Herbarium, giftgrün. Gert Ueding

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Herbarium, giftgrün - Gert Ueding

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Seite seines Nachbarn gesessen hatte, schien ihm die vielversprechendste Adresse: er hatte sicher das meiste vom Gespräch mitbekommen, kam vom Alter her infrage und hatte, falls er zum germanistischen Kollegium gehörte, vielleicht sogar die Tote gekannt.

      Ein paar Klicks im PC brachten Kersting auf die Seite mit dem Programm der germanistischen Veranstaltungen des letzten Semesters. Ein Seminar mit dem Thema »Para-Feminismus im Mittelalter« fiel ihm auf. Der Dozent: ein Mann namens Gregor Sautter. Das Photo auf der Seite des Instituts bestätigte seinen Verdacht. Das schmale Gesicht, die dunklen Haare und seine selbst im Bild noch auffordernd blickenden Augen: das war der Mann, der den Kriminalfall als Medienspektakel verharmlost hatte. Vielleicht ein Ansatzpunkt.

      Also fuhr Kersting die paar Kilometer nach Tübingen, stellte das Auto ins Parkhaus nahe der Bibliothek. Im Seminargebäude studierte er als erstes die zum Teil recht wirr bestückten Aushängetafeln im Erdgeschoss, auf denen alle Lehrenden der hier untergebrachten Fächer mit der Angabe ihrer Diensträume verzeichnet waren. Mit der nötigen Information fuhr er in dem engen und recht betagten Aufzug ruckelnd in den 3. Stock, fand nach kurzem Suchen das Zimmer, an dem zwei Namen standen, darunter der gesuchte, und klopfte. Trotz Semesterferien hatte er Glück und konnte nach Zuruf eintreten.

      Hinter dem Schreibtisch erhob sich ein mittelgroßer junger Mann, das blonde Haar kunstvoll verstrubbelt, darunter ein rundes Gesicht mit üppigem Schnauzbart, der wohl das bubihafte Aussehen kaschieren sollte, es im Gegenteil aber betonte. Die sehr hellen grauen, aber kalt blickenden Augen passten nicht dazu. Das ist der Falsche, war auf Anhieb Kerstings Eindruck. Er stellte sich vor, der Schreibtischbewohner begrüßte ihn freundlich, nannte seinen Namen: Franz Buch; er hatte ihn draußen an der Tür schon gelesen. Er erinnerte sich auch, im germanistischen Programm seinen Namen vor dem Seminarthema »Walther von der Vogelweide in der Übertragung Peter Rühmkorfs« gefunden zu haben.

      »Ich habe gehofft, Herrn Dr. Sautter anzutreffen …«

      »Da sind Sie im falschen Zimmer gelandet … Ja, ich weiß: ich muss das Namensschild an meiner Tür ändern. Aber mein Kollege ist sowieso gerade heute nach Berlin abgereist, um an einem Kongress teilnehmen zu können. Über Paracelsus in der deutschen Literatur. Er kommt wohl erst am Wochenende zurück.«

      »Hm, schade. Ich hätte mich gerne mit ihm über sein Seminarthema vom letzten Semester unterhalten. Wir suchen einen Referenten über die Geschichte des Feminismus.«

      Kersting fiel es wegen seiner verletzten Lippe immer noch schwer, deutlich zu artikulieren. Buch schienen erst jetzt die Blessuren seines Gastes aufzufallen. Er musterte ihn jedenfalls genauer.

      »Wem sind Sie in die Quere geraten?«

      »Bloß meiner Haustür, aber das genügte. Die Sache ist eilig, deshalb bin ich trotzdem hier.«

      »Ob Sie da bei ihm an der richtigen Adresse sind? Der interessiert sich jetzt mehr für allerlei Elementargeister. Eine Mode, wie so vieles in unserer Wissenschaft. Auch wenn Sie der Titel seines letzten Seminars angelockt hat …«

      »Genau deshalb bin ich hier.«

      »Mit Feminismus in unserem Sinne hat das wenig zu tun.« Kersting spürte eine Spur von Geringschätzung im Tonfall, machte aber ein fragendes Gesicht.

      »Es ging viel mehr um so etwas wie die Chemie der Geschlechter, wenn Sie wissen, was ich meine – aber nehmen Sie doch Platz«, unterbrach er sich, wies auf einen Stuhl schräg vor seinem Schreibtisch, und setzte sich selber wieder nieder.

      »Ich glaube schon, dass ich weiß, worauf Sie hinauswollen. So etwas, wie Goethe es in den »Wahlverwandtschaften« thematisiert hat, nehme ich an.«

      »Das hat natürlich mit Feminismus nichts zu tun. Aber dessen Verfechter nehmen’s nicht so genau. Eine Kollegin behauptete, Paracelsus habe seine ganzen medizinischen Kenntnisse aus weiblicher Quelle und begründete das mit einem angeblichen Zitat: ›Alles, was ich weiß, weiß ich von weisen Frauen‹. Nirgendwo belegt, hat man ihm untergeschoben.« Buch begleitete seine Kritik mit einer wegwerfenden Handbewegung.

      »Erstaunliches Thema für das kurzatmige Studium, das man den Studenten heute zumutet. Ist das denn modulgerecht?«

      Kerstings Spott fiel auf fruchtbaren Boden. Buch kicherte. »Wenn man danach gehen wollte, gäbe es nur noch Kurse wie »Drama 1« oder »Drama 2« oder »Romantischer Roman 1« und so weiter, wie bei den Maschinenbauern. Aber etwas anderes wollen die Studenten, pardon, die Studierenden nicht. Schön wär’s ja, wenn unsere Studenten Studierende wären, aber studieren tun nur die wenigsten, die aber sammeln sich dann in Kursen über Paracelsus oder Niklaus von Flüe.«

      »Immerhin gibt es noch die, die nicht den Trampelpfad gehen.«

      »Eine ganz kleine Minderheit. Die meisten wollen billiges Grundwissen, leblos und breitgetreten. Dann werden sie möglichst schnell auf die Schüler losgelassen und lesen mit denen den »Wilhelm Tell« als Comic. Unsere didaktischen Kollegen finden das super und liefern noch das gute Gewissen dazu. In Sautters Seminar saßen sieben Teilnehmer, davon fünf Studentinnen.«

      Da hatte Kersting offenbar einen Nerv getroffen! Wie aber nun zu den Fragen kommen, die ihn interessierten?

      »Warum soviel Studentinnen?«

      »Einmal, weil sie prozentual in der Mehrheit sind. Aber sie sind auch hartnäckiger. Paracelsus lesen, ist nicht so einfach, man muss die Sprache regelrecht lernen. Dann aber begeistert sie einen, so kernig, so bildhaft, dagegen wirkt unser heutiges Deutsch wie eine Verfallssprache. Eine von Sautters Studentinnen wollte darüber ihre Doktorarbeit schreiben. Daraus wird nun nichts …«

      »Lust verloren?«

      »Nein, tot. Sie haben bestimmt vor ein paar Monaten darüber gelesen. Man fand sie tot im Gebäude nebenan.«

      »Ja, ich erinnere mich. War nicht die Todesursache rätselhaft?«

      »Meint jedenfalls die Polizei, oder verbreitet diese Meinung aus ermittlungstaktischen Gründen. Wie auch immer. Man wird schon wissen, woran sie gestorben ist! Auch junge Leute können schon mal an Herzversagen sterben, ganz natürlich.«

      »Sie schließen ein Verbrechen aus?«

      Kersting wollte ihn am Ball halten; vielleicht erfuhr er etwas über sein Zeitungswissen hinaus. Seine Hoffnung wurde aber gleich enttäuscht. Buch erwiderte lapidar: »Ich bin sicher« und riet ihm dann, sich im Sekretariat um einen Gesprächstermin bei Herrn Sautter zu bemühen.

      Als Kersting das Zimmer verließ, trat er in den immer noch leeren Flur, überlegte einen Augenblick, ob er vielleicht an Müller-Riedels Tür klopfen sollte, der auch hier oben sein Dienstzimmer hatte. Verzichtete dann darauf, da er mit der Aufgabe, die der ihm gestern zugeschanzt hatte, nicht weitergekommen war.

      Aber sein Besuch im Brechtbau sollte Kersting noch einen unvermuteten Erfolg bringen.

      Als er ins Erdgeschoss hinuntergefahren war und sich in der Eingangshalle aus etwas zerstreuter Neugier auf den Tischen umsah, die überall standen und mit Prospekten über Veranstaltungen, Zeitungsabos und Firmenanzeigen überfüllt waren, fiel ihm ein Faltblatt besonders ins Auge. Ein Fitness-Studio annoncierte darin Sonderkonditionen für Studenten. In der ersten Spalte ein Photo mit mehreren Trainerinnen und Trainern, von denen ihn das Bild eines jungen Mannes stutzen ließ. Es war die Frisur, die ihn aufmerksam machte: die Seiten des Kopfes kahlgeschoren, oben das Haar wie ein Vogelnest mit Gel geformt. So ähnlich (der Einfall kam ihm ganz unvermutet) hatte das James Bonds schwarze Gegnerin in einem der alten Filme schon getragen.

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