Bock auf Lernen (E-Book). Andreas Müller
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Bock auf Lernen (E-Book) - Andreas Müller страница 4
Schuld und Sühne: Lehrpersonen sehen die Gründe für die Unlust vor allem bei den Schülern und deren Umfeld
Wenn sich nun aber diese Art von Spaß – die Freude an der eigenen Leistung – bei den Kindern und Jugendlichen mit zunehmender Dauer immer weniger manifestiert (siehe diese Grafik), muss man sich die Frage stellen: Was läuft da falsch? Was macht die Schule falsch, wenn vier Fünftel der Jugendlichen lieber anderswo lernen? Nichts! Nichts macht sie falsch – zumindest wenn die Exponenten des Systems befragt werden.
Es liegt ganz eindeutig an den Schülern, klar. An ihrer fehlenden Motivation, an ihrer fehlenden Bereitschaft sich anzustrengen, an ihrer fehlenden Kompetenz. Und natürlich an den familiären Hintergründen. Wer jedoch kaum etwas zum guten Gelingen beitragen kann, das sind die Pädagogen und das ist ihre Art, den Unterricht zu gestalten.
Hallo?! Was soll das?! Genau darauf kommt es doch an – auf die Lehrer und auf die Art und Weise, wie sie das tun, was sie tun (oder nicht tun). Genau darauf kommt es an, damit Kinder und Jugendliche Bock auf Schule haben, damit Schule ein Ort ist, wo es sich hinzugehen lohnt – nicht nur wegen der Pause, nicht nur um Freunde zu treffen und nicht nur um zeigen zu können, welche neuen Apps man sich aufs Smartphone geladen hat. Lernende haben dann Bock, wenn sie sich bewähren können gegenüber ihren eigenen Ansprüchen und Zielen. Oder anders gesagt: Wenn sie stolz sein können auf das, was sie erreicht haben. Wenn die Aktivitäten in der Schule Sinn machen. Denn Sinn macht Spaß.
Für später
Wenn Jugendliche gefragt werden, weshalb sie in die Schule gehen, dann gibt es meistens zwei Antworten. Erstens: Um zu lernen. Zweitens: Um gute Noten zu erhalten. Und beides hat sehr direkt damit zu tun, weshalb es nicht so funktioniert, wie es sollte. Denn der Motivationsfaktor »gute Noten« oder »guter Schulabschluss« korrumpiert das Lernen als Tätigkeit. Das heißt: Wenn man die guten Noten kriegen würde ohne das, was als »Lernen« bezeichnet wird, würde man es glattweg überspringen. Was heißt »würde«? Abschreiben, kopieren und einfügen, Dinge nur tun, wenn es Noten gibt, sind bereits gängige Formen dafür. Und damit umgeht man genau das, worum es eigentlich ginge: das Lernen nämlich.
Das hängt direkt damit zusammen, dass die meisten Beteiligten sich wenig bis keine Gedanken darüber machen, was »Lernen« überhaupt ist, wie es funktioniert, wer es wie beeinflussen kann. Was bei anderen Aktivitäten selbstverständlich ist, wird beim Lernen der Einfachheit halber ausgeblendet. Die als Lernen bezeichnete Aktivität in der Schule beschränkt sich auf die Ergebnisse. Nein, das ist eigentlich zu unpräzis. Es geht nicht in erster Linie um die Ergebnisse. Es ist die Beurteilung dieser Ergebnisse, um die sich (fast) alles dreht. Und die Verbindung mit dem Temporaladverb »später«. Das heißt: Die Motivation schöpft sich aus abstrakten Beurteilungen, die später einmal irgendwie nützlich sein sollen. Sagt man.
Damit wird das ganze Geschehen auf der Ebene des »Lernens« auf eine fatale Weise beziehungslos. Es geht sehr häufig um Dinge, die mit der Lebenswirklichkeit wenig zu tun haben, um flüchtige Wissensfetzen von geringer Halbwertzeit, die irgendwie fremd und unwirklich die Luft im Unterricht belasten und das Atmen erschweren.
Daraus entwickeln sich Unterrichtssituationen nach dem Muster verbaler Lückentexte. Die Aufgabe der Lernenden beschränkt sich darauf, erraten zu können, was der Lehrer hören oder sehen will, um stante pede eine Antwort aus dem Hut zaubern zu können, wenn man gefragt wird. Das ist denn auch eine der schulischen Kernkompetenzen: sich in den schulischen Abfrageritualen clever zu verhalten und nicht in die Fallen zu tappen.
Um diesem Anforderungsprofil an schulisches »Lernen« gerecht zu werden, haben die Schüler eine Menge Strategien entwickelt, die sich unter dem Sammelbegriff »So-tun-als-ob« zusammenfassen lassen. Interesse heucheln, das passt zum Beispiel gut ins Kalkül, am besten nonverbal, damit man sich nicht zu sehr aufs Glatteis begeben muss. Mit einem interessierten Blick kommt man schon ziemlich weit. Und was sich auch immer sehr bewährt: so aussehen, als würde man nachdenken. Als besonders hilfreich hat sich erwiesen, die Augenbrauen leicht anzuheben, die Stirn leicht in Falten zu werfen und vielleicht den Kopf auf die Finger der linken Hand leicht aufzustützen. Das Schlüsselwort heißt: leicht. Nicht übertreiben, das ist wichtig. Sonst besteht die Gefahr, von einer hilfsbereiten Lehrerseele angesprochen zu werden. Und genau das gilt es ja tunlichst zu vermeiden.
Flucht vor dem Schreckgespenst: In die Schule geht man gerne – wenn das Lernen nicht wäre
So entwickelt sich schulisches Lernen mit zunehmender Schuldauer zu einer Art Vermeidungsverhalten, zu einem Optimierungsprozess, bei dem es gilt, Kontakte mit den Themen und Inhalten auf ein Minimum zu beschränken, so als seien sie kontaminiert.
Das verbindet sich auf unheilvolle Weise mit der Vorstellung, Lernen sei eine temporäre Aktivität. Hirnschalter auf ON: »Ich lerne jetzt«. Hirnschalter OFF: »Fertig gelernt.« Da manifestiert sich ein Verständnis von Lernen, das an Schlichtheit kaum zu überbieten ist. Eigentlich logisch deshalb, dass dabei Sinn und Spaß nachhaltig auf der Strecke bleiben.
Nein: Für jetzt!
Wenn Schüler wirklich in die Schule gehen sollen, um zu lernen, dann müssen zwei Dinge passieren: Sie müssen erstens verstehen, was das ist, was sie tun sollen. Und sie müssen zweitens die Erfahrung machen, dass es ihnen gut tut. Also, was ist es, das Lernen? Lernen ist etwas, das sich pausenlos vollzieht. Das Gehirn lernt immer. Es kann nicht anders. Nichtlernen geht nicht.Lernen manifestiert sich darin, dass man nachher etwas weiß oder kann, was man vorher nicht gewusst oder gekonnt hat. Und das fühlt sich ja schon mal gut an. Auch und gerade deshalb, weil Lernen an eigene Leistungen und Aktivitäten gebunden ist. Der Mensch kann nur selber lernen. Lernen lassen geht nicht.
Deshalb ist es natürlich gut, wenn das, was getan wird, in hohem Maße auf die eigenen Ziele abgestimmt ist – oder umgekehrt. Und: Wenn sich in irgendeiner Weise die Freude am Tun mit einer nachhaltigen Entwicklung verbindet. Wenn es also spürbar etwas bringt, wenn Aufwand und Nutzen aus der Innenperspektive in einem gutem Verhältnis zueinander stehen.
One size fits not all: Weder bei Kleidung noch beim Lernen ist der Durchschnitt das Maß der Dinge
Zwar geschieht Lernen jederzeit und überall. Aber: In jedem Menschen anders, ganz einfach deshalb, weil jeder Mensch anders ist. Und: Lernen ist ein wechselwirksamer Prozess zwischen dem, was in einem Menschen »drin« ist und dem, was durch die Umwelt an ihn herangetragen wird. Er macht Erfahrungen und die Erfahrungen machen ihn.
Vieles passiert zwar einfach so. Das Gehirn bildet sich Muster und Zusammenhänge mit den Informationen, die nicht schon auf dem Weg zu den grauen Hirnzellen auf der Strecke bleiben. Und das ist das Schicksal der allermeisten Informationen. Das ist die schlechte Nachricht. Es gibt aber auch eine gute: Was vom Gehirn verarbeitet wird und wie das geschieht, das ist immerhin zu einem Teil beeinflussbar. Durch die eigene Aktivität. Denn Menschen lernen, was sie tun. Und klar: Je besser man weiß, wie man sein Lernen beeinflussen kann, desto wahrscheinlicher ist der entsprechende Erfolg.
Apropos Erfolg: Erfolgserfahrungen bilden die Scharnierstellen im Lernprozess. Lernen ist, wie alles, was Menschen unternehmen, abhängig vom gefühlten Erfolg. Niemand ist gerne ein Loser. Es braucht das Erleben von Kompetenz (als Folge eigener Leistungen etwas geschafft zu haben), damit sich Selbstwirksamkeit einstellt. Dabei reicht es nicht, wie ein blindes Huhn einmal ein Korn zu finden. Lernen muss in der Wahrnehmung der Lernenden