zu fal­len, sie hät­ten nicht nur das zu Tode er­schöpf­te Heer, die Of­fi­zie­re vom ers­ten bis zum letz­ten, sie hät­ten auch den Wes­ten mit­ge­ris­sen. In sol­chen Au­gen­bli­cken siegt man durch den eig­nen Tod. Aber sie ver­kro­chen sich; statt an die Spit­ze ro­ter Hee­re stell­ten sie sich an die Spit­ze gut­be­zahl­ter Ar­bei­ter­rä­te. Statt der Schlach­ten ge­gen den Ka­pi­ta­lis­mus ge­wan­nen sie die ge­gen Pro­vi­ant­la­ger, Fens­ter­schei­ben und Staats­kas­sen. Statt ihr Le­ben ver­kauf­ten sie ihre Uni­for­men. An der Feig­heit ist die­se Re­vo­lu­ti­on ge­schei­tert. Jetzt ist es zu spät. Was in den Ta­gen des Waf­fen­still­stan­des und der Frie­dens­un­ter­zeich­nung ver­säumt wur­de, ist nie­mals nach­zu­ho­len. So sank das Ide­al der Mas­se zu ei­ner Rei­he schmut­zi­ger Loh­ner­pres­sun­gen ohne Ge­gen­leis­tung her­ab; auf Kos­ten des üb­ri­gen Vol­kes, der Bau­ern, der Be­am­ten, der Geis­ti­gen zu schma­rot­zen, die Wor­te Rä­te­sys­tem, Dik­ta­tur, Re­pu­blik so oft an Stel­le man­geln­der Ta­ten hin­aus­zu­schrei­en, dass sie in zwei Jah­ren lä­cher­lich ge­wor­den sein wer­den, so weit reich­te ihr Mut. Als ein­zi­ge »Tat« er­scheint der Fürs­ten­sturz, ob­wohl ge­ra­de die re­pu­bli­ka­ni­sche Re­gie­rungs­form mit dem So­zia­lis­mus nicht das ge­rings­te zu tun hat.

      Dies al­les be­weist, dass der »vier­te Stand« – im tiefs­ten Sin­ne eine Ne­ga­ti­on – im Ge­gen­sat­ze und als Ge­gen­satz zum üb­ri­gen Vol­ke nicht auf­bau­end wir­ken kann. Es be­weist, wenn dies die so­zia­lis­ti­sche Re­vo­lu­ti­on war, dass das Pro­le­ta­ri­at nicht ihr vor­nehms­ter Trä­ger ist. Mag kom­men, was da will, die­se Fra­ge ist un­wi­der­ruf­lich ent­schie­den. Die Klas­se, wel­che Be­bel für die Ent­schei­dung her­an­ge­züch­tet hat­te, hat als Ein­heit ver­sagt. Für im­mer, denn die ver­lor­ne Schwung­kraft lässt sich nicht wie­der­er­we­cken. Eine große Lei­den­schaft ist durch Er­bit­te­rung nicht zu er­set­zen. Und die Ver­fech­ter des gest­ri­gen Pro­gramms mö­gen sich nicht täu­schen: sie wer­den den wert­vol­len Teil der Ar­beiter­schaft un­wi­der­ruf­lich ver­lie­ren und aus Füh­rern ei­ner großen Be­we­gung wer­den sie ei­nes Ta­ges zu wort­rei­chen Hel­den von Vor­stadt­kra­wal­len ge­sun­ken sein. Vom Er­ha­be­nen zum Lä­cher­li­chen ist nur ein Schritt.

      Das also war die große, seit Ge­ne­ra­tio­nen ver­kün­de­te, be­sun­ge­ne, an­ge­dich­te­te deut­sche Re­vo­lu­ti­on – ein Schau­spiel von ei­ner so fürch­ter­li­chen Iro­nie, dass es des Ab­stan­des von Jahr­zehn­ten be­darf, be­vor sie dem Deut­schen fühl­bar wird, eine Re­vo­lu­ti­on, die das um­warf, was sie woll­te und nun will, ohne zu wis­sen was.

      Be­trach­tet man von die­ser künf­ti­gen Höhe aus die drei Re­vo­lu­tio­nen, die ehr­wür­di­ge, die groß­ar­ti­ge, die lä­cher­li­che, so lässt sich sa­gen: Die drei spä­tes­ten Völ­ker des Abend­lan­des ha­ben hier drei idea­le For­men des Da­seins an­ge­strebt. Berühm­te Schlag­wor­te kenn­zeich­nen sie: Frei­heit, Gleich­heit, Ge­mein­sam­keit. Sie er­schei­nen in den po­li­ti­schen Fas­sun­gen des li­be­ra­len Par­la­men­ta­ris­mus, der ge­sell­schaft­li­chen De­mo­kra­tie, des au­to­ri­ta­ti­ven So­zia­lis­mus: schein­bar ein neu­er Be­sitz, in Wahr­heit nur die äu­ßers­te rei­ne Ge­stal­tung des un­ver­än­der­li­chen Le­bens­stils die­ser Völ­ker, je­dem ganz und al­lein ei­gen und kei­nem an­de­ren mit­teil­bar. An­ti­ke Re­vo­lu­tio­nen stel­len le­dig­lich den Ver­such dar, eine Le­bens­la­ge zu er­rei­chen, in der ein in sich ru­hen­des Da­sein über­haupt mög­lich und er­träg­lich ist. Trotz der Lei­den­schaft­lich­keit des äu­ße­ren Bil­des sind sie sämt­lich de­fen­si­ver

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