Erinnerungen an die "68er": Damals in Dahlem. Jürgen Dittberner
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Leistung, Gleichheit und Freiheit
Marsch durch die Institutionen
Political Correctness und 68er
Dahlem als Epizentrum im Westen
In Memoriam
Otto Stammer
Horst Bosetzky
Vorwort
Mein Freund Horst Bosetzky – also der Krimiautor „-ky“ – hatte kurz vor seinem Tode vorgeschlagen, dass wir gemeinsam ein Buch mit dem Titel „Damals in Dahlem“ publizieren sollten. Das Projekt war vielversprechend. Beide hatten wir in der wilden Zeit um das Jahr 1968 an der Freien Universität Berlin in Dahlem studiert. Beide hatten wir bei unserem verehrten Doktorvater Otto Stammer zugleich promoviert.
Leider habe ich dieses Buch nun allein schreiben müssen.
Damals in Dahlem ging es bürgerlich und revolutionär zugleich zu. Das Bürgerliche hatte uns dort hingeführt. Wir waren als Kriegs- und Nachkriegskinder stolz drauf, es auf die Universität geschafft zu haben. Auch das dort vorgefundene Revolutionäre verlockte uns. Welch eine Gaudi war es, Repräsentanten des politischen Systems als Spottfiguren studentischer Ansammlungen zu erleben! Welche Einblicke in die Psychologie akademischen Gehabes gewährte es, mit „Go“- oder „Sit-Ins“ in altehrwürdige Institutionen einzubrechen und Koryphäen zu albernem Gebaren zu provozieren.
Aber bei allem Lustempfinden:
Die Moral und die Lebensumstände verlangten und erforderten, dass ordentlich studiert wurde. Wir absolvierten Vor- und Zwischenprüfungen, besuchten Vorlesungen, Übungen und Seminare, erwarben Diplom-, Promotions- und Habilitationsurkunden. Die Universität war schließlich zum Studieren da. Und in den Ohren klangen die Worte der Eltern: „Ihr sollt es mal besser haben als wir!“ wie die Mahnung: „Strengt Euch an! Wir bezahlen schließlich alles!“
Für uns Söhne „kleiner“ Beamter aus den Arbeiterbezirken Neukölln und Spandau in Berlin war es ein erheblicher sozialer Aufstieg, an der Freien Universität im vornehmen Dahlem immatrikuliert zu werden. Wir beide waren in den Krieg hinein geboren worden, hatten dessen Sieger kennen gelernt, in Ruinen gespielt, die Spaltung unserer Heimatstadt und unseres Landes erlebt, den Mauerbau und deren Abriss verfolgt, den aufkommenden Wohlstand genossen und waren schließlich überzeugt, dass unser „Westen“ – in dem wir nun lebten – gut, der „Osten“ aber böse war. Nach dem besiegten Nationalsozialismus erschien der Kommunismus als das bekämpfenswerte totalitäre Regime der Zeit.
An der Universität lernten wir, dass hinter dem Kommunismus seriöse Gesellschaftsanalyse steckte. Wir trafen sogar mit Kommilitonen zusammen, die Defizite des „Wohlstands-Westens“ entdeckten – „entlarvten“, wie diese Kommilitonen formulierten. Als Studenten entwickelten wir das Gefühl, dass sich auch im „Westen“ vieles – vielleicht sogar alles – ändern und verbessern ließe.
Die Welt schien gestaltbar zu sein. Da wollten wir Beamtensöhne nicht nur begreifen, was die Welt zusammenhält; wir wollten diese Welt auch aus den Angeln heben können. Also studierten wir, was das Zeug hielt, damit das gelingen könnte.
Hinterher geschah viel: Ein amerikanischer Präsident wurde ermordet, der Westen entwickelte Züge einer Klassengesellschaft, Muslime versetzten den USA einen Hieb, der Ost-West-Gegensatz löste sich auf und Deutschland wurde mit Berlin als Hauptstadt wiedervereint, Europa versuchte, Weltmacht zu werden. Kriege brachen allenthalben aus. Es setzte eine globale Völkerwanderung von Süd nach Nord und von Ost nach West ein. Schließlich beendeten Klimawandel und Pandemie die Träume von der Machbarkeit der Welt.
„68“ war zuvor vermarktet worden. Es wurde idealisiert, es wurde verfälscht. Als selbstverständlich aber wurde ein für alle Mal erachtet, dass Regeln Inhalte brauchen, um anerkannt zu werden.
Die Zeit damals in Dahlen war eine historische Episode, in der es schien, als hätten die Menschen es in der Hand, die Welt nach ihrem Gusto zu gestalten. Doch mittlerweile wissen wir: Unser Einfluss auf den Lauf der Welt ist gering.
Ich danke meiner lieben Elke für die mannigfache Hilfe beim Erstellen dieses Buches, für Hinweise und Ratschläge. Meiner Enkeltochter Luna Dittberner danke ich für manchen Tipp beim Umgang mit dem Computer.
Berlin 2021, Jürgen Dittberner