Herbarium, giftgrün. Gert Ueding

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Herbarium, giftgrün - Gert Ueding

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›wie immer F20‹?«

      »Ja. Klingt wie eine Verabredung: ›Wie immer Freitag‹, also vielleicht der Tat-Tag, und die Uhrzeit, 20 Uhr. Man sollte doch wissen, was das Übrige heißen soll.«

      »Könnte natürlich auch ein Seminarraum gemeint sein …«

      »Unwahrscheinlich, gibt’s zumindest in unserm Haus nicht. Ist mir auch sonst nicht begegnet. Aber sei’s drum, wichtig wär auch das. Doch sicher ein Hinweis auf den Freund, mit dem sie in den letzten Wochen zusammen war, den auch ihre Freundinnen nicht kennen und möglicherweise der letzte, der sie lebend gesehen hat.«

      Darüber sollte man nachdenken, war auch Kerstings Meinung. Auf Geheimnisse war er schon immer angesprungen. Innerlich belustigt dachte er an manchen Titel seiner Kinderlektüre. Er versprach, seinem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen, bat um einen Stift, um sich die Sätze von dem Zettel abzuschreiben.

      »Behalten Sie ihn ruhig erst mal. Vermisst ja niemand.«

      Müller-Riedel lehnte sich zurück, zufrieden, etwas zur Aufklärung des Rätsels getan zu haben, das ihn so sehr beschäftigte – kaum ein Kollege, den er damit verschont hätte. Kersting steckte das Papier in seine Jackentasche und wandte sich jetzt wieder der illustren Versammlung zu.

      Sie hatten sich mit einigen wenigen Unterbrechungen unterhalten, ohne sich besonders um ihre anderen Tischnachbarn zu kümmern. Zu seiner Linken saß ein Unternehmer aus Mössingen in mittleren Jahren, etwas korpulent, aber in weißem Leinenanzug und vom Urlaub gebräunt; Vorstand eines kleinen Familienunternehmens, das Gardinenstoffe herstellte und in wirtschaftlichen Schwierigkeiten stecken sollte.

      Rechts von Müller-Riedel saß ein schlanker junger Mann um die dreißig, den er offenbar mitgebracht hatte, vielleicht sein Assistent, vielleicht ein Gast von außen, bei der Vorstellung war das undeutlich geblieben. Gleich gegenüber eine Frau, um die fünfzig, untersetzt, blau punktierte helle Bluse mit Wasserfall-Ausschnitt, der ihrer weichen Körperform schmeichelte. Nur die flink hin und her huschenden blassgrauen Augen störten das freundliche Bild, sie liefen oftmals wie von selbst nach oben weg, als ob an der Decke der eigentliche Film lief. Offenbar eine Kollegin seines Nachbarn, die, wie sich jetzt zeigte, das Gespräch mitangehört hatte.

      »Die Polizei hat den Fall ganz nachlässig verfolgt«, behauptete sie. »Tut ja auch jetzt nichts. Das ist ein Skandal, ja ein Skandal! Nicht mal die genaue Todesursache weiß man. Wo sind wir? Auf dem Balkan?«

      Inzwischen war der Nachtisch, Eis mit allerlei Früchten, verzehrt, die Weingläser geleert. In das Gespräch über den Kriminalfall mischten sich nun auch die anderen Tischgäste. Der junge Mann neben Müller-Riedel, den Kersting für einen Assistenten hielt, hatte das Ereignis etwas wegwerfend als Medienspektakel beschrieben und dafür lebhaften Widerspruch von einem fetten Mann geerntet, der ausgiebig schwitzte und ständig mit dem Taschentuch über den glattrasierten Kopf wischte. Die Frau an seiner Seite unterstützte ihn, indem sie nickend ihrem langen Gesicht einen energischen Ausdruck zu geben versuchte.

      Das ging noch eine Weile hin und her, bis die Gesellschaft sich an den Rändern und den Tischen, die dem Saalausgang am nächsten waren, aufzulösen begann. Kersting hatte den Kommentaren nur noch zerstreut zugehört. Er wollte noch einen Spannrahmen in Fellbach kaufen und verabschiedete sich von seinem Tischnachbarn. Er versprach anzurufen, wenn er irgendetwas über die Bedeutung des Zettels herausgebracht hätte und ging eilig die breite Treppe des Museums-Restaurants hinunter. Auf der Straße und bevor er die Richtung zur Tiefgarage am Nonnenhaus einschlug, änderte er seine Absicht und wandte sich in Richtung Bibliothek. Er schwitzte in seinem Anzug. Der September war bisher ungewöhnlich warm gewesen.

      Die nächsten zwei Stunden las er im kühlen Lesesaal alte Presseartikel zu dem Fall Verena Roeder, mit dem er sich so unvermutet konfrontiert sah und der ihn nicht losließ. Die Fakten waren dürftig, die Spekulationen umso blühender. Er sah einige Photos. Eine hübsche junge Frau Mitte zwanzig, wohl in der Endphase ihres Studiums. Lange, offenbar dunkle Haare, auf einem Bild trug sie eine Sonnenbrille mit großen dunklen Gläsern, auf einem anderen sah man sie in einem leichten, kurzen Sommerkleid. Sie stammte aus Bremen. Die Eltern beide Ärzte, ein jüngerer Bruder studierte in Frankfurt. Das gab alles nicht viel her. Dafür beherrschte der unbekannte Freund die Berichterstattung. War er ein Mitstudent? Aber warum hatte sie dann ein Geheimnis aus seiner Person gemacht?

      Oder war er verheiratet oder einer ihrer Professoren oder beides? Von früheren Freunden wusste man nichts, auch die Eltern hatten keine Ahnung. Vielleicht eine Geliebte – und gerade das sollte niemand wissen? Sie hatte im Wohnheim auf der Wanne gewohnt. Eine Nachbarin wollte sie zweimal mit einer älteren Frau in Stuttgart auf der Königstraße gesehen haben.

      Das alles war wenig aufschlussreich. Nur auf eine Information stieß er, die ein besonderes Licht auf sie warf. Im Hauptfach war sie Germanistin, doch hatte sie sich besonders für das Mittelalter interessiert, historische und auch philosophische Kurse über diese Epoche besucht. Eine eher ungewöhnliche, aber interessante Orientierung heutzutage, fand er.

      Als Kersting die Unibibliothek verließ, wäre er beinah mit Müller-Riedels Kollegin, die so lebhaft die örtliche Kriminalpolizei kritisiert hatte, zusammengestoßen. Sie kam vom sogenannten Brechtbau her, dem üblichen Betonklotz, in dem die philologischen Fächer untergebracht waren. Er hatte sich vorhin nicht vorgestellt und beschloss, das Versäumte jetzt nachzuholen.

      »Max Kersting – es gab leider gar keine richtige Gelegenheit, uns bekannt zu machen.« »Der Maler, von dem die ›Gelehrtenrepublik‹ im kleinen Senat hängt? Ich bin Sophie Jansen, versuche, die Studenten für Sprachtheorien zu interessieren. Hartes Brot, ganz hartes Brot!«

      Sie sagte das lachend, fügte dann aber, sofort ernst, hinzu: »Verena, über deren Tod Sie sich mit Müller-Riedel unterhalten haben, war bis zuletzt in meinem Seminar über Sprachmystik im Mittelalter. Fleißig und interessiert, eine seltene Freude heutzutage.«

      »Eine ungewöhnliche Wahl oder die Mentalität der Studenten muss sich seit meiner Zeit sehr geändert haben.« »Hat sie nicht. Acht Leute waren im Seminar, davon sechs Studentinnen.« »Fiel Frau Roeder irgendwie auf, hatte sie spezielle Fragen, haben Sie irgendetwas von ihrem Privatleben mitbekommen?«

      »Na, Sie haben wohl Feuer gefangen? Ist eine rätselhafte Geschichte, das Ganze. Sie war ziemlich verschlossen, ohne eigenbrötlerisch zu sein. Ich hatte manchmal den Eindruck, ihre Zurückhaltung hatte sie sich verschrieben wie eine Medizin. Verstehen Sie? Mit Vorsatz, nicht aus natürlichem Temperament.«

      »Und das hielt sie durch?«

      »Im Seminar ja. Da wirkte sie auch sonst in manchem, wie soll ich sagen … unzeitgemäß. Die anderen hocken mit ihren Laptops oder Ipads da, notieren sich ihre Stichworte und referieren sozusagen vom Bildschirm aus. Aber Powerpoint, das sag ich Ihnen, gibt es bei mir nicht.

      Verena war ganz anders! Sie schrieb auf einem altmodischen Papierblock mit und ihre Vorträge bereitete sie auf Karteikarten vor. Völlig selbstverständlich, auch selbstbewusst. Nur einmal habe ich sie anders erlebt. In der Sprechstunde. Sie kam schon niedergeschlagen zur Tür rein, dann begann sie aber schnell die Fassung zu verlieren, die Fassade bröckelte gewissermaßen, aber was dann …«

      Frau Jansen brach ab.

      »Ja?«

      »Ach nichts weiter. Wir müssen jetzt Schluss machen, sonst erwische ich den Bus nach Pfrondorf nicht mehr; mein Auto steht in der Werkstatt. Hat mich gefreut, Sie kennen zu lernen.«

      Sie wandte sich um und ging eilig die Wilhelmstraße hinauf. Kersting sah ihr hinterher. Eine kleine, rundliche Person, aber von höchst einnehmenden

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