Turbulenzen. Sepp Moser
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Dieser Mechanismus funktioniert nur, wenn es gelingt, nach dem Erstauftrag durch das Heimatland des Herstellers weitere Bestellungen aus anderen Ländern hereinzuholen. Deshalb stehen die Hersteller aller Kampfflugzeuge (und mit ihnen die Regierungen ihrer Heimatländer, welche die Projekte mitfinanziert haben) unter einem enormen Erfolgsdruck – und im Bann der permanenten Versuchung, einem verlockenden Geschäft mit unsauberen Methoden aller Art ein wenig nachzuhelfen. Letzteres gilt selbstverständlich nicht nur für Kampfflugzeuge, die allein schon wegen der enormen Kosten immer auf irgendeine Weise vom strengen Auge des Finanzministeriums beobachtet werden, sondern ebenso für privat finanzierte Produkte. Im Kapitel über die Mutation schweizerischer Trainingsflugzeuge zu «Kampfflugzeugen des armen Mannes» (siehe Seite 39) wird darauf zurückzukommen sein. Auch in diesem Produktsegment herrscht der Zwang zum Bau – und zum Verkauf – möglichst grosser Serien.
Für kritische Bürger empfiehlt es sich also, bei Geschäften, in denen es um Militärflugzeuge im Allgemeinen oder um besonders kostspielige Kampfflugzeuge geht, genau hinzuschauen. Das war schon immer so und wird sich kaum ändern. Für die Schweiz ist die Situation, in der sie derzeit als potenzieller Flugzeugkäufer steckt, nichts Neues. Zur Erinnerung und zur Illustration des Themas lassen wir kurz die schweizerische Mirage-Affäre Revue passieren. Sie liegt fast 60 Jahre zurück, kann aber wegen ihres systemtypischen Charakters sehr wohl auch heute noch als Mahnmal dienen.
Leidensweg Mirage
Es war um 1960, die Zeit des Kalten Krieges, und die Schweiz stand vor der Herausforderung, zwischen den beiden grossen Machtblöcken – hier die von den USA angeführte NATO, dort die damalige Sowjetunion mit ihren Verbündeten im Warschauer Pakt – eine Position als militärisch glaubwürdiger und gleichzeitig neutraler Kleinstaat zu finden. Gleichzeitig stand sie ideell klar auf Seiten der Westmächte. Nach den zwei kostspieligen, aber vollständig missglückten Versuchen mit nationalen Eigenkonstruktionen (N-20 und P.16) reduzierte sich die Auswahl auf zwei bewährte Modelle aus westeuropäischen Staaten, nämlich auf den schwedischen Saab Draken (Drache) und die französische Mirage (Luftspiegelung). Die beiden Flugzeuge waren ähnlich, Frankreich jedoch politisch stärker als Schweden, sodass sich die Schweiz für 100 Mirage IIIC entschied, welche durch die Schweizer Industrie in Lizenz gebaut werden sollten. Doch die Sache lief aus dem Ruder und wurde zum Debakel.
Die Schweizer waren von der Komplexität des Programms und seiner für damalige Begriffe hochmodernen Elektronik und Waffentechnik vollständig überfordert. So bestanden sie darauf, die ursprüngliche französische Navigations- und Kampfelektronik durch ein amerikanisches Produkt zu ersetzen. Das ist an sich schon ein extrem komplexes Vorhaben, vergleichbar mit der gleichzeitigen Transplantation von Herz und Lunge durch ein Ärzteteam ohne einschlägige Erfahrung. Zur Katastrophe wurde die Sache, weil die massgebenden Personen in Politik und Luftwaffe nicht einsehen wollten, dass sie heillos überfordert waren. Nur wenige der an dem Projekt beteiligten Schweizer Offiziere und Beamten behielten einen klaren Kopf, unter ihnen ein sachkundiger Berufsoffizier namens Walter Dürig, der seine Beobachtungen als Mitglied der sogenannten Evaluationsgruppe in seinem Tagebuch festhielt. Hier ein Auszug daraus: «Die Kostenfrage war aus der Arbeit der Evaluationsgruppe ausgeklammert.» – «Bei der Eröffnung der Sitzung vom 11. Oktober 1961 forderte Charles Grossenbacher, Vertreter der KTA [heute Armasuisse, der Verf.] in der Evaluationsgruppe, wir würden hier erst hinausgehen, wenn die Typenwahl getroffen sei». [Folgt Beschreibung der Sitzung.] «Gegen zwei Uhr am frühen Donnerstagmorgen war diese für mich anstrengende Übung beendet. Gewählt war das System Taran/Falcon der Firma Hughes Aircraft Company. Erneut waren die System- und Folgekosten kein Thema. Die Vertreter der KTA erklärten, das sei ihre Sache.»
Um es kurz zu sagen: Die Mirage-Beschaffung war eine Peinlichkeit von A bis Z. Sie löste mehrere politische Skandale aus, welche beinahe zum Scheitern des ganzen Programms geführt hätten. Beinahe heisst: Die Schweizer Luftwaffe erhielt schliesslich ihre Mirages mit der amerikanischen Elektronik, aber statt wie vorgesehen 100 Stück nur deren 57, wovon 12 in einer unbewaffneten Aufklärer-Version. Und für die arg geschrumpfte Flotte zahlte die Bundeskasse nicht wie budgetiert 827,9 Millionen Franken, sondern 1185 Millionen. Unter dem Strich kostete ein Flugzeug also ziemlich genau 2,5-mal so viel wie vorgesehen, die durch die verspätete Ablieferung entstandenen Mehrkosten nicht eingerechnet. Die Lieferanten, allen voran die Flugzeugherstellerin Dassault und die US-Firma Hughes als Lieferantin der neuen Elektronik, konnten sich die Hände reiben, während in der Schweiz die Köpfe rollten, unter ihnen jener des Vorstehers des Eidgenössischen Militärdepartements.
Nächster Akt des Trauerspiels: Corsair
Der Mirage-Skandal platzte im Herbst 1964. In der Folge dauerte es ziemlich genau acht Jahre, bis sich das Drama wiederholte – zwar mit anderen Protagonisten, in einem gewandelten weltpolitischen Umfeld und auf einem fortgeschrittenen technischen Niveau, aber nach einem ähnlichen Drehbuch. Diesmal ging es nicht um ein Jagd-, sondern um ein Erdkampfflugzeug, und die Geschichte endete nicht mit einer reduzierten und überteuerten Flotte, sondern mit einem Nullentscheid – ausser Spesen nichts gewesen. Das Reizwort hiess Corsair, unter Technikern «Ling-Temco-Vought (oder kurz LTV) A-7 Corsair II».
Nach der Einführung der Mirage war die Schweizer Luftwaffe bezüglich Raumschutz, das heisst Abwehr angreifender Flugzeuge, und Aufklärung recht gut aufgestellt. Für die Bekämpfung von Erdzielen – Gebäude, Strassen und Brücken, feindliche Panzer, Fahrzeuge und so weiter – fehlten jedoch zeitgemässe Flugzeuge. Neben einigen relativ brauchbaren Hunter-Jets waren in diesem Segment nur veraltete Maschinen der Modelle de Havilland Venom (Baujahre und technischer Stand 1952–1958) und Vampire (1948–1952) vorhanden. Inzwischen hatte sich jedoch die strategische Weltlage verändert, und gemäss der 1966 an die neuen Verhältnisse angepassten Strategie der schweizerischen Landesverteidigung war nun nicht mehr der Luftkampf die primäre Aufgabe der Luftwaffe, sondern die Bekämpfung von Bodenzielen. Es bestand also ein unbestrittener und dringender Bedarf für ein leistungsfähiges Kampfflugzeug dieser Kategorie. Der Corsair II sollte das Problem lösen.
Der Prozess der Typenwahl war komplex und wird hier nur stark gerafft beschrieben. In einer sogenannten Vorevaluation wurden acht Flugzeugtypen summarisch untersucht, unter ihnen auch inexistente Phantasieprodukte wie die AR-7, eine theoretisch angedachte, aber nur als Papierskizze existierende Weiterentwicklung der Ende der 1950er-Jahre gescheiterten schweizerischen Eigenentwicklung P-16. Klarer Sieger in diesem Ende 1969 beendeten Prozess war der A-7E Corsair II. Der französische Typ Milan – eine Art heruntergekochte Mirage – war schon damals eine Option, hatte jedoch keine Chancen. Nach heftigen Interventionen der französischen Regierung kam es zu einer Zusatzevaluation unter Einbezug des eigentlich ausgeschiedenen Milan, die im März 1971 mit einer gut dokumentierten und durch Zahlen belegten Rangfolge endete. Danach stand mit 100 Vergleichspunkten erneut der Corsair an erster Stelle, gefolgt vom ebenfalls amerikanischen A-4S Skyhawk (ein Kampfflugzeug für den Einsatz ab Flugzeugträgern) und dem Milan mit 59 Punkten.
Die Sachlage war klar, doch jetzt begannen die Diskussionen erst richtig heiss zu werden – wohl nicht zuletzt deshalb, weil erneut das politisch unerwünschte, den französischen Wirtschaftsinteressen zuwiderlaufende Modell Corsair die Rangliste anführte. Parallel zu den Diskussionen zogen die Bewerber alle Register, allen voran die Firma Dassault als Herstellerin des Milan. Politiker und Journalisten wurden zu «Informationsreisen» nach Frankreich eingeladen, teuerste Plätze im Live-Programm des Nachtklubs «Moulin Rouge» inbegriffen. Das mag den einen oder anderen Schweizer Gast beeindruckt haben, an den mangelhaften Qualitäten des Milan änderte es ebenso wenig wie am Trommelfeuer der französischen Lobbyisten.
In dieser verfahrenen Situation sah der Bundesrat nur noch einen Ausweg aus dem nicht enden wollenden Hickhack: Eine Flugerprobung der führenden Kandidaten, und zwar gleichzeitig