Kalte Sonne. Johannes Epple

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Kalte Sonne - Johannes Epple

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      Johannes Epple:

      Kalte Sonne

      Alle Rechte vorbehalten

      © 2017 edition a, Wien

       www.edition-a.at

      Cover: JaeHee Lee

      Gestaltung: Lucas Reisigl

      ISBN 978-3-90320-006-7

      eBook-Herstellung und Auslieferung:

      Brockhaus Commission, Kornwestheim

       www.brocom.de

      YOU ARE FUCKED! Ich weiß, warum ihr hier seid. Ihr wollt Titten sehen. Miriams Titten und Miriams Panzerarsch. Ihr wollt aussehen wie sie. Oder wie Zyzz oder wie Ulisses. Aber das werdet ihr nie. Dafür seid ihr viel zu faul und zu bequem und zu verwöhnt. Ihr werdet euer Leben lang daherkommen, als hätte euch Gott nach einer viertägigen Sauftour in die Landschaft geschissen. Wie auch immer, damit ist Schluss jetzt. Die Backyard-Seite ist ab heute meine Seite. Ich bin Hacker. Mein Name ist Lordtom99 aka Dr. Tomtom. In der Neigungsgruppe »Firmenspionage und Datenklau« bin ich bekannt als Gründungsmitglied der Steroidhacker-Crew. In den nächsten Stunden werde ich 17 Word-Dokumente hochladen. Miriams Halbbruder hat sie geschrieben. Ihr werdet feststellen, dass die Geschichten über Miriam und ihre Tochter, die auf gannikus.com und team-andro.com herumgeistern, falsch sind.

      Seht selbst …

      Mitte Juni, 2015

      Lordtom99\1\Wien:Sommer.docx

      »Bin gelandet. Alles gut. Melde mich später.«

      Manuel drückte auf »Senden« und holte sein Notebook aus dem Gepäckfach. Er schlüpfte in sein Jackett und wartete, bis die Flugbegleiter die Ausstiegsluken öffneten. Während der Fahrt mit dem Flughafenbus nahm er ein Aspirin gegen seine Kopfschmerzen und ließ seinen Blick über den Hangar schweifen. Zwei Arbeiter standen rauchend vor einem Hallentor. Die Leuchten am Tower warfen grelle Lichtkegel über die Landebahn.

      Manuels Koffer gehörte zu den ersten, die in der Gepäckausgabe auftauchten. Er packte das dreckige Ding und hievte es auf seine Schultern. Am Weg durch die Empfangshalle trottete er an einem Sicherheitsbeamten vorbei, der ihn gleichgültig musterte. Draußen winkte er einem Taxi. Er rutschte auf den Beifahrersitz. »Favoritenstraße bitte«, sagte er.

      Nebel hing über den Parkhäusern, ein leichter Sprühregen fiel. Erste Lichtreflexe spiegelten sich am Horizont, als das Taxi auf die Stadtautobahn bog. Während der Fahrer das Navigationsgerät bediente, sah Manuel nach, ob Hanna auf seine SMS reagiert hatte. Fehlanzeige. Er löschte die Spammails, die während der Nacht eingegangen waren, und wählte ihre Nummer. Das letzte Mal hatte er es vor dem Abflug versucht, das war vor sieben Stunden gewesen. Auch jetzt schaltete sich die Mobilbox ein.

      Gegen sechs Uhr hielt der Taxifahrer in der Favoritenstraße vor dem Haus mit der Nummer 48. Manuel blickte die Fassade hoch. Alle Fenster waren dunkel. Er gab dem Fahrer zwei Euro Trinkgeld und fuhr in den dritten Stock. Die Luft im Vorzimmer war kalt und abgestanden. Als er das Licht aufdrehte, fiel sein erster Blick auf den großen Efeu neben dem Garderobenspiegel. Die Erde war feucht, und im Untersetzer stand Wasser. Gutes Zeichen, dachte er.

      »Hanna?« Manuel schlüpfte aus seinen Converse und strich seine buschigen schwarzen Locken hinter die Ohren. »Ich bin wieder da.«

      Niemand antwortete.

      Manuel hängte sein Jackett auf den Kleiderständer und ging ins Wohnzimmer. Auf dem Glastisch vor der Couch lag ein Stoß zerfledderter Wochenmagazine. Die Regale links und rechts an der Wand waren voller CDs und medizinischer Lehrbücher. Manuels Bücher. Unfallchirurgie. Alte Kladden, die er seit Jahren nicht mehr aufgeschlagen hatte.

      Manuel kippte die Balkontür und ging ins Schlafzimmer. Die Lampe im Kabinett war zu schwach, um den Raum vollständig auszuleuchten. Er sah nur Konturen. Den Schrank. Die Kommode. Den Spiegel an der Wand. Hinten links unter dem Fenster stand das knorrige Bauernbett, das er bei einem Restaurator am Karmelitermarkt im zweiten Bezirk gekauft hatte. Schon jetzt war ihm klar, es würde leer sein. Er schaltete das Licht ein und sah eine nackte Matratze ohne Decke und Kissen.

      Manuel spürte, wie sich ein beklemmendes Gefühl in seiner Magengegend ausbreitete. Er sah im Bad, in der Toilette und im Kleiderschrank nach. Er durchforstete das Bücherregal im Wohnzimmer und die Laden in der Küche. Keine Auffälligkeiten.

      In Hannas Arbeitszimmer änderte sich die Szenerie. Akten waren am Boden verstreut, die Türen des Dokumentenschranks standen offen. Manuel griff nach einem Blatt am Boden. Ein Literaturverzeichnis. Er nahm ein anderes. Der Abstract eines Forschungsförderantrags. Irgendwo in der Wohnung knackte der Parkettboden. Manuel sah über seine Schulter. »Hanna?«

      Stille.

      Er kontrollierte die Wohnungstür auf Einbruchspuren. Keine Kratzer im Holz. Auch das Sicherheitsschloss war noch ganz. Hatte Hanna das Chaos angerichtet? Niemand sonst hatte einen Schlüssel, dachte er und zückte das Mobiltelefon. Er rief im AKH an, im Hanuschkrankenhaus und im Wilhelminenspital. Er erkundigte sich, ob seine Lebensgefährtin Hanna Mahler stationär aufgenommen worden war. Gespannt lauschte er dem monotonen Klackern der Computertastaturen. Nichts, alle verneinten. Niemand mit diesem Namen war in eines der großen Wiener Krankenhäuser eingeliefert worden.

      Manuel blies die Backen auf und wählte die Nummern von Freunden und Bekannten. Vielleicht wussten sie, was mit Hanna geschehen war. Da es erst kurz vor sieben Uhr morgens war, reagierten die meisten nicht auf seinen Anruf. Als Letztes versuchte er es bei Georg, einem Herz-Thorax-Chirurgen mit einer Stelle im Donauspital. Manuel und er hatten gemeinsam studiert, eine Zeit lang hatten sie zu zweit Tutorien am Anatomieinstitut gehalten. Auch heute trafen sie sich noch alle paar Monate auf ein Bier oder schauten Fußball in einem Irish-Pub in der Währinger Straße. Diesmal ließ er es länger läuten als bei den anderen. »Komm schon«, sagte er.

      Als er auflegen wollte, hob Georg ab. »Ich werde zuhören, aber ich werde nicht antworten«, sagte er. »Das ist die Strafe für einen Anruf um diese Tageszeit.«

      Manuel setzte sich auf die Bettkante. Er war froh, Georgs nasale Stimme zu hören.

      »Hallo, Georg. Ich bin’s. Ich bin in Wien.«

      »Manuel? Das ist doch … Manuel! Für dich mache ich eine Ausnahme. Seit wann bist du zurück?«

      »Ich bin eben gelandet.«

      »Wie lange warst du weg? Zwei Jahre?«

      »Fast. Mit Unterbrechungen.«

      »Wie ist der Krieg?«

      »Wie der … keine Ahnung. Ärzte ohne Grenzen agiert nicht an der Front. Wir räumen den Dreck nach der Party weg.«

      Kurz war es still. Georg atmete schwer. Er hörte sich krank an. »Versteh mich nicht falsch«, sagte er. »Aber wenn du gerade gelandet bist, solltest du dann nicht jetzt mit Hanna herummachen,

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