Balancieren statt ausschließen. Hildegard Wustmans

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Balancieren statt ausschließen - Hildegard Wustmans Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge

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dass die Körperbewegungen in der Liturgie vielfach unbedacht und unbewusst vollzogen werden. An einer Liturgie kann man nicht unkörperlich teilnehmen. Wir stehen, wir sitzen, wir knien. Wir wenden uns beim Friedensgruß einander zu. Zum Empfang der heiligen Kommunion verlassen wir unsere Plätze und gehen nach vorne. Aber die Körperlichkeit in der Liturgie scheint nicht von der Art zu sein, wie sie immer wieder von Frauen gewünscht wird. Sie sehen Spiritualität und Religiosität in enger Verbindung mit dem Körper. Der Körper wird als eine wichtige Erfahrungsquelle für die Spiritualität verstanden, und zwar vor dem Hintergrund seiner Vitalität und seiner Gebrechlichkeit, der Lust und dem Begehren. Die Rituale, die Frauen entwickeln, sind immer auch „eine Schule der Liebe zum eigenen Körper. Sie machen uns bewusst, dass wir Körper sind, zusammen mit anderen Körpern […]“ (de Lima Silva 2000, 593).

      Dieser Spur des Körpers folgen die Frauen in den Ritualen und Liturgien, schenken ihr Beachtung, weil sie vom Leben spricht, vom Leben in seiner Vitalität und auch in seiner Verletzlichkeit. Dieses Fokussieren auf den Körper klagen die Frauen nicht nur ein, sie praktizieren es auch in ihren Liturgien. Körperlichkeit und Gefühle werden nicht nur anerkannt, sie sind ein wesentlicher Bestandteil der Liturgien. „Wir können uns selbst annehmen lernen. Im Gespräch mit anderen Frauen werden eigene Erfahrungen bestärkt und neue Einstellungen angeregt. Frauen entdecken in ihren Eigenheiten ihre Stärke“ (Feldmann 1998, 27).

      In den Frauenliturgien und -ritualen werden deshalb Fühlen und Berühren betont und rituell inszeniert. Fühlen und Berühren werden zu einem Teil des Verstehens, der aktiven Teilhabe an Liturgie und Ritual (vgl. Enzner-Probst 2008, 202). In diesem Punkt bilden die Liturgien und Gottesdienste der Frauen nicht selten einen starken Kontrast zu den visuellen und auditiven Formen in traditionellen Liturgien. Gesten und Gebärden, Tanz und Bewegung spielen in den Frauenliturgien eine große Rolle und nicht selten ist dies Teilnehmenden zunächst fremd.12 Es ist ungewohnt. „Kaum ein Ritual, kaum eine Liturgie, in der nicht in irgendeiner Weise der bewegte Körper der Feiernden zu einem zentralen Medium der Gestaltung der spirituellen Erfahrung und der religiösen Botschaft wird. Dabei werden Anleihen aus ethnischen Traditionen aller Art gemacht. Der bewegte Körper und der fühlende Körper in Beziehung sind für das Verständnis der rituellen Praxis von Frauen offensichtlich unverzichtbar“ (ebd., 82).13

      Zusammenfassend können folgende Kennzeichen von feministisch-christlichen Frauenliturgien festgehalten werden:

      „1) In den feministischen Liturgien sind Frauen Subjekte der Liturgie. […]

      2) Von Frauen gestaltete Gottesdienste stehen in einer ständigen Spannung zwischen Tradition und Freiheit. […]

      3) Feministische Liturgien sind geprägt von einer intensiven Vorliebe für Symbole […].

      4) Inhaltlich richten sich feministische Liturgien primär darauf, die weitgehende Unsichtbarkeit der Frauen – und das heißt ihrer Geschichte, ihrer Anliegen, ihrer Bedeutung, ihrer Person – in der traditionellen Liturgie aufzuheben. […]

      5) Frauen feiern die Befreiungsgeschichte ihrer Schwestern als ihre eigene (gottesdienstliche) Geschichte – eine Geschichte, die lange Zeit für sie unsichtbar war. […]

      6) Innerhalb dieses neuen Horizontes kommt es auch zu einer veränderten Sicht des traditionellen Sündenverständnisses und damit liturgisch des Sündenbekenntnisses. […]

      7) Die Zukunftsvisionen, die entworfen werden, verbinden oft das Thema der Befreiung der Frauen mit dem einer geheilten und geheiligten Schöpfung. […].

      8) Charakteristisch und typisch für Frauengottesdienste und feministische Liturgien ist darüber hinaus, daß sie die traditionellen Gottesbilder und Gottesanreden erweitern, um nun auch feminine Bilder und Anreden aufzugreifen, die es ja in Schrift und Tradition durchaus gibt […].

      9) Feministische Liturgien sind fast immer ökumenisch orientiert: Trennungslinien zwischen den einzelnen Kirchen verblassen vielfach vor der Trennungslinie in allen christlichen Gemeinschaften zwischen Patriarchat und Frauenbefreiung“ (Berger 1995, 262–264).

      Im Kontext von Frauenliturgien und -ritualen sind in den letzten Jahren zahlreiche Publikationen erschienen, die ritualtheoretische wie liturgietheoretische Reflexionen enthalten oder als Praxisbücher Hilfestellungen für die Umsetzung in Gruppen bieten (vgl. Aeberli 1987; Reuschel 1989; Altwegg u. a. 1990; Hojenski u. a. 21992; Ferner 1993; Baumann u. a. 1998; Spendel 2002; Bundschuh-Schramm 1998; dies. 2004; Enzer-Probst/Felsenstein-Roßberg 1993; Jost/Schweiger 1996; Stierle 2002; Strecker 2000; Pahnke/Sommer 1995; Igelhart 21988; Löffler 1996). Diese Vielzahl der Bücher macht deutlich, dass es einen Bedarf in der Praxis an diesen unterstützenden Materialien gibt. Die Veröffentlichungen aus christlich-kirchlichem Kontext geben Anleitungen und Hilfestellungen für die Gestaltung von Gottesdiensten, Andachten, Besinnungstagen in Gemeinden und Verbänden.

      Der andere Teil von Veröffentlichungen richtet sich an Frauen in postchristlichen Kontexten und bietet Gestaltungsvorschläge und Beispiele für die Entwicklung und Durchführung von Ritualen an Lebenswenden und im Jahreskreis (vgl. Walker 1998; Folkerts 2000; Kiss 1999; Schindler 1998; Winter 1987). Darüber hinaus finden in Frauenbildungshäusern immer wieder Angebote im Bereich von Ritualen statt.

      Ein Blick auf das Spektrum der Orte zeigt, dass es dabei jene Frauen gibt, die Liturgien und Rituale im Rahmen institutionalisierter Religion feiern. Andere Frauen hingegen wählen ihren Ort bewusst außerhalb der verfassten Kirche und schaffen für sich Orte in privaten Bezügen. Es gibt geschlossene und offene Gruppen. In der Fülle der Unterschiede lassen sich gleichwohl Gemeinsamkeiten entdecken. Wo immer Frauen Rituale feiern, benutzen sie Bilder und Metaphern, Symbole und Formen, die in einem genealogischen Bezug zu ihrem Leben, ihren Nöten und Sorgen, Freuden und Hoffnungen stehen. Sich in einen genealogischen Bezug zu anderen Frauen zu stellen bedeutet, aus den Beziehungen zu anderen Frauen Kraft und Energie für die Realisierung der eigenen Existenz zu schöpfen (vgl. Botz 1998, 22; Telgenbüscher 1998, 48). Dabei werden die unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten, die verschiedenen Erfahrungen zu einem Ort, wo die Frauen Bestätigung und Mut, Anregung und Herausforderung für den eigenen Lebensentwurf finden.

      Bei Betrachtung, Analyse und Einordnung der Vielzahl von Veröffentlichungen im Bereich christlicher und postchristlicher Frauenliturgien und Rituale fällt jedoch auf, dass eine wissenschaftliche Auseinandersetzung in pastoraltheologischen oder liturgiewissenschaftlichen Diskursen bislang kaum stattgefunden hat (vgl. Enzner-Probst 116). Es handelt sich bestenfalls um ein Randthema. Daraus ist der Schluss zu ziehen, dass die Problemlage als solche noch gar nicht wahrgenommen wird. Allerdings sehen (einige) Frauen dieses Problem schon, so etwa Barbara Baumann, die in Bezug auf die Auseinandersetzung mit Gottesbildern fragt: „Hat Kirche überhaupt ein Interesse an diesen Bildern? Ist sie bereit, nur zu hören, sich erzählen zu lassen, unvoreingenommen anzunehmen, wie Menschen, Frauen und Männer, Gott offenbaren? Lässt Kirche Gott in Beziehung geraten zu Menschen oder versucht sie, ihn/sie abzuschotten, abzusichern? Eine Menge von Fragen, die erahnen lassen, dass der hier beschriebene Weg Konsequenzen hat, für die Frau, die Kirche und Gott. […] Kirche täte gut daran, diesen Weg mitzugehen, denn nur so entsteht eine Gemeinschaft von BeziehungspartnerInnen Gottes, die auf die Frage Jesu ‚Für wen aber haltet Ihr mich?‘ nicht nur Erlerntes, Gehörtes und Wiederholtes antworten können“ (Baumann 1998, 65 f.).

      Es ist noch weiter zu fragen: Was bedeutet es für die Kirche, wenn Frauen die Orte der gemeindlichen Liturgien verlassen und sich eigene Orte der spirituellen und rituellen Auseinandersetzung schaffen? Welche Konsequenzen haben solche Prozesse langfristig für das Verhältnis von Frauen und Kirche? Auf welche Probleme im Innern der Kirche weist dieser Exodus der Frauen hin?

      Die bisherige Darstellung lässt die Behauptung zu, dass sowohl die Frauen wie die Kirche vor einem Ausschließungs- bzw. Trennungsproblem stehen. Die Rituale der Frauen schließen die Kirche aus. Und Frauen fühlen sich ihrerseits

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