Gestalttherapie mit Kindern und Jugendlichen. Группа авторов

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Gestalttherapie mit Kindern und Jugendlichen - Группа авторов IGW-Publikationen in der EHP

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Wartebereich, gestand mir nach der Sitzung, sie habe versucht, an der Türe zu lauschen.

      Ich lud sie daraufhin zu einem Gespräch ein und vereinbarte mit ihr, dass sie zu Stundenbeginn dabei sein könne, um mich über wichtige Ereignisse zu informieren, aber die restliche Stunde weggehen solle und erst zu Stundenende wiederkommen, um Anatol abzuholen. Sie war damit einverstanden. Ferner bat sie mich um die Telefonnummer eines mir bekannten Suchttherapeuten, den ich in einem früheren Gespräch empfohlen hatte. Als Anatol das nächste Mal kam, hatte er Tränen in den Augen. »Mein Vater säuft wieder«, sagte er. »Ich habe damit gerechnet, aber es ist so schlimm, weil es wieder anfängt.« Während des Spielens war er sehr zornig, warf Figuren umher und konnte sich kaum beruhigen. Nach der Stunde war ich müde und erschöpft. Zur nächsten Sitzung erschien er sichtlich entspannt, seine Eltern seien mit dem neuen Auto der Mama in den Urlaub gefahren. Papa habe nämlich Mama versprochen, mit dem Trinken aufzuhören. Er habe ihr ein tolles Auto gekauft und nun seien sie gemeinsam auf Urlaubsreise. Er selbst wohne für ein paar Tage bei der Freundin der Mama. Als wir uns während eines Ballspiels über seine Eltern unterhielten, sagte er plötzlich zu mir: »Und du bist mein Anwalt!«

      Ich lud beide Eltern zu einem gemeinsamen Gespräch ein und erfuhr, dass sie es noch einmal zusammen versuchen wollten, vor allem wegen des Kindes. Außerdem sei ein weiterer Therapieversuch des Mannes geplant.

      Zur nächsten Sitzung kam Anatol wieder völlig aufgelöst. Seine Eltern hätten sich gerauft, daraufhin sei die Polizei gekommen und sein Vater dürfe nun für ein paar Tage nicht in die Wohnung. Zwei Wochen später war wieder alles beim Alten. »Zuhause ist es wieder ruhig«, sagte Anatol. In dieser Sitzung fiel auf, dass er kaum dazu in der Lage war, sich länger auf ein Spiel oder eine Übung zu konzentrieren. Er lenkte ab, als ich ihn auf bestimmte Themen ansprach.

      Schließlich ermunterte ich ihn zu einer Imaginationsübung: Er solle sich vorstellen, er sei an einem guten Platz, wo er ganz sicher ist und ihm niemand auf die Nerven gehe. Er malte das Haus seiner Oma im fernen Moldawien. Beim Malen wurde er ganz ruhig und entspannt. Beim Elterngespräch zeigt sich die Mutter sehr zufrieden mit Anatols Fortschritten, auch der Vater zeigt sich sehr motiviert, er habe vor, bei dem Suchttherapeuten anzurufen und einen Termin zu vereinbaren. Anatol kam zur nächsten Sitzung mit einer Verletzung am Auge, welche er sich bei einem Sturz zugezogen hatte. Anatol fragt mich, ob er eine Doppelstunde haben dürfe, eine Therapiestunde sei immer so kurz.

      Anatols Mutter rief an, sie wolle aus Geldgründen das Setting verändern. Ich war zu diesem Zeitpunkt keineswegs mit einer Veränderung einverstanden. In einem Elterngespräch wurde deutlich, dass das Ehepaar kurz vor der Trennung stand. Außerdem hatte der Mann noch immer kein Erstgespräch beim Suchttherapeuten, er habe die Telefonnummer verloren, sagte er.

      Anatol verletzte sich an der Hand, kam mit eingegipstem Arm in die nächste Sitzung und erzählte viel von seinem Vater, wie schön es früher mit ihm war und wie schwierig es jetzt sei. Er stellte Vergleiche an zwischen mir und seinem Vater: »Der ist älter als du, hat auch ältere Zähne, aber er kennt sich viel besser aus mit handwerklichen Dingen, der hätte schon längst deinen Holzboden repariert.« Zur nächsten Sitzung drängte sich die Mutter wieder in die Stunde, sie wolle dabei sein, Anatol sei in der Schule wieder so auffällig. Anatol wollte aber nicht in ihrer Gegenwart sprechen. Wir vereinbarten wieder ein Elterngespräch. Anatol war erleichtert. Er weinte viel in der Stunde. »Ich weiß auch nicht, warum ich so viel weinen muss«, sagte er. Lange sprachen wir darüber, was ihn alles zum Weinen brachte. Wir gaben seinen Tränen gemeinsam eine Sprache. Inzwischen wurde das Setting nicht mehr infrage gestellt, zusätzlich zu den regelmäßigen Einzelsitzungen kamen in dieser Phase verstärkt Muttergespräche, vereinzelt auch gemeinsame Elterngespräche hinzu. Die familiäre Situation schien sich wieder einmal entspannt zu haben.

      Zu einem gemeinsamen Elterngespräch kam die Mutter chic angezogen, der Vater im Arbeitsgewand. Der Vater sei derzeit trocken, erzählten beide stolz. Anatol habe weniger Angst, in der Schule gebe es auch weniger Klagen.

      Wieder verletzte sich Anatol, diesmal am Fuß. Er könne sich nur mühsam fortbewegen, sagte er. In der gleichen Stunde erzählte er mir, dass seine Mutter gesagt habe, die Stunden bei mir könnten nicht ewig dauern.

      In einem weiteren Elterngespräch vereinbarten wir, nach dem Sommer ein verändertes Setting zu erproben. Anatol solle nur noch alle zwei Wochen kommen. Er war damit einverstanden. Als wir kurz vor Weihnachten eine neuerliche Stundenreduzierung und ein Therapieende überlegten, verletzte er sich bei einem Sturz auf dem Eislaufplatz. Er wurde an der Lippe genäht, war beim Sprechen eingeschränkt, sein Gesicht war geschwollen und er hatte wieder einen Gips, dieses Mal an der linken Hand. Die Verletzungsdichte während der letzten Monate war auffallend hoch. Nach Weihnachten stellte sich die familiäre Situation wie folgt dar: Anatols Mutter hatte die Scheidung eingereicht, Anatols Vater suchte eine neue Wohnung, die groß genug sein sollte, dass auch Anatol ein Zimmer bei ihm bekäme. Anatols Vater hatte eine medikamentöse Therapie begonnen, von der er sich dauerhafte Abstinenz versprach. Im März war es dann so weit: Der Vater zog in seine neue Wohnung. Die Mutter und Anatol lebten weiter in der alten Wohnung. Die Einzeltherapie wurde bis zu den Sommerferien durchgeführt. Anatol verletzte sich in dieser Zeit nicht mehr. Das Therapieende wurde vereinbart. Zu einem abschließenden Elterngespräch kam die Mutter alleine. Ich zitierte den früheren Satz der Mutter: »Anatol ist komisch, aber die Situation zuhause ist komisch.« Die Mutter erinnerte sich und veränderte den Satz: »Anatol ist nicht mehr komisch, aber die Situation war wirklich komisch, nun ist einiges klarer!« Die Angst sei weniger stark bei Anatol, insgesamt sei er viel selbstbewusster geworden, er störe nicht mehr den Unterricht, insgesamt gäbe es deutliche Verbesserungen, meinte sie. Auch die Bauchschmerzen seien verschwunden, ferner die Kopfschmerzen. Was sei wichtig gewesen, fragte ich nach. Wichtig sei die dringende Empfehlung der Kollegin zur Psychotherapie gewesen. »So haben wir uns überhaupt erst kennengelernt.« »Und natürlich die eigene Psychotherapie«, ergänzte sie. »Dies war wie eine Kette von Personen, die hilfreich waren.« Auch bei ihr habe sich einiges verändert. Sie habe Anatol früher öfters geschlagen, gestand sie nun, das habe sie schon länger nicht mehr gemacht. Sie verstünde ihn nun besser und habe mehr Geduld mit ihm. Die Trennung vom Vater Anatols sei auch erst jetzt möglich gewesen. Zu viel Angst hatte sie, alleine zu leben mit ihrem Sohn. Die Mutter saß mir gegenüber mit einem T-Shirt, auf dem gedruckt stand: Love, honor and respect. Am Ende des Gesprächs sprach ich sie auf dieses T-Shirt an und sagte ihr, dass ich viel Respekt vor ihr und ihrem Mut hätte, ihr Leben und das ihres Sohnes zu verändern. Am nächsten Tag kam Anatol zu seiner letzten Therapiestunde. »Hallo Anatol, dies ist heute unsere letzte Therapiestunde.« »Ja, ich bin traurig«, sagte er und tatsächlich hatte er Tränen in den Augen. Er erzählte mir vom Therapiebeginn, als er mich kennenlernte, er sprach nochmals von seiner Angst. »Weißt du, damals hatte ich sogar Angst hierher zu kommen, obwohl es hier so gut ist bei dir. Ich hatte sogar Angst vor mir selbst, vor allem Angst vor meinen eigenen Gedanken.« Wir saßen gemeinsam auf dem Sofa, er erzählte von seinen Urlaubsplänen. Er wolle mit seinem Vater auf eine Fahrradtour gehen. Er gewöhne sich auch langsam daran, dass er jetzt zwei Zimmer mit zwei Betten und zwei Kleiderschränken habe. »Weißt du, das hat auch Vorteile, die Mama ist immer so pingelig und beim Papa kann ich auch mal was liegenlassen, der hält das gut aus.« Sein Vater sei seit längerer Zeit wieder abstinent, aber inzwischen fühle er sich nicht mehr verantwortlich, das sei wirklich Sache seines Vaters. »Wenn mein Vater das Trinken aufhören will, dann soll er das tun, aber nicht für mich, sondern für sich«, sagte Anatol selbstbewusst. Als nun der endgültige Abschied gekommen war, fragte er mich, ob er mir schreiben dürfe oder sogar später einmal wiederkommen, wenn es ihm mal nicht so gut gehe. »Werden wir uns wiedersehen?«, fragt er mit Tränen in den Augen. Dann lächelte er plötzlich und sagte: »Vielleicht rufe ich dich ja mal später an, wenn ich erwachsen bin und Krach mit meiner Frau habe, dann kannst du mir sicher einen Rat geben, oder?« »Du darfst mich gerne wieder anrufen, auch wenn du keinen Krach mit deiner Frau hast, ich freue mich, von dir zu hören.«

      Die Suchterkrankung des Vaters hatte starken Einfluss auf das Familiensystem und auf das psychische

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