Lebendige Seelsorge 4/2015. Группа авторов

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Lebendige Seelsorge 4/2015 - Группа авторов Lebendige Seelsorge

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      Als wir mit der Notfallseelsorge angefangen haben, gab es viele KollegInnen in den Kirchen (d.h. in evang. Landeskirchen und in kath. Diözesen), die diese Neuentwicklung skeptisch betrachteten. Sie fragten z.B.: „Ist es sinnvoll, sich in jeglicher Arbeit für einen NFS-Einsatz unterbrechen zu lassen?“ oder „Was soll ich tun, wenn ich gerade einen Gottesdienst oder eine Schulstunde halte?“ oder „Wird der Schuldirektor Verständnis für mich haben, wenn ich nach einem nächtlichen Einsatz morgens müde und erschöpft zum Unterricht komme?“ oder „Ist es überhaupt sinnvoll, Seelsorge in dieser Form zu organisieren?“ Diese Kolleginnen und Kollegen waren so eingebunden in ihre alltägliche Routine und sie waren so beeindruckt von Autoritäten (Schulrektor), dass sie sich die Frage nach Prioritäten überhaupt nicht stellten. Sie sahen auch nur ihren eigenen Verantwortungsbereich und konnten sich nicht vorstellen, dass es in der Notfallseelsorge darum geht, das „System Kirche“ erreichbar zu machen und nicht die einzelnen Seelsorgerinnen und Seelsorger.

      Die Notfallseelsorge stellt hier zwei wichtige Fragen:

      1) Gibt es Prioritäten in den vielfältigen Aufgaben der Pfarrerinnen und Pfarrer? Ich meine: Ja! Meine Erfahrung zeigt mir, dass wir mit der Notfallseelsorge in einem sehr wichtigen Bereich arbeiten und dass diese Arbeit nur in einem sehr kurzen Zeitfenster getan werden kann. Für Betroffene macht es einen großen Unterschied, ob ich als Seelsorger „in der Situation“ da war oder irgendwann später. Deshalb ist die Begleitung von Menschen in Not- und Krisensituationen manchmal sogar wichtiger als der Gottesdienst.

      2) Können wir als „System Kirche“ erreichbar sein, ohne einzelne SeelsorgerInnen zu überlasten? Bisher wurde diese Erreichbarkeit grundsätzlich über die Residenz- und Präsenzpflicht der PfarrerInnen erreicht. Aber dieses System funktioniert schon lange nicht mehr. Nach meinen Erfahrungen sind die einzelnen Pfarrämter rund um die Uhr mit einer Wahrscheinlichkeit von unter 30% zu erreichen. Ich denke, dass nicht die einzelne Pfarrei immer erreichbar sein muss, sondern dass das „System Kirche“ jederzeit sicher erreichbar sein muss, um Menschen in Not- und Krisensituationen helfen zu können. Vorbilder für solche Erreichbarkeiten gibt es viele, z.B. in den Notdiensten der Handwerker oder der Ärzte. Hier könnte die Kirche lernen.

      Noch eine biblische Anmerkung: als Jesus gefragt wurde, was das richtige Tun sei, sagte er nicht: „Feiere schöne Gottesdienste“ oder „Lehre alle den Katechismus“ oder „Verwalte den Tempel“, sondern er erzählte die Geschichte vom Barmherzigen Samariter und sagte dann: „Gehe hin und mach es genau so!“

      „UBI EPISCOPUS IBI ECCLESIA“ – WO DER BISCHOF IST, DA IST DIE KIRCHE (CYPRIAN VON KARTHAGO, 3. JAHRHUNDERT N. CHR.)

      Wir haben uns in der Vergangenheit daran gewöhnt, dass kirchliche Arbeit grundsätzlich von ordinierten oder geweihten Personen getan wird. Der Satz des Heiligen Cyprian wurde nicht nur in seinem positiven Sinne rezipiert, dass der Bischof (oder seine Stellvertreter) immer auch für die ganze Kirche einstehen und für die ganze Kirche Verantwortung haben, sondern auch in seinem negativen Sinne: wenn kirchliche Arbeit nicht von geweihten oder ordinierten Hauptamtlichen gemacht wird, dann ist es keine wirkliche kirchliche Arbeit.

      Wir merken, dass die Fülle der Notfallseelsorge-Einsätze nicht mehr alleine von den hauptamtlichen SeelsorgerInnen erledigt werden kann. Besonders deutlich wird dies an den hohen Feiertagen, an denen sowohl die evangelischen als auch die katholischen SeelsorgerInnen eine Vielzahl von Gottesdiensten bewältigen müssen. Die Antworten auf diese Erfahrung sind vielfältig: einige Systeme setzen nach wie vor ausschließlich auf Hauptamtliche. Das hat dann die Folge, dass entweder die Hauptamtlichen immer mehr arbeiten müssen, oder dass eben nicht alle Einsätze wahrgenommen werden können. Beides ist nicht befriedigend. Andere Systeme arbeiten zusätzlich zu den Hauptamtlichen mit Ehrenamtlichen, denen aber die Fähigkeit zum Seelsorger oder zur Seelsorgerin nicht ganz zugetraut wird. Sie sind dann „Mitarbeitende der Notfallseelsorge“, obwohl sie natürlich im Einsatz vollkommen selbstständig und bei weitem nicht nur „mit“ arbeitend tätig sind. Andere Systeme setzen voll auf die Mitarbeit von gut ausgebildeten ehrenamtlichen SeelsorgerInnen, was manchmal aber auch zur Folge hat, dass sich Hauptamtliche aus diesem Bereich zurückziehen.

      Ich denke, es geht hier ganz grundsätzlich um die Frage, wie wir uns die künftige Kirche vorstellen. Wie weit wird sie von Hauptamtlichen, wie weit von Ehrenamtlichen geprägt sein? Können wir uns vorstellen, dass Ehrenamtliche gute SeelsorgerInnen sind und die Kirche im Sinn von Jesus Christus gut weiterentwickeln? Inwieweit relativiert die gute Arbeit von nicht-geweihten und nicht-ordinierten Christen den Status und die Arbeit der Ordinierten und Geweihten?

      Ich glaube, dass wir auf die Arbeit der Ehrenamtlichen nicht verzichten können und ich plädiere dafür, sie gut auszubilden und zu begleiten und ihnen jegliche Unterstützung zukommen zu lassen. Denn durch ihre Begeisterung, ihren Einsatzwillen und durch ihren Glauben werden sie die Zukunft der Notfallseelsorge und der Kirchen prägen.

       OHNE MICH KÖNNT IHR NICHTS TUN (JOHANNES 15,5)

      Als Christ glaube ich, dass Jesus mir hilft, Gutes zu tun. Die Beziehung zu ihm hilft mir, Beziehungen zu anderen Menschen aufzunehmen oder mich für Menschen in Not- und Krisensituationen zu engagieren. Mein Glaube an die Gegenwart Gottes hilft mir, Situationen auszuhalten, in denen nur Chaos und Tod zu herrschen scheinen. Solche Erfahrungen und Bibelstellen wie die oben genannten führen manchmal dazu, dass christliche HelferInnen davon ausgehen, dass nur sie wirklich helfen können und dass andere, z.B. weltliche Hilfsangebote oder Angebote anderer Religionen, zwangsläufig defizitär sein müssen.

      Das führte in den Anfangsjahren der Notfallseelsorge zu zum Teil heftigen Auseinandersetzungen über die Frage, wie weit wir mit anderen Institutionen, z.B. mit Kriseninterventionsteams, zusammenarbeiten können. Viele VertreterInnen der Notfallseelsorge halten auch heute noch an einem Alleinstellungsmerkmal der christlichen Notfallseelsorge fest, oft ohne dass dieses ausreichend begründet wird.

      Meine Erfahrung hat mir gezeigt, dass viele „weltliche“ Hilfsangebote genau so hilfreich sind wie kirchliche Angebote. Ich bewundere die vielen ehrenamtlichen KriseninterventionshelferInnen, die Zeit, Geld und Engagement opfern, um anderen zu helfen. Und im Zusammenspiel mit anderen Religionen ist es klar, dass mir oft die Kompetenz fehlt, um z.B. Muslime oder Juden so zu betreuen, wie sie es eigentlich brauchen. Jedes Angebot hat seine je eigenen Stärken und Schwächen. Nur in der Zusammenarbeit werden wir die jeweiligen Stärken für die Betroffenen fruchtbar machen können.

      Deutschlandweit hat die gegenseitige Anerkennung der Arbeit zur Erfindung der „Psychosozialen Notfallversorgung“ (PSNV) geführt, in der Notfallseelsorge, Krisenintervention, Feuerwehrseelsorge, Stressbearbeitung etc. zusammengefasst werden. Ich denke, es ist an der Zeit, dass Christen anfangen, auch Nichtchristen zu vertrauen. Die Arbeit vieler Kriseninterventionsteams ist hochprofessionell und für die Betroffenen hilfreich. Im Bereich der größeren Strukturen, z.B. im Katastrophenschutz, müssen wir spätestens in dem Moment, in dem wir keine gut ausgebildeten „Leitenden Notfallseelsorger“ haben, uns daran gewöhnen, von einem nichtkirchlichen „Leiter PSNV“ geführt zu werden. Ich denke, es steht uns gut an, unseren Platz im Konzert der PSNV zu finden und nicht so zu tun, als ob wir alles besser können oder als ob unsere Hilfe wertvoller sei als die Anderer. Versuchen wir, eigene fähige Mitarbeitende in die Führungsausbildung zu schicken und vertrauen wir darauf, dass auch nicht-kirchliche Führungskräfte NotfallseelsorgerInnen sinnvoll führen können.

       (JESUS) FING AN, SIE AUSZUSENDEN, JE ZWEI UND ZWEI (MARKUS 6,7)

      In der kirchlichen Seelsorge haben wir uns seit langem daran gewöhnt, dass Seelsorge immer von einer Person ausgeübt wird. Es kam darauf an, dass ein Geistlicher da ist (in der Sakramentenseelsorge natürlich

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