Richtig leben, länger leben. Heinz Ludwig
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Richtig leben, länger leben - Heinz Ludwig страница 3
Ich sagte ihm, das Stationsteam würde ihn aufgrund seiner charmanten Persönlichkeit besonders schätzen, und dass wir uns entsprechend unserem Credo wie bei allen anderen Patienten um das bestmögliche Ergebnis für ihn bemühen würden. Beides stimmte natürlich, doch als Motivation zum Weiterkämpfen war das dünn, das war auch mir klar. Er ließ es dabei bewenden, wohl eher aus Rücksicht auf mich als aus neuem Lebensmut.
Wenige Wochen später sprach er mich noch einmal darauf an. »Die Situation ist für mich extrem belastend, aber ich habe mich damit abgefunden«, sagte er, »ich will die Dinge bloß realistisch betrachten, das habe ich im Leben immer getan.« Trotz all der Schmerzmedikamente habe er dauernd Schmerzen. Außerdem leide er unter den Nebenwirkungen der Schmerztherapie, habe einen trockenen Mund, seine Verdauung funktioniere nur mehr mit einem starken Abführmittel, zudem habe er den Eindruck, dass die Morphintherapie sein Denkvermögen beeinträchtige. »Ich bin nicht mehr der, der ich war. Ich bin allein. Vor mir liegt nichts mehr, auf das ich mich freuen könnte, weder auf einen Besuch morgen, noch auf etwas in fernerer Zukunft, weil ich, so wie sich die Dinge entwickeln, keine fernere Zukunft mehr habe. Weiter zu leben macht für mich objektiv betrachtet keinen Sinn mehr, im Gegenteil. Es ist für mich zu einer schweren Bürde geworden.«
Es wäre Unfug gewesen, ihm neuerlich gut zuzureden. Meine einzige Hoffnung war, ihm mögen trotz aller Beschwerden noch Stunden bleiben, die für ihn wertvoll waren. Das sagte ich ihm. Allerdings war das nicht überzeugend genug, um seine Einstellung noch zu ändern. Doch ich hätte Robert Thuchs Wunsch nach einem vorzeitigen Ende nicht erfüllen können, selbst wenn ich es gewollt hätte. Die Gesetzgebung verhindert es.
Was das betrifft, leben wir in einer paradoxen Welt. Wir töten Ungeborene, die keine Möglichkeit haben, darüber mitzuentscheiden, und wir zwingen Menschen ohne Chance auf Besserung und ohne jede andere Perspektive, die bei klarem Verstand eine rationale Entscheidung für einen Abgang in Würde treffen wollen, weiter zu leiden.
Das Euthanasieverbot haben in Österreich wahrscheinlich Menschen, die nie die Verzweiflung und Aussichtslosigkeit solcher Patienten gesehen haben, als Gesetz festgeschrieben. In den Niederlanden und der Schweiz gehen die Menschen ehrlicher mit diesem Thema um. Sie lügen sich nicht selbst an. Sie erkennen an, dass es Leid gibt, das sich nicht lindern lässt, und Lebenssituationen, in denen es keine Zukunft gibt.
Alles, was wir für Robert Thuch tun konnten, war die sogenannte palliative Sedierung. Das führte dazu, dass er in seinen letzten Tagen keine Schmerzen mehr ertragen musste.
Zuvor regelte er noch seinen Nachlass. Ein Notar besuchte ihn am Krankenbett. Ich weiß es nicht genau, aber ich vermute, dass er das Geld, das ihm geblieben war, einer karitativen Organisation hinterließ. Seinen Leichnam vermachte er der medizinischen Universität, damit Studenten daran für ihre Zukunft lernen konnten. Zuvor hatte er sich darüber informiert, dass alles, was danach noch von ihm bleiben würde, in ein von der Stadt Wien zu diesem Zweck gestiftetes Grab kommen würde.
Ich bewunderte ihn dafür, mit welcher Nüchternheit er dabei vorging. Das sagte ich ihm bei unserem letzten Gespräch.
Wir redeten auch über den Tod. Ich erzählte ihm von den zahlreichen gleichlautenden Berichten von Personen, die ein Nahtoderlebnis hatten. Dabei handelt es sich um Menschen, die zum Beispiel nach einem Kreislaufstillstand wiederbelebt werden konnten. Während die Betroffenen reanimiert werden, löst sich ihr Ich aus dem Körper und schwebt zum Beispiel über dem Herzalarmteam, das sich um den Körper kümmert. Die Personen erinnern sich an viele Details der Rettungsversuche und berichten fast unisono von einem nie zuvor erlebten Hochgefühl. Zwar kann kein Mensch beweisen, dass dies auch beim tatsächlichen Tod der Fall ist. Aber diese Personen haben den Eindruck, von einem strahlenden Licht durch einen Tunnel in eine Welt des Heils und der Glückseligkeit gezogen zu werden. »Sollte dies der Realität entsprechen«, sagte ich, »dann sollten wir keinen weiteren Tag auf dieser Erde verschwenden, sondern dem gleißenden Licht ins Glück folgen.«
»Das klingt zwar phantastisch. Allein mir fehlt der Glaube«, antwortete er. »Es ist okay für mich, zu gehen. Hilfreich wäre allerdings, wenn es ein paar mehr Menschen gäbe, von denen ich mich jetzt verabschieden könnte. Aber dann wäre das hier vielleicht ohnedies alles anders gelaufen.«
EIN PLAN FÜR DAS LEBEN
Wenn mich Menschen als Onkologen, Krebsforscher und Hämatologen fragen, was sie tun können, um erst gar nicht krank zu werden, um gesund zu bleiben, fallen mir manchmal Maria Alwara und Robert Thuch ein. Ich weiß nicht, ob Maria Alwara ihre Erlebensziele auch ohne die Liebe und die Fürsorge für ihre Tochter erreicht hätte. Ob die Sache mit dem Krebs für Robert Thuch tatsächlich anders gelaufen wäre, hätte es in seinem Leben Freunde und Familienmitglieder gegeben, die zu ihm gestanden wären, ihn unterstützt und liebevoll umsorgt hätten, von denen er sich am Ende verabschieden hätte können, kann ich ebenfalls nicht mit Sicherheit behaupten. Dennoch stehen diese beiden Schicksale für eines der fünf Dinge, die ich allen nenne, die den Fortbestand ihrer Gesundheit selbst in die Hand nehmen und nach Kräften dazu beitragen wollen. Alwara und Thuch sind Beispiele für die Bedeutung unserer Integration in ein soziales Netzwerk, für den Wert enger menschlicher Beziehungen, für die Tragweite des Liebens ebenso wie des Wahrgenommen- und Geliebtwerdens. Unsere diesbezüglichen Erfahrungen können sich nicht nur heilsam auf unseren Geist und unsere Seele auswirken, sondern auch enormen Einfluss auf unseren Körper nehmen.
Gewöhnlich konsultieren mich Patienten erst dann, wenn sie erkrankt sind, und nicht zu einem Zeitpunkt, zu dem sie gesund sind und sie die Frage beschäftigen sollte, wie sie es bleiben können. Es liegt in der menschlichen Natur, dass wir uns wenig Gedanken über unsere Gesundheit machen, solange wir gesund sind. Die Gedanken an Krankheit schieben wir zur Seite und gehen erst zum Arzt, wenn wir Beschwerden haben. Was negative Konsequenzen haben kann, denn mit der richtigen Prävention ließen sich viele Erkrankungen verhindern, die, einmal ausgebrochen, schwer wieder rückgängig zu machen sind.
Dank der Thematisierung der Möglichkeiten der Vorsorgemedizin in Schulen, Medien, durch die nationalen Gesundheitsbehörden und die Ärzteschaft stellen sich immer mehr Menschen die Frage, wie sie gesund bleiben können. Das Verantwortungsbewusstsein für die eigene Gesundheit steigt langsam, aber doch. Dies ist erfreulich, hat allerdings einen problematischen Aspekt. Es steigt auch die Zahl der sich zum Teil widersprechenden und wissenschaftlich nicht abgesicherten Informationen, die vor allem von den Medien und via Internet in Umlauf gebracht und von der Bevölkerung bereitwillig aufgenommen werden. Wahrscheinlich wird das auch in absehbarer Zukunft so sein. Medien können entweder bewusst oder unbewusst Falsches propagieren, um ihre Auflagen, Zugriffszahlen und Einschaltquoten zu erhöhen. Aber wo steht geschrieben, dass dies so bleiben muss. Die Einforderung eines größeren Verantwortungsbewusstseins und die Verpflichtung zur sorgfältigen Recherche samt entsprechenden Konsequenzen bei Verfehlungen scheint mir kein überzogener Wunsch zu sein.
Gerade an mich als Onkologen wenden sich Menschen auch deshalb, weil sie aus den Angst machenden und oft kontroversen Informationen über Krebs eine steigende Bedrohung heraushören, daran zu erkranken.
Was so nicht stimmt. Das Risiko, an Krebs zu erkranken, ist innerhalb der einzelnen Altersgruppen relativ konstant geblieben. Allerdings steigt die Gesamtzahl an Krebserkrankungen wegen der steigenden Lebenserwartung, da Krebs eine Erkrankung des höheren Lebensalters ist und die Bevölkerung in unserer Gesellschaft insgesamt älter wird1.
Manche Krebserkrankungen, wie Magenkrebs, werden in letzter Zeit viel seltener, während andere, wie Lungenkrebs, häufiger auftreten. Vermutlich hat die Abnahme der Häufigkeit