Im Westen geht die Sonne unter. Hansjörg Anderegg
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Im Westen geht die Sonne unter - Hansjörg Anderegg страница 18
»Starke Vorstellung«, rief ihm der Mechaniker entgegen, als er an der Boxe den Motor abschaltete. Das Gesicht des Mannes, der ihn mit seinem kleinen Team schon seit einer Ewigkeit betreute, leuchtete vor Aufregung, als hätte er selbst am Steuer gesessen.
»Etwas anderes erwartet?«, lachte Robert und ließ sich umarmen. Das berauschende Hochgefühl, es wieder einmal allen gezeigt zu haben, stellte sich erst jetzt langsam ein. Es fühlte sich jedes Mal an wie die Sekunden vor dem Höhepunkt beim Liebesspiel, nur besser. Unschlagbar zu sein berauschte ihn auf der Rennbahn genauso wie im Handelsraum am Paradeplatz. Er war süchtig nach Sieg, das wusste er und jeder, der mit ihm zu tun hatte. Auch seine Sponsoren hatten das früh bemerkt. Kaum einer seiner Rennkollegen konnte auf eine so lange, stabile Beziehung zu seinen Geldgebern zurückblicken. Er war, verdammt noch mal, der Größte, und er hatte alles Recht der Welt dazu.
Der Mechaniker gab ihm sein Handy zurück mit der Bemerkung: »Hat schon dreimal angerufen.«
Ein kurzer Blick auf das Display elektrisierte ihn. Goldzahn. »Scheiße, warum sagst du mir das nicht früher?« Nicht gut möglich, das wusste er auch, aber irgendwie musste er seinem Ärger Luft machen. Goldzahn am Sonntagnachmittag bedeutete mit Sicherheit eine ganz kurze Nacht. Er zog sich in eine ruhige Ecke im Fahrerlager zurück und drückte die Rückruftaste.
»Mister Bauer, gut dass Sie mich zurückrufen«, sagte der Chinese in seinem überdeutlich artikulierten Englisch. Es erinnerte Robert jedes Mal an seinen Sitznachbarn im Gymnasium. Nicht gerade der Hellste, ganz im Gegensatz zu Goldzahn.
»Entschuldigen Sie, Mister Li, dass ich erst jetzt zurückrufe. Ich war auf der Rennstrecke.«
»Ah – haben gewonnen?«
»Wie üblich«, lachte Robert.
Li stimmte lauthals in sein Lachen ein. Auch er liebte den Sieg. »Gut – gut, gut«, kicherte er gedehnt.
»Nun, womit kann ich meinen besten Kunden glücklich machen?«
Das Kichern verstummte unerwartet schnell. Mit Grabesstimme, als bedrückte ihn eine schwere Last, antwortete Li: »Ah – ich habe ein Problem, Mr. Bauer.«
Er erschrak. Hatte seine Bank Mist gebaut? Das wäre unverzeihlich. Der Herrscher über ›Galaxy Boom Industries‹ war der Traumkunde jedes Bankers, aber seine Fehlertoleranz lag ziemlich genau bei null. Während er sich noch eine diplomatische Antwort überlegte, beruhigte ihn Li:
»Unser Konzern braucht dringend Ihre Unterstützung bei wichtigen Transaktionen.«
»Verstehe.« Die Erleichterung war ihm wohl anzuhören. Er wartete auf die Einzelheiten, doch Li sagte nur:
»Ich habe Ihnen alles Nötige in die Bank gefaxt.«
»Gut, gut. Ich werde mich gleich morgen früh darum kümmern.«
»Ah – das ist leider zu spät, Mr. Bauer. Die erste Transaktion muss bei Handelsbeginn abgeschlossen werden. Ist das möglich?«
»Selbstverständlich. Handelsbeginn …«
»Schanghai, ja.«
Wusste er es doch: eine kurze Nacht. Aber Sieger sollten sich nicht über Schlafmangel beklagen. »O. K., Mr. Li. Ich fahre gleich los. In drei Stunden bin ich in Zürich.«
»Ausgezeichnet, Mr. Bauer. Wir sprechen uns.« Damit war die Leitung tot.
»In drei Stunden nach Zürich an einem Sonntagabend?«, fragte sein Mechaniker, der ihn zum Pressetermin abholen wollte. Er grinste spöttisch. »Eher optimistisch, würde ich sagen. Was ist los?«
»Dringende Geschäfte. Ich muss los, sorry.«
Nicht das erste Mal überließ er seinem Team die Pressearbeit, aber die Siegerehrung musste er bisher noch nie ausfallen lassen. Schwamm drüber, sagte er sich. Gute Geschäfte winkten. Bisher war noch jede von Goldzahns Aktionen bares Gold wert. Eine Viertelstunde später brauste er auf der A6 Richtung Karlsruhe. Verschwitzt, aber bereit zu jeder Schandtat. Die paar Minuten bis zum Autobahnkreuz Walldorf hatte er Glück, aber auf der A5 verdichtete sich der Verkehr von Minute zu Minute, dass er am Schluss ebenso gut mit dem Fahrrad nach Basel hätte fahren können, statt in seinem schicken 6er Cabrio. Der notorische Stau gab ihm wenigstens genug Zeit zum Telefonieren. Einmal mehr versuchte er mit dem Knopf im Ohr, seine Händlerin zu erreichen.
»Nimm ab. Mach schon, verdammt«, fauchte er wütend, als er wieder nur den Summton hörte.
»Was soll ich machen?«
Charlottes Stimme hörte sich verschlafen an. »Endlich«, seufzte er. »Störe ich?«
»Robert, mein Lieber. Hast du eine Ahnung, was für ein Tag heute ist?«
»Hochzeitstag?«, blödelte er. Seine Lotte war ein ebenso eingefleischter Single wie er.
»Sonntag, lieber Chef. Heute ist Sonntag. Mein freier Tag, um genau zu sein. Also, was willst du? Mach es kurz, bitte. Ich bin müde.«
»Warum auch immer«, brummte er böse. »Hör zu. Goldzahn hat einen Auftrag gefaxt. Er braucht uns für eine Aktion gleich bei Handelsbeginn in Schanghai. Wäre nett, wenn du die Sache anschauen könntest. Ich bin unterwegs, werde aber noch drei, vier Stunden brauchen.«
»Schanghai. Ich bin begeistert. Was für eine Aktion soll das sein?«
»Keine Ahnung. Du weißt, er spricht nicht gern am Telefon über seine Geschäfte.«
»Sicher. Mal sehen, ob ich die Bank in meinem Zustand noch finde.« Sie unterstrich die Antwort mit lautem Gähnen.
»So besoffen kannst du gar nicht sein.«
»Ich dich auch«, stöhnte sie und legte auf.
»Ein Schätzchen, die Lotte«, murmelte er grinsend. Sie mochte manchmal eine ausgesprochene Kratzbürste sein, aber zuverlässig war sie, sieben Tage die Woche, rund um die Uhr. Die Stadt schlief schon, als er um Mitternacht vom Landesmuseum in den Bahnhofquai einschwenkte. Am Sonntagabend ging das anständige Zürich früh zu Bett, dachte Robert abschätzig. Fit musste man sein am Montagmorgen im Büro. Der sittenstrenge Reformator Zwingli beherrschte noch immer heimlich das Leben in seiner sonst ganz vernünftigen Stadt. Wenigstens brauchte er sich um diese Zeit nicht über Idioten auf der Straße aufzuregen. Die Tiefgarage der Bank am Paradeplatz war leer, trotzdem nahm er an, dass Charlotte schon eine ganze Weile über Goldzahns Fax brütete. Sie wohnte in der Nähe, mitten in der Stadt, kam stets zu Fuß zur Arbeit. Er wusste nicht einmal, ob sie überhaupt motorisiert war, obwohl sie schon seit vielen Jahren neben ihm am Handelspult saß.
»Wenn du mich fragst, riecht das ganz nach alter Masche«, begrüßte sie ihn, ohne den Blick von ihren Bildschirmen zu lösen.
Er legte ihr eine flache Schachtel neben die Tastatur. »Meinst du das?«
»Studentenküsse!«, rief sie begeistert und sprang auf. Ein Augenzwinkern später verschwand ein Kleingebäck in ihrem Mund.
Das