Arme Kirche - Kirche für die Armen: ein Widerspruch?. Группа авторов
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Meine Achterbahn der Gefühle ist damit jedoch noch nicht an ihr Ende gekommen. Anfang Mai 2013 war ich von der internationalen Generaloberinnenkonferenz (UISG) als Referentin zu ihrer Vollversammlung eingeladen. Diese stand unter dem Motto: „Bei euch soll es nicht so sein (Mt 20,26). Leitungsdienst im Lichte des Evangeliums“. Mein eigener Beitrag hatte die „Autorität der Leidenden“ zum Thema, und ich schloss ihn mit Bergoglios inzwischen berühmt gewordenem Appell aus seiner Rede im Vorkonklave, mit dem ich mich voll identifiziere: gegen eine Kirche, die um sich selbst kreist – für eine Kirche, die aus sich selbst herausgeht, an die Ränder der menschlichen Existenz, die Ränder der Sünde, des Schmerzes, der Ungerechtigkeit, jeglichen Elends.
Zum Abschluss der Konferenz konnte ich an der Audienz teilnehmen, zu der der Papst die 800 Generaloberinnen in der „Aula Paul VI“ empfing. Ich ging mit hohen Erwartungen hin – und wurde herb ernüchtert. Oben auf der „Bühne“ die agierenden Männer, der Präfekt und der Sekretär der Religiosenkongregation, die im Namen von 800 Generaloberinnen, tief unter ihnen, den Papst um sein Wort bitten. Und dieser hält dann eine Katechese. Zuvor wurde uns Frauen eingeschärft, uns nicht von den Plätzen zu erheben und nicht ungefragt das Wort zu ergreifen. Dies alles unter dem Motto „Bei euch soll es nicht so sein“. Kierkegaard hätte wohl gesagt: „Und keiner lacht …“
Dass die Katechese mit dem Aufruf zum „Fühlen mit der Kirche“ und zur „Treue zum Lehramt“ endete, hatte offensichtlich die Spannung mit der Vereinigung der US-amerikanischen Ordensfrauen (LCWR) zum Hintergrund. Im Rahmen einer Untersuchung hatte die Glaubenskongregation im April 2012 bei ihnen „lehrmäßige Defizite“ bei Themen wie Abtreibung und Frauenordination festgestellt. Danach wurden sie unter bischöfliche Aufsicht gestellt. Bei einem Treffen mit dem Präfekten der Glaubenskongregation, Gerhard Ludwig Müller, teilte dieser den Vertreterinnen des LCWR mit, dass ihm Papst Franziskus bestätigt habe, hinter dem „Reformprogramm“ seines Vorgängers für das US-amerikanische Ordensleben zu stehen.
Nach der Audienz fragte ich mich hilflos: Warum ist dieser Papst, der mit solch souveräner Freiheit das Protokoll zu durchbrechen weiß und so ausdrucksstarker Gesten fähig ist, nicht einfach hinuntergestiegen und hat auf Augenhöhe das Gespräch und den Erfahrungsaustausch gesucht – mit den Frauen, deren Positionen nicht vom Himmel fallen, sondern Konsequenz ihres redlichen Engagements für die Ärmsten und Verletzlichsten der US-amerikanischen Gesellschaft sind? Wenn sie im Gegensatz zu den Bischöfen die Gesundheitsreform Obamas bejahen, dann nicht, weil hier aufmüpfige Emanzen gegen das Lehramt und die „heilige hierarchische Mutter Kirche“ (so das letzte Wort der Ansprache des Papstes) revoltieren – sondern weil hier eine Gruppe älterer Frauen, die sich im Dienst der Kirche und der Armen verbraucht haben, die Lebenswirklichkeit der Amerikaner aus dem täglichen Umgang kennt und weiß, welches Elend es bedeutet, auf notdürftige medizinische Grundversorgung monatelang warten zu müssen. Wen zeichnet hier der „Geruch nach Schafen“ aus? Es sind diese Frauen, die der Kirche in den USA trotz aller Skandale noch immer Glaubwürdigkeit verleihen.
Einen Monat später traf sich der Papst mit dem Leitungsgremium der CLAR, dem Verband aller Männer- und Frauenorden in Lateinamerika und der Karibik. Dies war eine Sensation in doppelter Hinsicht. Aufgrund der schwierigen Beziehungen der lateinamerikanischen Ordensleute zum Vatikan war es die erste Begegnung mit einem Papst nach 35 Jahren – und dann mit diesem Papst. Bergoglios Geschichte mit der CLAR war in der Vergangenheit, um das Mindeste zu sagen, spannungsreich gewesen. Franziskus tat bei dieser Gelegenheit all dies, was ich mir für die Begegnung mit den Generaloberinnen erträumt hatte. Es war eine echte Begegnung – unter Brüdern und Schwestern auf Augenhöhe. Er disziplinierte nicht, sondern im Gegenteil, er machte Mut: „Ihr werdet Fehler machen, ihr werdet anderen auf die Füße treten. Das passiert. Vielleicht wird sogar ein Brief der Glaubenskongregation bei euch eintreffen, in dem es heißt, dass ihr dies oder jenes gesagt hättet. … Macht euch darüber keine Sorgen. Erklärt, wo ihr meint erklären zu müssen, aber macht weiter. … Macht die Türen auf. Tut dort etwas, wo der Schrei des Lebens zu hören ist. Mir ist eine Kirche lieber, die etwas falsch macht, weil sie überhaupt etwas tut. …“ Im Mund eines Papstes sind das wahrhaft revolutionäre Worte.12
Warum aber dieser scharfe Kontrast zwischen den beiden Situationen, der Begegnung mit der Konferenz der Generaloberinnen und der Begegnung mit den Vertretern des lateinamerikanischen Ordenslebens? Vielleicht, weil sich Franziskus unter Lateinamerikanern, bei allen Spannungen der Vergangenheit, freier und „zu Hause“ fühlt?
Meine Gebete für diesen Papst
Das Erste ist der Dank. Auch wenn ich es noch mit angehaltenem Atem sage, so drängt sich mir auf: Was mit und durch diesen Papst passiert, „ist von Gott“: Dass er die Kirche aus ihrer sklerotischen Verbissenheit in sich selbst stößt – dorthin, wo gelebt, gelitten und gestorben wird. Er stellt klar, was zuerst kommt und was sekundär ist: zuerst der Mensch und das Evangelium – und erst dann die Doktrin und die moralischen Normen. Und dass er denen klar den Marsch bläst, die massenhaftes Elend und den vorzeitigen Tod so vieler zu verantworten habe. Dazu scheut Bergoglio, der Kritiker jeder „linken Ideologie“, auch nicht eine „marxismusverdächtige Sprache“: „Die Anbetung des alten Goldenen Kalbes (vgl. Ex 32,15–34) hat ein neues und grausames Bild gefunden im Fetischismus des Geldes und in der Diktatur der gesichtslosen Wirtschaft ohne wirklich menschliche Ziele und Zwecke.“13
Und das Zweite ist das Gebet um Kraft und Mut. Dieser Papst bewegt sich mit traumwandlerischer Sicherheit – dieser Mann lebt aus tiefen Quellen. Das macht ihn jedoch auch gefährlich und verführerisch. Nach allen Enttäuschungen und Frustrationen mit kirchlichen Autoritäten bietet er sich geradezu an als der starke und zugleich liebevolle Übervater. Jesuanische Autorität jedoch hält nicht in infantiler Abhängigkeit, sondern lässt wachsen. Ich wünsche Jorge Mario Bergoglio viel Kraft und Mut, der Papsteuphorie und dem Personenkult die Stirn zu bieten – nicht um die Kirche in eine „bürgerliche Demokratie“ zu transformieren, sondern um mit der Autorität Jesu eine Gemeinschaft von Schwestern und Brüdern zu formen, in der die Ausgegrenzten und Getretenen dieser Erde vollen Sitz und Stimme erhalten.
Immer wieder wird die Frage laut, ob dieser Papst ein „Papst der Befreiungstheologie“ ist oder nicht. Ich halte die Frage für völlig irrelevant, denn solche kranke Selbstbezogenheit ist der Befreiungstheologie, die ich als authentisch anzuerkennen bereit bin, von ihrem Wesen her völlig fremd. Es geht hier nicht um das Durchsetzen einer theologischen Schule gegenüber einer anderen. Das einzig wirklich Interessante ist, ob dieser Papst ein „Papst nach dem Herzen Jesu“ ist – und ob er der Kirche als Ganzes hilft, mehr das Antlitz Jesu widerzuspiegeln.
Und das Dritte und Letzte ist ein Wunsch: Dieser Papst kann erfrischend unbefangen und frei sein. Die Präsidentin Argentiniens, Cristina Kirchner, hat Kardinal Bergoglio, der ihre Wirtschafts- und Sozialpolitik hart anprangerte, in den letzten Jahren vierzehn Mal die erbetene Audienz verweigert. Franziskus jedoch empfing sie wenige Tage nach seiner Wahl und bedankt sich für ihren Besuch mit einem Küsschen auf die Wange. Dieser Papst definiert die Begegnung und den Dialog als seine „Weise des Vorangehens“: „Man muss sich kennenlernen, sich zuhören und das Wissen um die Welt um uns vermehren. … Neue Ideen entstehen und man entdeckt neue Bedürfnisse. Das ist wichtig: sich kennenlernen, sich gegenseitig zuhören, seinen Gedankenhorizont erweitern.“14
Ich träume davon, dass sich Franziskus mit derselben Unbefangenheit, mit der er Cristina Kirchner küsst und sich mit dem Atheisten Eugenio Scalfari und dem Rabbiner Abraham Skorka freundschaftlich unterhält, sich eines Tages mit feministischen Theologinnen zusammensetzt, zum Beispiel mit Ivone Gebara, aber auch mit jungen Theologinnen aus Lateinamerika und allen anderen Kontinenten – und dazu noch einige Ordensfrauen aus den USA einlädt. Um meiner Kirche und ihrer Zukunft willen träume ich davon, dass Franziskus den Frauen aufmerksam zuhört