Geist & Leben 3/2017. Christoph Benke

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Geist & Leben 3/2017 - Christoph Benke

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       Eine programmatische Doppelbiografie

      Weltweit noch immer erstmalig,5 ist die erschienene Doppelbiografie über Franz und Klara von Assisi Programm. Materiell stützt sie sich auf eine Quellenbasis, die sich für zwei kirchliche Laien aus der Kleinstadt Assisi im hohen Mittelalter als einzigartig reich erweist: Die beiden Sammelbände der bedeutsamen Quellen aus dem 13./14. Jh. umfassen mit Blick auf Franziskus und seinen Brüderorden 1800 Seiten, mit Blick auf Klara und die Schwestern des entstehenden Zweiten Ordens 1500 Seiten.6 Die von Paul Sabatier vor 120 Jahren initiierte moderne Franziskusforschung findet seit Marco Bartolis wissenschaftlicher Biografie der Schwester7 ein Pendant in einer entfesselten Klaraforschung, die in drei Jubiläumsjahren zwischen 1993 und 2012 durch eine Reihe internationaler Kongresse beflügelt worden ist.8 Eine Zusammenschau der vielfältigen Forschungsliteratur macht eines deutlich: Auch die Lebensgeschichten der beiden Heiligen und ihre Spiritualität sind in eine Zusammenschau zu stellen.

      Franz lässt sich ohne Klara nicht verstehen, und die Schwester hätte ihren mutigen Weg ohne brüderliche Verbündete nicht gehen können. Daher schildern auch modernste Franziskusbiografien, die Klara nur Seitenblicke oder gerade mal ein Kapitel widmen,9 nicht die ganze Geschichte. Und Klarabiografien, welche die Schwester in der Nachfolge des Bruders sehen, begehen aus Sicht der modernen Frauenforschung eine Todsünde.10 Die zehn Jahre alte TV-Produktion Chiara e Francesco beginnt denn auch mit einer suggestiven Szene: Franziskus schreitet in erdfarbener Kutte über eine taunasse Wiese der aufsteigenden Sonne entgegen. Klara folgt ihm in einem schlichten hellen Habit. Als er sich umdreht und fragt, ob sie seinen Spuren folge, antwortet sie lächelnd: „tieferen Spuren!“ – und geht Seite an Seite mit ihm weiter. Der Film schildert die Geschichte der beiden eng verflochten, so kontrastvoll sich ihre Lebensformen auch unterscheiden.11 Wie vital sich die moderne Klaraforschung zeigt, ist an den Diskussionen zu erkennen, die seit dem 800. Gedenkjahr ihrer Geburt an zahllosen Symposien und Workshops sowie in Büchern und Fachartikeln stattfinden.12 Für das breitere Publikum sichtbar werden neu entdeckte Zugänge zu Klaras Welt auch im Kino. Im Frühling 2016 strahlte der Bayerische Rundfunk den von ihm mitproduzierten Film Sein Name war Franziskus der Erfolgsregisseurin L. Cavani deutsch synchronisiert aus.13 Klara und ihre Schwestern leben, von den Brüdern im Widerstand gegen die päpstliche Klausurpolitik unterstützt, in einem offenen Haus und sorgen für Arme, Kranke und Bedürftige aller Art. Der Film hebt sich kontrastvoll ab von F. Costas Miniserie aus dem Jahr 2007: Dem alten Klischee folgend wurde Klara da noch durch die Brüder vom ersten Tag an in strikte Klausur eingeschlossen.

      Im Folgenden sollen die Unterschiede in Lebensform und Berufung der beiden Heiligen skizziert wie auch die spirituelle Bereicherung aufgezeigt werden, die sich ihrer engen Verbundenheit innerhalb derselben Bewegung verdankt. Der Wanderradikale, der „den Fußspuren des armen Christus folgte“, und die Sesshafte, die „den armen Christus arm umarmte“14, haben sich gegenseitig vielfältig inspiriert.

       Zwei Formen evangelischer Nachfolge

      Dauerhafter und universaler als Norbert von Xanten vor ihm interpretierte Franz das Wanderleben der Jünger Jesu in Galiläa sowie deren Sendung bis an die Grenzen der Erde in die eigene Zeit. Anders als in der Bewegung des Waldes von Lyon, der Männer wie Frauen gemeinsam die Jüngersendung in Frankreich weiterführen ließ,15 wählten die Schwestern der ersten Franziskaner ein sesshaftes Leben. Doch im Gegensatz zu den neuen Frauengemeinschaften, die sich mit den Prämonstratensern verbanden, in den Zisterzienserorden inkorporieren konnten oder sich ab 1207 von Dominikanern betreuen ließen,16 lebten Klaras Schwestern ohne strikte Klausur. Ihr Modell orientierte sich ebenfalls am Evangelium und an der Nachfolgegemeinschaft Jesu. Klara wählte den ihrer Berufung entsprechenden Lebensort 1211 in San Damiano: einer kleinen Landkirche, in der Franz sechs Jahre zuvor seine erste tiefe mystische Erfahrung gemacht hatte. Voraus geht eine eigenständige Suchbewegung, in der Klara sich im Kreis der Brüder in die raue Kutte der Armut einkleidet, im Schutz von Benediktinerinnen der eigenen Familie widersteht und im Wald des Monte Subasio eine Art ländliche Beginen kennenlernt, bis sie mit Gefährtinnen vor den Stadttoren Assisis eine Gemeinschaft gründen kann. Die Christusikone von San Damiano verbindet Franz und Klara zutiefst. Sie zeigt zur Rechten des Gekreuzigt-Auferstandenen Maria und Johannes, die Mutter und den Lieblingsjünger, die Häusliche und den Wanderapostel eng verbunden: Franziskus wird das Leben der Brüder als vita evangelica beschreiben, die den Aposteln in Galiläa gleich „den Fußspuren Jesu und seiner Armut“ folgt.17 Klara fasst die Berufung der Schwestern in das Bild, „arm den armen Christus zu umarmen“.18 Sie tut es mütterlich und freundschaftlich. Und sie ermutigt ihre Schwestern, dabei dem Vorbild Marias von Nazaret sowie Martas und Marias von Betanien zu folgen.19

       Zusammenspiel von actio und comtemplatio

      Das früheste Zeugnis über die franziskanische Bewegung ist in einem Brief des französischen Bischofs Jacques de Vitry überliefert. Er beobachtete im Sommer 1216 das Zusammenspiel von fratres minores und sorores minores in Mittelitalien, und spricht von einer Bewegung, die sich entschieden an der Bibel orientiert. Brüder und Schwestern leben „unweit der Städte“, in denen sie pastoral wirken. Während die Schwestern vor den Stadtmauern in Herbergen (hospitia) wohnen, verbringen die Brüder die Nächte an einsamen Orten (loca solitaria), um sich da nach arbeitsamen Tagen der Kontemplation hinzugeben. Während die Schwestern zudem vor Ort verbleiben, führt die Wandermission die Brüder bis Norditalien und nach Sizilien.20 Klaras Schriften und die Zeugnisse ihrer Schwestern am Heiligsprechungsprozess verdeutlichen, wie sich das Modell von Betanien in San Damiano selbst entfaltete: Wie Marta und Maria mit ihrem Bruder Lazarus lebten, besteht Klara darauf, dass bei ihrer Schwesterngemeinschaft immer auch Brüder wohnen. Statt von einer isolierenden Klausur, Zentralbegriff der päpstlichen Regulierungspolitik gegenüber neuen Frauengemeinschaften, spricht Klara von einer radikalen Armut, die ihre Schwestern mit der Stadt verbindet, und von der Welt als Ort der Gotteserfahrung. Ihr Modell lässt die Schwestern hinausgehen und empfängt Menschen in den vielfältigsten Situationen. Es gibt auch Kinder ohne Eltern, die in dieser Gemeinschaft aufwachsen.21 Einiges spricht dafür, dass Franziskus sich bei der Redaktion der Zusatzregel für Brüder in Eremitorien an San Damiano orientierte. Klaras Gemeinschaft hatte, als erste Brüder sich ab 1220 längere Zeit gemeinsam „gottsuchend in Einsiedeleien zurückzuziehen“ begannen, bereits ein Jahrzehnt Erfahrung in ihrer sesshaften vita evangelica. Wenn Franziskus in der Zusatzregel von Brüdern spricht, die sich sorglos dem kontemplativen Leben Marias widmen, während andere in der aktiven Rolle Martas sie und ihre Gottverbundenheit umsorgen, dürfte er Klaras Vorbild aufgreifen.22 Und wie die Brüder in einem guten Rhythmus die Rollen wechseln, zeigt auch Klara sich in den Zeugnissen ihrer Schwestern mal in der aktiven Sorge für Schwestern und Hilfesuchende und mal kontemplativ frei für ungestörte mystische Erfahrungen, die auch stundenlange Ekstasen ermöglichen.23 Je weitere Kreise das Wanderleben der Brüder zieht, desto längere Zeiten des Rückzugs bilden sich im Wechsel dazu aus. Franziskus wird in seinen letzten Lebensjahren mehrere Fastenzeiten von vierzig Tagen in stillen Eremitagen verbringen, vorzüglich während der nasskalten Winter- und der heißen Sommermonate. Als er einmal versucht war, diesen Wechsel zwischen aktiver Wanderpastoral und kontemplativem Rückzug aufzugeben, waren es mitunter Klara und ihre Schwestern, die der Bruder in Krise um Rat fragte und die ihn an seine Berufung zur vita mixta erinnerten.24

       Brüderliche Verbündete Klaras

      Dass Klaras Schwestern nicht ohne Brüder leben wollten,25 liegt nicht nur am biblischen Vorbild von Marta, Maria und Lazarus in Betanien. P. Maranesi zeigt in einer Studie über Klaras Berufungsweg auf, dass die junge Adelige sich nicht standesgemäße Berater – Mönche, Kanoniker oder den städtischen Bischof – erwählte, sondern Laien, die ohne Theologiestudien und kirchliche Ämter das Evangelium radikal und solidarisch mit Menschen am Rand lebten. Sowohl sozial wie kirchlich subversiv, schien deren

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