Augusta Theler - Mit dem Hebammenkoffer um die Welt. Rebekka Haefeli
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Читать онлайн книгу Augusta Theler - Mit dem Hebammenkoffer um die Welt - Rebekka Haefeli страница 8
Die Wochen der Jagd fordern Augusta Theler einiges ab. Sie kocht für die Jäger, die sich nach Stunden der Pirsch hungrig und durstig an den Küchentisch setzen. Und sie betreut ihre demente Mutter, die in dieser Zeit besonders fordernd sein kann, weil sie die Jägerszenen an früher erinnern. Sie will dann anpacken, ist unruhig und sucht Beschäftigung, und hin und wieder läuft sie auch weg. Jetzt ist nicht mehr Augusta Theler das trotzige Kind. Nun ist Julie Theler die Trotzige. Dennoch empfindet es die Tochter als Privileg, ihrer Mutter im hohen Alter so nahe zu sein und diesen Weg bis zum Schluss mit ihr gehen zu dürfen. Um sie zu beruhigen, erfindet Augusta Theler Geschichten, taucht mit ihr ein in die Vergangenheit, packt sie ins Auto, fährt mit ihr nach Ausserberg und lässt die Erinnerungen an früher nochmals lebendig werden.
Julie Theler spricht mit grosser Bewunderung von ihrer Mutter Anna Heynen. «Meine Mutter war Hebamme», wird die demente Frau nicht müde zu betonen, und sie wiederholt auch immer wieder, dass sie streng gearbeitet hatte, im Haus und auf dem Feld. Als Augusta Theler ihrer Mutter eine Radiosendung über Hebammen vorspielt, die sie auf ihren Computer geladen hat, möchte Julie Theler sich die Sendung immer und immer wieder anhören. Noch Tage später verlangt sie, ihre Mutter müsse die Sendung unbedingt auch zu hören bekommen. Die alte Frau, die doch selbst Hebamme war, sei bestimmt interessiert an dem Gesagten.
Dem Vergessen, das die Demenz mit sich bringt, lassen sich auch positive Seiten abgewinnen. Julie Theler durchlebt noch einmal ihre Vergangenheit und scheint dabei nur das Schöne wahrzunehmen.
Stürmische Schul- und Lehrjahre
Augusta Theler war ein eigensinniges Kind, das schon früh wusste, was es wollte, und auch bereit war, dafür zu kämpfen. Sie eiferte ihrer Grossmutter Anna Heynen nach, wollte Hebamme werden wie sie. Nach der sechsten Primarschulklasse reichten ihre Noten für die Realschule. Schon im ersten Jahr war für sie jedoch klar, dass sie das nächste Schuljahr unbedingt in die Sekundarschule wechseln wollte. Denn sie war sich bewusst, dass sie nur so ihren Berufstraum würde realisieren können.
Doch nach der Sekundarschule traute sie sich die Ausbildung an der Hebammenschule noch nicht zu. Zu gross war damals ihre Angst, intellektuell nicht zu genügen; zu gross war ihr Respekt – auch vor dem, was ihre Grossmutter Anna Heynen ihr vorgelebt hatte. Augusta Theler absolvierte deshalb zuerst eine Lehre als Arztgehilfin, was der heutigen Ausbildung zur Medizinischen Praxisassistentin entspricht. Um die Ausbildung an einer Privatschule in Bern bezahlen zu können, war sie auf ein Darlehen der Eltern angewiesen, das sie mit schlechtem Gewissen annahm und zurückbezahlte, so rasch es ging. Nach einem Jahr Schule kehrte sie ins Wallis zurück und beendete die Ausbildung mit einem eineinhalbjährigen Praktikum bei einem Internisten. Ein gutes Jahr später wechselte sie in eine Gruppenpraxis mit zwei Ärzten in Gstaad.
Die folgende Zeit war neben dieser Arbeit in Gstaad geprägt von der schweren Erkrankung ihrer besten Freundin, bei der Knochenkrebs diagnostiziert worden war. Die Ärzte rieten kurz nach dem Befund der Krankheit, ein Bein zu amputieren. Doch die Amputation konnte zunächst abgewendet werden. Die Freundin kam ins Kinderspital Basel, wo sie sich mehreren Chemotherapien unterziehen musste. Immer, wenn es ihre Gesundheit zuliess, kehrte sie ins Wallis zurück.
«Durch die Krankheit wurde alles noch intensiver. Wir kosteten die Zeit aus und dachten nicht darüber nach, was andere Leute über uns sagten.» Augusta Theler erlebte mit ihrer Freundin eine Achterbahn der Gefühle. Es gab Zeiten voller Hoffnung, in denen sich der Kampf zu lohnen schien, dann wieder gab es erschütternde Nachrichten. Die Ärzte entdeckten Metastasen, und das Bein musste schliesslich doch amputiert werden. Augusta Theler setzte sich dafür ein, dass die Freundin eine gute Therapie erhalten sollte. Doch es kam anders. Ihre beste Freundin starb, noch nicht ganz 20-jährig, zu Hause bei ihren Eltern.
«Es war das erste Mal, dass mich der Tod so direkt berührte», sagt Augusta Theler. «Die Krankheit und der Tod meiner besten Freundin waren für mich ein intensives Erlebnis, das mich mit grosser Trauer erfüllte. Als sie gestorben war, blieb in mir eine Leere zurück. Ich stand vor der schwer begreifbaren Tatsache, dass meine Freundin – ein junger, lebensfroher Mensch wie ich – gegangen war.» Es war eine Geschichte voller Hoffnung, Glück, Enttäuschung und Trauer, die sie tief erschütterte.
Nach dem Tod der besten Freundin verliess Augusta Theler die Gruppenpraxis in Gstaad und kehrte zurück ins Wallis, nach Visp. Dort fand sie bei einem Gynäkologen, der aus Afrika stammte, eine neue Anstellung. Er hatte gerade seine erste eigene Praxis eröffnet. Da der Arzt nicht Auto fahren konnte, chauffierte ihn Augusta Theler tagsüber in ihrem roten VW-Käfer ins Spital, wenn eine Geburt bevorstand. In der Nacht übernahm seine Frau diese Aufgabe. «Die Patientinnen rannten uns die Hütte ein», erinnert sich Augusta Theler. «Ein schwarzer Gynäkologe im katholischen Wallis; das war etwas Besonderes. Er war beliebt, weil er so anders war.» Dabei sei er ein schüchterner, zurückhaltender Mensch gewesen. «Die Patientinnen kamen mit ihren Geschichten auch oft direkt zu mir, etwa wenn sie die Pille vergessen hatten oder ein Malheur mit einem Kondom passiert war. Viele Unsicherheiten konnte ich schon am Telefon klären. Ich wurde für die Frauen zu einer Vertrauensperson.» In dieser Zeit flammte in ihr erneut der Wunsch auf, Hebamme zu werden. Sie hatte das Gefühl, sich beruflich in einer Einbahnstrasse zu befinden. Sie wollte mehr Verantwortung übernehmen, ihr Wissen erweitern und mehr erleben.
Augusta Theler vertraute sich ihrem Chef an, der positiv reagierte, ihr gleichzeitig aber auch klarmachte, dass er ihren Weggang bedauern würde. Sie meldete sich an der Hebammenschule in Bern an, doch schon das erste Gespräch erlebte sie als derart einschüchternd, dass sie von ihrem Plan wieder absah. Etwas später zog sie mit ihrem damaligen Freund nach Bern und arbeitete während einiger Jahre in einer Gruppenpraxis für zwei Internisten. Als sie 30 war, trennte sie sich von ihrem Jugendfreund. Sie kündigte ihre Stelle und fuhr nach Cambridge, wo sie eine Englischschule besuchte. Danach kehrte sie ins Wallis zurück, wohnte eine kurze Zeit wieder bei den Eltern, war aber unschlüssig, wie es weitergehen sollte. Da tat sich eine Chance auf, als ihr eine Stelle in einer Arztpraxis in Bern angeboten wurde. Sie sagte zu.
Die Praxis gehörte ihrem jetzigen Partner Martin Weber, mit dem sie seit Ende 1996 zusammen ist. Als Augusta Theler den Allgemein- und Tropenarzt kennenlernte, befand er sich in einer schwierigen Lebensphase. Seine Frau war schwer krank, und die beiden Kinder waren im Primarschulalter. Martin Weber war während der Bewerbungsphase für die Anstellung einer neuen Arztgehilfin präsent. Dann aber zog er sich für ein Jahr aus der Praxis zurück, um für seine Kinder und seine Frau da zu sein. Seine Frau verlor den Kampf gegen die Krankheit und starb. Da der Arzt mit seiner Familie in einer Wohnung über der Praxis lebte, ging er während dieser Zeit im Haus ein und aus. Augusta Theler und er begannen, zusammen Sport zu treiben, und so wuchs langsam das gegenseitige Vertrauen. Sie war fasziniert von Martin Weber, der 17 Jahre älter ist als sie und weit herumgekommen ist. Als junger Mann hatte er sein Medizinstudium unterbrochen, um mit einem Kollegen die Welt zu bereisen. Sein Ziel, als Arzt auch im Ausland zu arbeiten und humanitäre Einsätze zu leisten, hatte er über Jahre hartnäckig verfolgt und schliesslich erreicht – ähnlich wie Augusta Theler, die sich in den Kopf gesetzt hatte, Hebamme zu werden.
Der Altersunterschied war zwischen ihnen nur ein Thema, als sie die Kinderfrage diskutierten. Für ihn, der bereits einen Sohn und eine Tochter hatte, als sie sich kennenlernten, war klar, dass er wegen einer Unterbindung keine weiteren Kinder haben würde. Augusta Theler hätte sich