Der fremde Gott. Hans-Joachim Höhn
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Aus der Möglichkeit der Weltinterpretation und Weltgestaltung ohne Gott macht die Moderne die Notwendigkeit der Weltbewältigung ohne Gott – um der Autonomie der theoretischen wie der praktischen Vernunft willen. Was ich ohne einen anderen kann, das soll ich gefälligst auch alleine tun – so lehrt die Neuzeit. Und so macht sie aus der Möglichkeit des Menschseins ohne Gott die Notwendigkeit einer Menschlichkeit ohne Gott. Daher steht die Moderne nicht allein im Zeichen der Autonomie der Vernunft, sondern auch im Zeichen der Negation Gottes.29 Der faktische Lauf der Welt gibt ihr Recht. Er bestätigt kontinuierlich die Annahme von Gottes Nicht-Notwendigkeit zur Erklärung innerweltlicher Abläufe und Sachverhalte. Man kann mit ihm in der Welt nichts mehr anfangen, weil man alles auch ohne ihn in Gang setzen kann. Was der Mensch in ihr Neues aufführt, gelingt ohne göttlichen Beistand. Die Welt ist erklärbar ohne Gott und der Mensch kann menschlich sein ohne Gott. Gott lässt sich negieren, weil man nicht sieht, was einen Gott, der als moralische, naturwissenschaftliche, politische Arbeitshypothese abdanken musste, von einem Gott unterscheidet, den es gar nicht gibt.30 Was, wie und wer Gott sei, wird für eine Gott los gewordene Zeit offenkundig zu einer müßigen Frage. Ein Gott, der nirgendwo antreffbar ist, ist kein göttlicher Gott mehr, von dem es einmal hieß, er sei allgegenwärtig. Wenn man mit Gott im Horizont dieser Welt nichts mehr anfangen kann, ist er ins Beliebige abgedrängt und überflüssig geworden. Ein überflüssiger Gott ist kein wirklicher Gott.
Ein Gott, der offenbar kein „richtiger“ Gott (mehr) ist, ist nichts Richtiges – und darum kann das Reden von ihm auch nicht richtig sein. Es lässt sich unschwer zeigen, dass religiöse Aussagen über „Gott und die Welt“ sinnlos werden, sollten sie den Status empirischen Wissens von Tatsachen besitzen (z. B. „Gott befindet sich in einem Paralleluniversum“) oder als expressive Ausdrucksformen subjektiver Emotionen aufgefasst werden können (z. B. „Ich habe das Gefühl, dass Gott die Welt erschaffen hat“) bzw. als Hypothesen auftreten, die bestimmte Wirklichkeitsannahmen fingieren (z. B. „Christen tun so, als ob Jesus von Nazareth Gott als Vater habe“).31 Wenn nun ebenso gezeigt werden kann, dass keine andere Sprachform zur Verfügung steht, um das zu artikulieren, was Christen „eigentlich“ meinen, dann deutet dies weniger auf ein Versagen der Sprache und der Möglichkeit vernünftiger Rede hin. Vielmehr scheint darin deutlich zu werden, dass Christen – entgegen ihrer Behauptung – eigentlich nichts Vernünftiges zu sagen haben.
Gegen diese Schlussfolgerung wird in Religionskreisen zunehmend auf ein vielfaches „Vernunftversagen“ in der Moderne verwiesen und bestritten, dass alles, was zu sagen ist, in der Sprache der neuzeitlichen Vernunft formuliert werden muss. Deren Sprache und Sache gelten als kompromittiert und konterkariert durch das Widervernünftige, an dem die Religion teilhaben würde, sollte sie sich die Sache und Sprache der Vernunft zu eigen machen. In der Tat haben sich die von der Moderne ausgelösten Rationalisierungsprozesse längst als höchst ambivalent herausgestellt. Die Dialektik der Aufklärung hat die Gleichsetzung von Autonomie und Fortschritt als voreilig erwiesen. Es sind die Siege der aufgeklärten Moderne, die ihre Krisen hervorrufen.32 Ihre ökologischen Krisen und ökonomischen Pathologien lassen danach fragen, ob sie bei ihren Fortschrittsprojekten nicht ihr Autonomie- und Säkularitätsideal überdehnt hat. Der Kern dieses Ideals besteht in der Vorgabe, nur mit jenen Ressourcen auszukommen, welche die säkulare Vernunft mit ihren eigenen Mitteln erschließen und sichern kann. Hat sich die Moderne mit diesem Ideal nicht übernommen? Wird nicht jetzt sichtbar, dass sie auf Kräfte angewiesen ist, die „jenseits“ des Säkularen zu entdecken sind? Drängt sich nicht neu die Notwendigkeit auf, sich für das „Andere“ der Vernunft zu interessieren?
Das Projekt einer Weltbeherrschung als uneingeschränkter Ausführung menschlicher Autonomie bleibt zweifellos so lange unerfüllbar, wie jene Bedingungen menschlichen Daseins ausgeblendet bleiben, welche diesseits und jenseits der Vernunft zu orten sind. Hier gilt der Grundsatz: Es geht zwar niemals ohne Vernunft, aber auch nicht mit der Vernunft allein („sola ratione numquam sola“). Nicht nur Grenzen des Wachstums, sondern auch Grenzen der Vernunft sind unbestreitbar. Sie werden dort sichtbar, wo sich die Autonomie- und Fortschrittsversprechen der Moderne als unerfüllbar erweisen. In einer Zeit gewachsener Sensibilität für ihre ökologischen und ökonomischen „Entgleisungen“ braucht es nicht zu verwundern, wenn es eine neue Offenheit für jenes Krisen- und Lebenswissen gibt, das die Religion repräsentiert. In ihm spricht sich aus, was der Mensch nicht hinter sich lassen darf, wenn er vorankommen will. Abgewirtschaftet haben jene Größen und Kräfte, die nur ein für Mensch und Natur ruinöses, zweckrationales und instrumentelles, auf ein Unterwerfen der Wirklichkeit abgerichtetes „Herrschaftswissen“ verwalten. Hoch im Kurs stehen Traditionen, die ein „Verständigungswissen“ offerieren, das den Menschen wieder in Einklang mit sich und seiner Welt bringen kann.
Die damit einhergehende – vielfach eher behauptete oder beschworene als empirisch belegte – Renaissance der Religion, De-Säkularisierung der Kultur und Re-Spiritualisierung von Lebensdeutungen33 hat jedoch wenig Nachfrage für die Rede von Gott ausgelöst.34 Der „postsäkulare“ Trend zur Religion hat die Gottesfrage weitgehend ausgelassen. Und wo sie dennoch publizistisch aufgegriffen wurde, hat die einschlägige Literatur zwar dafür gesorgt, dass die Rede von Gott wieder im Kommen ist,35 ohne jedoch ein Kommen Gottes ansagen zu können. Bei aller Notwendigkeit, sich für das (religiöse) „Andere“ der Vernunft zu interessieren, besteht offensichtlich kein Anlass, mit dieser Notwendigkeit die Frage nach Gott zu assoziieren.36 Trotz aller Dialektik von Säkularisierungsprozessen bleibt ein Hauptsatz der neuzeitlichen Religionskritik in Geltung: Für das Reden von Gott besteht keine innerweltliche Notwendigkeit.
1.2. Bestreitungen:
Für und wider die Notwendigkeit Gottes
Wenn Gott im Horizont der Welt nicht mehr nötig ist – was ist dann mit ihm? Ein nicht mehr notwendiger Gott ist kein richtiger Gott mehr – ein Gott, der kein richtiger Gott ist, ist auch nicht wirklich Gott. Was weder richtig noch wirklich ist, ist so gut wie nichts. Und ein Gott, der so gut wie nichts ist, ist so gut wie tot. Folgt man dieser Ableitung, dann kommt damit auch die Theologie an ihr Ende. Ist damit aber alles gesagt, was am Ende der Moderne von Gott gesagt werden kann? Wenn sich die Theologie dieser resignativen Schlussfolgerung nicht anschließen und ihre Frage nach Gott nicht aufgeben will, kommt sie gleichwohl an dem Befund der innerweltlichen Nicht-Notwendigkeit Gottes nicht vorbei. Die Frage nach Gott kann nur im Kontext einer Gott los gewordenen Welt redlich gestellt werden. Außerhalb der religionskritischen Plausibilitäten der Moderne kann sie diese Frage nicht überzeugend angehen.
Die „Gottlosigkeit“ der Moderne und ihr Streben nach Autonomie bedingen einander. Erst in der Verarbeitung dieser Interdependenz ist es möglich, das christliche Reden von Gott wieder denkbar und verantwortbar zu machen. Die Verarbeitung des neuzeitlichen Atheismus und die Formulierung eines christlichen Gottesbegriffs sind somit als zwei zusammengehörende Aufgaben zu begreifen – und zwar (auch) aus explizit theologischen Gründen. Denn Gott kann nicht als Gott gedacht werden, ohne dass zugleich die Welt und ihre geschichtliche „Verfassung“ bedacht wird. Die Verfassung der Welt betrifft aber nicht nur den Gedanken, sondern auch die Wirklichkeit Gottes. Gottes eigene Wirklichkeit wird thematisch, wenn die Realität der Welt – seiner Schöpfung – und ihre geschichtliche Signatur begriffen werden. Deren Eigenart besteht aber nun darin, die Welt ohne Gott zu denken. Gott kann daher auch theologisch nicht ohne eine Welt gedacht werden,