Lebendige Seelsorge 4/2019. Verlag Echter
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Felix Körner SJ
Dr. phil., Dr. theol. habil., Islamwissenschaftler und katholischer Dogmatiker; forscht über gegenwärtige islamische Theologie und unterrichtet seit 2008 an der Päpstlichen Universität Gregoriana; zuvor hat er sechs Jahre in Ankara gelebt.
In allen Gebieten des frühen Islam leben Juden und – mehr noch: Christen. Der neu hinzukommende und sogleich mächtig auftretende Glaube will sich nun im Streitgespräch mit Andersgläubigen verantworten. Im Kampf der Meinungen wollen sowohl die arabischen Quasi-Adligen als auch – stärker – nichtarabische Konvertiten die Wahrheit ihrer Religion erweisen. Der kontroverstheologische Einschlag bildet sich aus. Er lässt sich dann auch für die Glaubensverbreitung einsetzen.
Bald zeigen sich allerdings auch inner-islamische Lehrunterschiede. Sie machen ebenfalls eine Religionsdebatte notwendig; und was hier entsteht, ist eine für die Muslime höchst bedauerliche Spaltung der Gemeinde. Zu ihr zu gehören ist dabei doch heilsbedeutend. Gegen die, die später „Sunniten“ heißen werden, formiert sich die Schia. Auch andere Gruppierungen beanspruchen, sie seien die wahre Verwirklichung dessen, was Gott mit dem Koran und durch Muhammad gründen wollte. Der Ärger über den islamischen Einheitsverlust äußert sich durchaus auch argumentativ. Wie konnte es zum Bruch kommen? Die Frage lässt eine islamische Geschichtsschreibung wachsen; und ist denn der augenblickliche Herrscher überhaupt der legitime? Mit diesem Bedenken wird die politische Theologie des Islam groß.
Weiterhin zu beantworten ist die Grundfrage, ob nicht Gott in allem wirksam ist – und wie dann die treulosen Menschen zur Verantwortung zu ziehen sind: Die systematische Theologie hat damit schon eines ihrer Hauptthemen gefunden.
Entstanden ist jedoch keiner der drei genannten islamisch-theologischen „Einschläge“ – das juristische Regeln, die Glaubenskontroverse und die Theorie menschlich-freien Handelns – erst nach Muhammads Tod. Was sich jetzt ausprägt, ist bereits im Koran angelegt. Denn schon in Medina ergehen – mit Offenbarungsanspruch – genaue Rechtsregelungen (z. B. 4:176). Auch Diskussionen mit Andersgläubigen finden sich von Anfang an im Koran (29:46); und Fragen nach legitimer Herrschaft sowie dem Verhältnis von Gottesmacht zur Menschenfreiheit sind ebenfalls schon koranisch (48:17, 74:31).
Es gibt sie also, die islamische Theologie, es gibt sie von Anfang an, und es gibt sie von Anfang an mit einem Einschlag, der sie auf Gespräche mit Juden und Christen ausrichtet. Wie sind solche Gespräche heute anzulegen?
THEOLOGIE ALS VERGLEICH?
Man könnte es mit einer „komparativen Theologie“ versuchen. Wohlgemerkt laufen unter dieser Bezeichnung auch deutlich weiter führende Ansätze als der hier skizzierte, vielleicht sogar karikierte (vgl. von Stosch; Clooney 2013). Ein komparativ-theologischer Rahmen würde die Religionsbegegnung wohl „positional“ anlegen. Das heißt, man erklärt gleich eingangs, man habe selbst eine bestimmte Glaubens- „Position“, die man denn auch nicht zur Debatte stellt; sie soll ja einen der Vergleichspunkte abgeben. Zweitens wählt man nun eine genau eingegrenzte Fragestellung, die man in mindestens zwei Glaubenstraditionen – der eigenen und einer anderen – darstellt. Was ist etwa die „Position“ der frühen Schia bezüglich unschuldigem Leiden? Drittens sucht man sich nun auf jeder Seite einen Text, ein Symbol oder einen Vollzug und hält das so Herauspräparierte vergleichend nebeneinander. Unterschiede und Gemeinsamkeiten werden sichtbar.
Ein solches komparatives Verfahren ließe jedoch drei Grundzüge der christlichen Glaubenserkenntnis unter den Tisch fallen. Sie ist gerade keine Position, sondern Teil der Geschichte. Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil heißt das riskant geschichtliche Vorankommen des Christuszeugnisses durch Begegnung mit dem anderen: „Dialog“. Dieser geschichtstheologische Grundgestus ist allerdings bereits biblisch. Man kann das anhand eines Ausdrucks im Kolosserbrief zeigen: Alle, so der Wunsch dort, sollen „getröstet werden, verbunden in der Liebe, um die tiefe und reiche Einsicht zu erlangen und das Geheimnis Gottes zu erkennen, das Christus ist. In ihm sind alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen“ (2,2f.).
Die Erkenntnis Christi ist eben noch kein vollständiges Begreifen, sondern immer erst ein Vorausgreifen, und zwar auf das Ganze, das uns schon ergreift (vgl. Philipper 3,12). Alles, was in der Geschichte geschieht, kann weiter erhellen, was das denn ist, was in Christus noch verborgen ist. Glauben geschieht nicht im Gestus der Position, sondern der Antizipation (vgl. Pannenberg, 121, 126, 175: „proleptisch“, „doxologisch“). Daher wird man christlicherseits nicht vor der nächsten Begegnung mit Menschen anderen Glaubens behaupten wollen, man habe ja schon seine durchklärte Position. Die komparativ-methodische Herauslösung eines Teilbereichs der Glaubenslehre soll den Vergleich ermöglichen. Dieses – das sogenannte mikrologische – Verfahren scheint auszublenden, dass eine religiöse Sichtweise gewöhnlich keine Ansammlung von Einzelpositionen ist. Vielmehr gehört in einer Glaubenssicht alles zusammen und deutet sich gegenseitig. Denn das Einzelne hat seinen Sinn als Teil des Gesamten. So lässt sich aus christlicher Sicht die oben als Beispiel gestellte Frage nach dem unschuldigen Leiden nur im Zusammenhang mit der Christusgeschichte – und von dort aus mit Schöpfungs- und Erlösungslehre – beantworten.
Drittens wird ein „positionaler“ Vergleich der ja immer geschichtlichen Christuserkenntnis deshalb nicht gerecht, weil sie sich in der Begegnung erweitert. Jede dialogisch interreligiöse Begegnung kann die Gläubigen beider Seiten „reinigen und bereichern“ (Franziskus 2013, § 250; Sekretariat, § 21).
THEOLOGIE ALS INTERAKTION
Wenn eine Theologie sich – im hier gezeichneten und möglicherweise überzeichneten – Sinn ans Vergleichen macht, scheint sie aus sich selbst und aus dem anderen je ein Stück herauszuschneiden, um beides von sich weg, vor sich nebeneinander halten zu können. So ist man noch nicht wirklich in der Dynamik des Dialogs. Er kann ja erst aufgrund von Begegnung entstehen; und aus einer Begegnung kann man sich selbst und sein eigenes Werden nicht heraushalten. Schematisch beschreiben lassen sich Begegnungen als Geschehen mit dreierlei Ausrichtung.
Von Angesicht zu Angesicht - Seite an Seite - Rücken an Rücken.
Vielleicht sollte man beginnen mit der Ausrichtung „Seite an Seite“, wenn denn „Liebe nicht darin besteht, dass man einander ansieht, sondern dass man gemeinsam in gleicher Richtung blickt“ (de Saint-Exupéry, 216). Von dieser Ausrichtung geprägt ist die „kooperative Theologie“ (Specker, 9). Beide legen ihre augenblicklichen Kräfte und überlieferten Lösungsmuster zusammen, um sich den heute in den Blick tretenden Herausforderungen gemeinsam zu stellen.
Theologie über Religionsgrenzen hinweg ist erst dann Begegnung, Dialog, Interaktion, wenn beide Seiten zur selben Zeit leben.
Vor jedem gemeinsamen Problemlösen aber geschieht Begegnung natürlich „von Angesicht zu Angesicht“. Was wäre dann eine treffende Bezeichnung für ein solches theologisches Lernen miteinander, in gegenseitiger Anregung, durch immer neue Missverständnisse und Verständigungen, Einwände und Einsichten? Hierfür bietet sich ein neuer Name an: „interaktive Theologie“.
Für eine interaktive Theologie genügt es nun nicht, dass beispielsweise ein katholischer Theologe Rahner- und von Balthasar-Zitate gegen Stücke aus tamilischen Kommentaren der Vishnu-Frömmigkeit des 12. und 13. Jahrhunderts hält; so eindrucksvoll solche Vergleiche auch sein mögen (vgl. Clooney 2001). Theologie über Religionsgrenzen hinweg ist erst dann Begegnung, Dialog, Interaktion, wenn beide Seiten zur selben Zeit leben. Dann können sie nämlich beide aufeinander eingehen. Das verlangt nun aber auch, dass sie einander verstehen – zumindest den in weiteren Begegnungen überprüfbaren Eindruck bekommen, man beginne einander zu verstehen. Eine solche Begegnungsgeschichte setzt zugleich voraus und bewirkt, dass man sich annähernde Begriffe davon hat, was vernünftig ist. Eine Universität ist dafür wohl der günstigste