Lebendige Seelsorge 4/2016. Группа авторов

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(AL 217) und mit der nötigen psychoaffektiven Reife und Bindungsfähigkeit tun. Andernfalls würde man von einer religiösen Institution und Tradition „gefangen“ werden, die den einzelnen oder das Paar überfordere und Scheitern vorprogrammiere (AL 132; 210; 218). Franziskus rät Brautleuten in Amoris laetitia und zu anderen Gelegenheiten sehr deutlich dazu, im Vorfeld der Hochzeit nicht nur die Tragfähigkeit der Paarbeziehung realistisch zu überprüfen, sondern sich auch in einem geistlichen Prozess der Frage auszusetzen, ob und wie sie im Glauben gelebt und sakramental besiegelt werden könne. Offenbar hält er dies unter den gewandelten gesellschaftlichen Umständen auch unter Christen nicht für selbstverständlich bzw. rät dazu, es nicht für selbstverständlich zu halten.

      Auf der theologischen Grundlage der Synodendokumente, besonders der Relatio von 2014, beschreibt er das Sakrament bzw. den Lebensstand der Ehe analog zum Lebensstand der Ehelosigkeit als eigenständige kirchliche Berufung, als konkrete Form der Nachfolge Jesu Christi, als „christologisches Zeichen“ (AL 161) sowie, trinitarisch geweitet, als Zeichen des göttlichen Lebens (AL 71; 121; 161). Wie jede Berufung, sei auch die Berufung zur sakramentalen Ehe weder eine Selbstverständlichkeit, für die jedermann und jedefrau qua Geschöpf „gemacht“ und befähigt wäre, noch erschließt sie sich ohne Weiteres außerhalb des christlich-kirchlichen Deutungskontextes.

      Die Ehe als Sakrament verstehen und leben zu können, ist Franziskus zufolge daher nicht nur eine Frage des Getauftseins. Es ist auch eine Frage der Beteiligung und Mündigkeit im Glauben, der Deutung und Gestaltung des gemeinsamen Lebens im Licht der Geschichte Gottes mit den Menschen (AL 30; 221). Sakrament ist die Ehe nicht „als gesellschaftliche Konvention, … leerer Ritus oder … bloß äußerliche[s] Zeichen einer Verpflichtung. Das Sakrament ist eine Gabe für die Heiligung und die Erlösung der Eheleute, denn ihr gegenseitiges Sichgehören macht die Beziehung Christi zur Kirche sakramental gegenwärtig“ (AL 72 als Zitat der Relatio Synodi 2014, Nr. 21).

      Von außen, aus der Beobachterperspektive, ist die so bestimmte sakramentale Dimension einer Partnerschaft nicht erschwinglich; sie braucht die Beteiligtenperspektive der Glaubenden, die sich gemeinsam in die Nachfolge Christi stellen und diesen Weg sakramental besiegeln wollen. Sollte diese Dimension den Brautleuten fremd bleiben, wenn sie etwa den liturgischen Ritus aufgrund seiner Feierlichkeit anstreben, ohne die Eheschließung aber im Glauben füllen zu können oder zu wollen, dann kann das Franziskus zufolge nicht ohne Bedeutung für die Frage sein, ob sie tatsächlich eine sakramentale Ehe schließen. Damit gewichtet er die subjektive Dimension der Sakramentenfeier, das opus operans, stärker als es das geltende Kirchenrecht tut, wonach jede Ehe unter Getauften als Sakrament verstanden werden müsse (CIC 1983, can. 1055 § 2).

      Wenige Wochen nach Veröffentlichung von Amoris laetitia entwickelte er diesen Gedanken weiter. Vor einem pastoralen Konvent der Diözese Rom im Juni 2016 sagte er, allzu viele junge Leute heirateten faktisch unfrei, beispielsweise aus der Euphorie der Verliebtheit heraus oder weil ein Kind unterwegs sei, weil familiäre Zwänge dies erforderten oder man ein großes Fest feiern wolle. Wenn neben solchen Faktoren noch die menschliche und geistliche Reife, d.h. letztlich: die menschliche und geistliche Freiheit, nicht hinreichend gegeben sei, hält er es für geboten, die Sakramentalität solcher Eheschließungen ernsthaft zu hinterfragen. Die Verschlankung der Eheannullierungsverfahren, die er in Mitis Iudex Dominus Iesus bereits 2015 verfügt hatte, ist Konsequenz dieser Einschätzung und dem Papst zufolge ein Gebot der Redlichkeit und der Barmherzigkeit der Kirche.

      LEBENSFORM UND SAKRAMENT

      Wenn die sakramentale Eheschließung im Unterschied zur „natürlichen“ Ehe und anderen Partnerschaftsformen Darstellung des Glaubens und konkreter Weg der Christusnachfolge ist, müsse, so Franziskus, „die Entscheidung, zu heiraten und eine Familie zu gründen, Frucht einer Prüfung der eigenen Berufung sein“ (AL 72; vgl. 121). Diese Berufung hat allgemeine anthropologische und spezifisch theologische Dimensionen: Sie betrifft sowohl die Entscheidung für eine Lebensform (Ehe vs. Ehelosigkeit) als auch die Indienstnahme dieser Lebensform für die konkrete Weise, wie ein getaufter und gläubiger Christ sich in einem Akt bewusster und öffentlicher Wahl in die Nachfolge Jesu stellt (sakramentale Ehe vs. gebundene Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen).

      Für Franziskus unterscheiden sich Ehe und Ehelosigkeit in der Pointe ihrer Zeichenhaftigkeit, nicht aber darin, dass beide „christologische[.] Zeichen“ (AL 161) sind. Während die zölibatäre Lebensform eschatologisches Zeichen Christi, des Auferstandenen, sei, erklärt er die Ehe als historisches Zeichen Christi, des Inkarnierten. Die Eheleute stellten das göttliche Leben des dreieinen Gottes dar, der sich in der Menschwerdung Jesu, seinem Leben und Kreuz, mit der geschichtlichen und sozialen Wirklichkeit unseres menschlichen Lebens vereint hat (AL 161). Nicht ganz scharf ist Franziskus‘ Differenzierung zwischen Sakrament und Lebensform, insofern er nicht Ehe und Ordination (d.h. das Sakrament), sondern Ehe und Ehelosigkeit (d.h. die Lebensform), einander gegenüberstellt, beiden Seiten aber strukturanalog eine gleichwertige sakramentale Zeichenhaftigkeit und Medialität zumisst.

      Diese Lesart der sakramentalen Ehe als kirchliche Berufung eines Paares verdankt sich ganz offenkundig ignatianischer Theologie und Spiritualität, in der Franziskus zu Hause ist. Dass Fragen der Wahl eines Lebensstandes zugunsten der individuellen Christusnachfolge nicht nur für Ordensleute und Klerus, sondern auch für die Mehrheit der Getauften fruchtbar gemacht wird, die eine Ehe begründen wollen, ist neu. In aller Regel identifizierte man bisher das Spezifikum einer sakramentalen gegenüber einer nichtsakramentalen, z.B. zivilen Eheschließung in ihrer (liturgischen) Ausdrücklichkeit und Verbindlichkeit, d.h. Unauflöslichkeit. Franziskus stellt diesen Anspruch nicht in Frage. Er spricht sich aber dafür aus, das Besondere der sakramentalen Eheschließung qualitativ statt quantitativ zu fassen und in der jeweiligen Konkretion der Christusnachfolge zu suchen. Sie bewusst zu wählen und individuell zu gestalten ist für den Jesuitenpapst Aufgabe und Auftrag für jeden getauften und gläubigen Christen. So folgen nicht nur Kleriker und Ordensleute einer bestimmten Berufung in eine Lebensform und ggf. in ein Amt, sondern auch alle christlichen Eheleute.

      Amoris laetitia ist Einladung, Auftrag und Herausforderung: Die Getauften lädt der Papst ein, sich selbst den alten und neuen Gretchenfragen auszusetzen: Wie hältst du, Christ, es mit der Religion? Was ist deine Berufung und welche Lebensform gibt ihr eine passende Gestalt? Erlebst du deine Lebensweise – alleinstehend oder verheiratet, kinderlos oder als Eltern – als Weise zu glauben und als persönlichen Weg der Nachfolge Christi?

      Die Pastoral steht vor der Aufgabe, die Lebenswege der Christen als Glaubenswege ernst zu nehmen, zu erschließen und zu begleiten, auf dass die Sakramente nicht nur als rituelle Dienstleistungen der Kirche, sondern als Besiegelung des Glaubens und der persönlichen Christusnachfolge erkennbar werden.

      Die systematische Theologie muss sich der Herausforderung stellen, traditionelle Konzeptionierungen der Sakramententheologie kritisch zu durchdenken und ggf. weiterzuentwickeln. Das betrifft eine erneuerte, theologisch und pastoral tragfähige Verhältnisbestimmung von Glaube und Sakrament, eine ernsthaft heilsgeschichtliche Grundlegung der Sakramententheologie und nicht zuletzt das ökumenische Gespräch darüber, was die Beschreibung der sakramental geschlossenen Ehe als Berufung, d.h. Gnade, und als Weg der Heiligung durch Papst Franziskus für ihre theologische Einordnung bedeutet. ■

      LITERATUR

      Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris laetitia des Heiligen Vaters Papst Franziskus an die Bischöfe, an die Priester und Diakone, an die Personen geweihten Lebens, an die christlichen Eheleute und an alle christgläubigen Laien über die Liebe in der Familie, 19.3.2016.

      Knop, Julia / Loffeld, Jan (Hg.), Ganz familiär. Die Bischofssynode 2014/2015 in der Debatte (Einordnung und Kommentierung des synodalen Prozesses vom Auftakt der Rede Walter Kaspers vor dem Konsistorium im Februar 2014 bis zu Amoris laetitia 2016), Regensburg 2016.

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